1. Unexpected

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"Hier bitte sehr, Ihr Cappuccino. Zwei Dollar bitte", entgegnete ich und bekam einen 5-Dollar-Schein über den Tresen geschoben. "Dankeschön, behalten Sie den Rest", erwiderte mein Gegenüber freundlich.

Dankend nickte ich und sah der älteren Dame, die eben noch an meinem Tresen gestanden hatte zu, wie sie mit ihrem Heißgetränk und langsamen Schritten das Café verließ.

Anschließend betrachtete ich lächelnd den graugrünen Geldschein in meiner Hand, das erste Trinkgeld des heutigen Tages. Oft kam es leider nicht vor, dass die Kunden spendabel waren oder den Betrag ihrer Rechnung aufrundeten. Daher schätze ich das soeben erhaltene Trinkgeld der alten Dame umso mehr.

Seufzend blickte ich auf meine Armbanduhr und stellte erleichtert fest, dass ich bereits Feierabend hatte. Heute war wirklich ein ziemlich anstrengender Tag, denn das Café war den ganzen Tag über brechend voll gewesen.

Gewundert hatte es mich nicht, denn das Wetter zeigte sich heute eher von seiner ungemütlichen und nassen Seite. 'Wer würde sich da nicht in ein kuschelig warmes Café zurückziehen wollen?'

Die Erschöpfung in meinen Gliedern spürte ich deutlich beim Gang zum Personalbereich und zur angrenzenden Umkleidekabine. Dort angekommen streifte ich mir hastig meine dunkelgrüne Schürze ab und stopfte sie unachtsam in den Spind. Glücklicherweise hatte ich mich heute für meine schwarze Lederjacke entschieden und zog sie mir nun über.

Hörbar laut schloss ich die Spindtür und lehnte meinen Kopf stützend dagegen. Tja, hier war ich nun, 22 Jahre und arbeitete in einem kleinen Café mitten in New York, um mir notdürftig meinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Eigentlich war es mein Traum gewesen an der New York Academy of Art Kunst zu studieren, aber da ich von meinen Eltern in keinster Weise Unterstützung erhielt musste mein Traum noch etwas warten.

Der Gedanke an meine Eltern machte mich immer noch traurig gleichzeitig auch wütend. Vor knapp zwei Monaten hatten sie mich nach meinem Outing vor die Tür gesetzt, weil ich in Ihren Augen angeblich nicht mehr ihr Sohn war, sondern nur noch eine Schande, die ich über die Familie gebracht hatte.

Ich war anders, hatten sie gesagt und dieses 'anders' wurde dabei besonders verachtend betont. Es hatte mich sehr viel Überwindung gekostet, meinen Eltern zu gestehen, dass ich schwul war, doch sie reagierten nur mit Verachtung und Unverständnis.

Von diesem Tag an musste ich mir eine eigene Wohnung und einen Job suchen. Einzig und allein meine Schwester Izzy und mein Adoptivbruder Jace standen noch hinter mir. Doch leider sah ich sie nur sehr selten, da beide mit ihren Partnern in Kalifornien lebten.

Izzy war mittlerweile eine erfolgreiche Anwältin geworden und wohnte mit ihrem Freund Simon in einer schicken Villa in Los Angeles. Jace hatte seinen Doktor gemacht und arbeitete als Arzt in einer renommierten Privatklinik, die sich auf Kinder- und Jugendmedizin spezialisierte, in der Nähe von Los Angeles.

Er war überglücklich mit seiner Freundin Clary, die er dort kennen- und lieben gelernt hatte. Sie wohnten ebenfalls in einer großen noblen Villa am Rande der Stadt. Meine Eltern waren natürlich unglaublich stolz auf Izzy und ihren Prachtjungen Jace.

In meinem ganzen Leben wurde ich noch nie von meinen Eltern gelobt oder auf irgendeine Weise wertgeschätzt. Ich hingegen fühlte mich immer wie das fünfte Rad am Wagen.

Izzy, Jace und mein kleiner Bruder Max hingegen wurden immer mit Liebe und Zuneigung überschüttet. Ich sehnte mich so sehr nach der Liebe und Akzeptanz meiner Eltern, doch wirklich geben konnten sie mir diese nie.

Vielleicht hatten sie immer gespürt, dass ich nicht so war, wie sie mich insgeheim gerne gehabt hätten. Schmerzhaft zog sich mein Herz bei dem Gedanken zusammen.

Searching for LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt