10. Lessons

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"Verdammt, Alec! Wo bist du gewesen? Hast du eine Ahnung, wie spät es ist?", rief mir Mary aufgebracht entgegen, während sie sich hastig an dem Kaffeevollautomat zu schaffen machte. Das Café  war proppenvoll. Mit nur einem Blick durch den Raum nahm ich die derzeitige Stimmung der Besucher war. Wütende und genervte Gesichter, überall wo ich hinsah.

"Mary, es tut mir leid. Ich war bei Magnus und...", versuchte ich mich zu erklären und band mir meine Schürze um. "Dafür habe ich jetzt keine Zeit, Alec. Tisch drei wartet schon fast 20 Minuten auf seine Bestellung. Wenn ich da nochmal ohne Getränke vorbeigehe, lynchen sie mich vermutlich", erwiderte meine Chefin aufgebracht.

"Ich kümmere mich darum." Bemüht zwang ich mich zu einem freundlichen Lächeln und brachte die Getränke und den Kuchen, den mir Mary knallend auf den Tresen stellte, zu den Gästen.

Einige von ihnen atmeten erleichtert auf, als sie endlich den ersten Schluck von ihrem Kaffee nehmen konnten, andere hingegen murmelten mürrisch: "Das wurde aber auch Zeit!"

Ich verstand ihren Frust und entschuldigte mich bei jedem einzelnen für die lange Wartezeit. Bis Ladenschluss rannte ich wie ein Irrer durchs Café und bediente die immer wieder wechselnden Gäste. Keine Ahnung was heute los war und weshalb uns hier die Leute wieder die Bude einrannten, aber zu zweit war das manchmal kaum zu schaffen. Vielleicht sollte Mary wirklich nochmal darüber nachdenken, jemanden einzustellen.

Ehe ich reagieren konnte, kippte das Tablett mit schmutzigem Geschirr, das nur zur Hälfte auf dem Tresen stand, nach unten und fiel krachend zu Boden. Keine einzige Tasse blieb heil.

"Alec! Wo bist du denn mit deinen Gedanken?!", entgegnete meine Chefin mahnend. Ich wusste nichts darauf zu antworten. Mein Kopf war voll mit Problemen und Sorgen, die einfach nicht verschwinden wollten. Das einzige was mir heute half diesen Tag durchzustehen, war die Erinnerung an den gestrigen Abend mit Magnus.

"Entschuldige", murmelte ich bedrückt und sammelte die einzelnen Scherben vom Boden auf. Tränen bildeten sich in meinen Augen, die ich unaufhörlich zu unterdrücken versuchte. Ich wollte nicht vor meiner Chefin weinen, auch wenn wir Freunde waren und uns nahe standen.

"Geh nach Hause, Alec", bat mich Mary seufzend. "Ich mache den Rest." "Du bist immer noch sauer", stellte ich anhand ihrer Stimmlage fest. "Nicht wirklich sauer. Enttäuscht, dass du mich hast hängen lassen." "Ich sagte doch, dass es mir leid tut." Doch offenbar genügten ihr meine entschuldigenden Worte nicht.

"Ich erwarte dich morgen überpünktlich und ausgeschlafen", stellte meine Chefin klar. Sie musterte mich eindringlich, fast so, als wollte sie herausfinden, weshalb ich so aufgewühlt war. Es war das erste Mal, dass ich mit ihr nicht über meine persönlichen Sorgen sprechen wollte. Nicht, weil der Zeitpunkt gerade ohnehin ungünstig war, sondern vielmehr weil ich das Gefühl hatte, dass ich gegenüber Mary viel mehr offenbarte als umgekehrt.

Magnus hingegen war seit unserer ersten Begegnung immer offen zu mir gewesen und sprach ohne Hemmungen über seine Gedanken und Gefühle.

Völlig erschöpft begab ich mich auf den Heimweg. Die frische Luft tat mir gut, auch wenn ich leicht fröstelte. Ich beschleunigte meine Schritte und wärmte mir die Hände in den Jackentaschen. Mein Magen knurrte unentwegt und bei dem Gedanken daran, wie wenig Essbares sich in meinem Kühlschrank befand, wurde das Hungergefühl noch größer.

Ich opferte mein heutiges Trinkgeld, was wirklich mager war und ich vermutlich nur aus Mitleid erhalten hatte und kaufte mir eine kleine Nudelbox mit Hähnchenfleisch. Mein Körper brauchte Energie. Mit röschem Toast und Erdnussbutter würde sich mein Magen sicherlich nicht abspeisen lassen.

Kaum hatte ich meine Wohnung betreten, zerrte ich mir meine Klamotten vom Leib und flitzte in die Dusche. Ich musste stinken wie ein Tier. Das warme Wasser war wohltuend und beruhigte mich. Immer wieder seifte ich mich ein und rubbelte fest über meine Haut, fast so als wollte ich die Seiten an mir, auf die ich nicht stolz war, abwaschen.

Ich schlüpfte wenig später in bequeme Kleidung und verschlang meine Nudelbox stehend in meiner Küche. Unglaublich wie ausgehungert ich war. Ich trank eine ganze Flasche Wasser in schnellen Zügen und fühlte die Kopfschmerzen, die mich bereits im Café quälten, langsam den Rückzug antreten.

Eine ganze Weile starrte ich auf einen fixen Punkt in meinem Wohnzimmer, ehe ich mich dazu durchrang vor meiner leeren Staffelei, vor dem Fenster, Platz zu nehmen.

Es war ewig her, dass ich gemalt hatte. Allein der Gedanke daran, machte mich oft traurig, obwohl das Malen immer meine große Leidenschaft war. Doch mein Traum Kunst zu studieren würde sich für mich nicht erfüllen, nicht ohne die Unterstützung meiner Eltern, auf die ich nun nicht mehr zählen konnte.

Zaghaft strich ich mit meinen Fingern über dir raue Papieroberfläche. Es war immer ein besonderer Moment eine leere Leinwand zu betrachten und sie kurze Zeit später mit Leben und Farbe zu füllen.

Fast schon sentimental nahm ich Pinsel verschiedener Größen in die Hand und erfühlte die Beschaffenheit der Borsten. Ich mischte mir die Grundfarbe für meine ersten Pinselstriche in einer Palette zurecht und ließ meine Hand die Führung übernehmen. In diesem Moment gab es nur mich und das Malen.

Das Klingeln meines Haustelefons unterbrach diese seltene und tiefe Ruhe, die ich gerade verspürte. Die einzigen, die auf meinem Festnetztelefon anriefen, waren meine Eltern und Mary. Ich hoffte inständig, dass es nicht erstere waren.

Notdürftig wischte ich mir meine mit Farbe befleckten Hände sauber und eilte zu meinem Telefon im Hausflur. Laut Display war es Mary. Ich nahm das Telefonat entgegen und hörte zugleich ihre sanfte Stimme. Von Enttäuschung und Wut war nichts mehr zu hören. Vielleicht täuschte ich mich aber auch.

"Alec! Magnus ist hier und fragt nach dir. Er macht sich Sorgen, weil du nicht auf seine Nachrichten reagiert hast. Willst du herkommen, oder soll ich ihm deine Adresse geben?"

Erst jetzt dämmert es mir, dass ich nicht mehr auf mein Handy gesehen hatte, seitdem ich heute das Café betreten hatte. 'Was war nur mit mir los? Was sollte Magnus nun von mir denken?

"Alec?" Marys Stimme erklang erneut fragend durch den Hörer. 'Wollte ich wirklich, dass Magnus hierher kam und sah, wie ich lebte?' Vielleicht war es ihm ja egal und er wollte einfach nur mit mir zusammen sein.

Ich hatte nicht wirklich Lust heute nochmal meine Wohnung zu verlassen daher entschied ich mich für die naheliegendste Lösung. "Es geht mir gut. Gib Magnus meine Adresse", antwortete ich Mary und bedankte mich bei ihr, ehe sie das Telefonat beendete.

Unschlüssig sah ich mich in meinen eigenen vier Wänden um. Auch wenn ich nicht viel besaß, so schaffte ich es dennoch für mich selbst zu sorgen. Magnus hingegen wohnte in einem riesigen Apartment. Ihm mangelte es an nichts. Wir lebten beide in verschiedenen Welten und doch hatten sich unsere Wege gekreuzt. Das musste doch was bedeuten...

Fortsetzung folgt...

Searching for LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt