Riposare in pace / Ruhe in Frieden

28 3 5
                                    

„Wenn mir eines heute klar geworden ist dann,

dass während eines Krieges alle nur Verlierer sein können"

- Bambina

Samstag, 22.08.2020, Italien, Ravello, Cardamone Residenz

Bambina

„Wir sind hier und heute zusammengekommen, um zu trauern, zu gedenken und zu ehren. Wir betrauern die, die so unverhofft von uns gegangen sind und gedenken ihren großzügigen Taten. Wir halten die Erinnerung in Ehren, so wie auch ihre großen Taten, die sie für unsereins vollbracht haben. Sie haben geschützt und bewacht. Sie haben uns geschützt und uns bewacht, so wie auch unsere Kinder und erbenden Generation. Sie wollten unseren Kindern und unseres Kindes Kindern Frieden vermachen und dafür wurden sie von Barbaren gerichtet und zum Tode geführt."

Mit besagten Barbaren, über die der christliche Priester hinter seinem Altar sprach, waren meine Familie und diejenigen gemeint, die ihnen beim Verüben des Anschlags in der Dreamer's Academy in Ravello geholfen hatten. Ich verstand weder die Sprache, noch viel von der Religion, die dieser Priester hier verkörperte. Ich konnte seiner Predigt lediglich folgen, da Mr. Giuliani mir mit gedämpfter Stimme Übersetzungen einflößte. Ich hasste es ihn so nah an mich heranlassen zu müssen, seinen heißen Atem an meinem Ohr ertragen zu müssen, doch ich wollte verstehen und nachvollziehen können. Für was ich jedoch keinen Übersetzer gebraucht hätte, war die geballte Ladung an Verachtung und Hass, die die versammelten Leute hier den Cardamones und Helfern gegenüber empfanden. Ich war froh, dass keiner von ihnen wusste, wer ich tatsächlich war. Sie alle sahen in mir nichts weiter als ein unscheinbares Mädchen in langärmligem schwarzem Wollkleid und dunkler Nylonstrumpfhose mit schwarzen Damenschuhen mit ausgesprochen fester Sohle. Sie wussten nicht, dass besagte Kleidung eigentlich einem Mädchen namens Camilla Cardamone gehörten, einem Mädchen, das vor einer Woche „Liberta per Italia" gebrüllt und damit das Startsignal für den Aufstand gegeben hatte, der alle getötet hatte, denen der heutige christlich geprägte Gottesdienst gewidmet war.

Sarg an Sarg lagen sie dort aufgebahrt, all die Kriegswächter die an jenem Tag durch die Hände meiner Familie getötet worden waren. Es war ein schauriger Anblick. Noch nie zuvor hatte ich in meinem Leben eine wahrhaftige Leiche vor mir gesehen und hier waren es so viele, dass ich sie fast nicht hätte zählen können. Vor den Särgen standen kleine Schilder, die den Namen des Verstorbenen und deren letzten Beschäftigungsgrade verrieten. Nicht alle Särge waren geöffnet. Manche von ihnen seien „zu schlimm zugerichtet, um es den Augen der Angehörigen zumuten zu können", hatte mir Giuliani erläutert. Allmählich verstand ich, wieso Giuliani mir erlaubt hatte hierhin zu kommen. Er hatte mich schocken wollen. Er hatte mich auf seine, auf die Seite der Kriegswächter und gegen meine Familie aufbringen wollen.

Als ich am gestrigen Nachmittag eine englischsprachige Zeitung in meine Hände hatte bringen können, hatte ich ja nicht ahnen können, dass ich einen Traueraufruf auf der ersten Seite vorfinden würde. Ich hatte nicht ahnen können, dass mich Sarah Colombos in schwarz-weiß abgedrucktes Gesicht anblicken würde und mich die Zeitung wieder fallen lassen würde. Ich hatte mir an die Brust gefasst. Mein Herz hatte wie bekloppt in meinem Brustkorb gehämmert. Ich hatte einen erstickten Laut von mir gegeben und Martha hatte entsetzt zu mir aufgeblickt. Ich hingegen hatte nur wieder die Bilder vor meinen Augen, wie Sarah Colombos, die Dolmetscherin Anneliese Braumeisters, von Kugeln durchlöchert und zerfetzt worden war, wie ihr Blut ein bizarres Muster auf die umliegenden Wände gesprenkelt hatte. Und als mir der Atem gestockt war, als sich in meinem Hals mit einem Mal alles verschlossen hatte, war mir bewusst geworden, dass ich Schuld empfand. Mein Blut hatte das ihre vergossen, das eine einer Unschuldigen.

Ich hatte ihre abgedruckte Geschichte gelesen, darüber wie Sarah Colombos schon in jungen Jahren ein überwältigendes Sprachtalent bewiesen und somit trotz den ärmlichen Verhältnissen, in die sie hineingeboren war, schon früh besondere Förderungen genossen hatte. Der Sponsor dieser besonderen Förderungen: die bayrische Regierung. In ihren jungen Teenagerjahren hatte sie das Internat für Hochbegabte verlassen und hatte erstmalig die edelste Front der Arbeitswelt betreten. Im Hause Braumeister selbst hatte sie Praktika absolvieren dürfen und nicht viel später hatte man sie zur persönlichen Dolmetscherin von Nachwuchspolitikerin Anneliese Braumeister erklärt und als Aushängeschild für reelle Chancen der italienischen Bürger benutzt.

The Secret (BUCH I + 2) Als Mein Vergewaltiger Mir Blumen BrachteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt