Ein jede Seele
ist gleichviel wert,
leistet gleichviel,
verdient gleichviel,
gewähren wir dieselbe Chance
– The Secret
09.08.2020
Raylyn:
Mein Wochenende hätte kaum schlimmer verlaufen können. Einen Fehler hatte ich begangen, einen einzigen und er zog einen so unendlich langen Rattenschwanz mit sich. Wo lag darin die Fairness? Eine dämliche Pille hatte alles zerstört, alles was ich mir erkämpft hatte, hatte sämtliche Hoffnungen auf die nähere Zukunft erbarmungslos zerschmettert und nun saß ich hier mit absolut nichts mehr, an dem ich mich festklammern konnte. Das Universum hatte sich gegen mich verschworen. Schon lange war dies der Fall gewesen, doch besonders an diesem Wochenende hatte ich es spüren dürfen.
Mein Bein juckte und pochte heftig, doch ich widerstand dem Drang hinzufassen. Die Nähte waren noch frisch, genauso wie der dicke Verband darum. Jacky schwänzelte schnurrend um mich herum, doch das vermochte mich nicht aufzuheitern. Im Gegenteil, es stimmte mich noch frustrierter und trauriger als ohnehin schon. Dieser weiße Fellhaufen bedeutete mir alles. Sie war mein Krafttier, welches mich bedingungslos und unabdinglich liebte, ganz gleich ob ich ungeschminkt, stinkend oder faul war. Jacky setzte mich niemals unter Druck, sie pochte nicht darauf, dass ich zu funktionieren hatte wie „normale" Menschen. Sie erwartete nicht jede Woche neue Erfolge von mir und sie hielt mir meine Fehltritte nicht ewig vor, hatte mich nicht für meinen Fehler am Freitag geschimpft. Sie war das komplette Gegenteil von dem böswilligem Duo, welches aus meiner Mutter und meiner Verhaltenstherapeutin bestand. Die beiden Frauen brüsteten sich damit stets das Beste für mich zu wollen, doch sie hatten mir bereits so viel kaputt gemacht, mich so viele Höllen durchlaufen lassen und nun schleiften sie mich in jenem Moment zu einem weiteren Startpunkt einer solchen Parade.
Zurück in betreutes Wohnen sollte ich ziehen, wo ich mehr Kontrolle und einen geregelteren Tagesablauf würde genießen können. Dass dieses betreute Wohnen, bei dem bald ein Platz frei werden würde, keine Haustiere gestattete, interessierte die beiden dabei wenig. Meine psychische Gesundheit und mein Werdegang gingen vor, so deren Erklärung. Meine Mutter hatte einen hysterischen Anfall von Sorge um mich ereilt. Ich hätte sterben können, wenn die Müllabfuhr gekommen wäre, um den Container abzuholen, ich hätte dabei zerquetscht werden können, oder mir in dem ganzen Müll eine Blutvergiftung zuziehen können. Noch ein wenig tiefer der Schnitt und mein Blutverlust hätte besorgniserregend werden können. Die Pillen hätten mich töten können und so weiter und so fort. An Gründen warum mein Verhalten stets leichtsinnig war, fehlte es meiner Mutter nie.
„Können sie den Dealer beschreiben?", hatte mich ein Polizist auf der Wache gefragt, wohin mich meine Mutter und meine Therapeutin hingeschleppt hatten. „Klar. 1,80 groß ca., blond, blaue Augen", hatte ich entgegnet und sie hatten dies so in ihre Akten aufgenommen. TS stand für The Secret, so hatten wir gelernt und mit diesen Pillen sei nicht zu spaßen, da sie mit sehr exotischen Inhaltsstoffen im experimentellen Stil zusammengestellt wurden. Deren Wirkungsweisen seien noch weitestgehend unerforscht und im Ernstfall wäre es schwer jemanden retten zu können. Ich hatte den mahnenden Worten des Arztes kaum Folge leisten können. Die Worte The Secret hatten mir einen schmerzlichen Schlag in die Magengrube verpasst, denn sofort waren meine Gedanken umgeschwenkt zu dem mir wohl bekanntesten Mitglied: Jasper.
Die ganze Aktion mit dem Müllcontainer, die mein Bein in starke Mitleidenschaft gezogen hatte, war vollkommen umsonst gewesen, denn seine Nummer hatte ich nicht wiederfinden können. Doch noch immer sehnte ich mich nach ihm. Naja, vielleicht projizierte ich meine Sehnsucht auch nur auf ihn und in Wahrheit sehnte ich mich einfach nach irgendwem. Andere junge Mädchen sehnten sich vielleicht nach ihren Eltern, doch mein Vater war nicht hier und meine Mutter arbeitete gegen mich. Meine beste und auch so ziemlich einzige Freundin hatte selbst kurzerhand einen Nervenzusammenbruch erlitten und der nette Drogendealer von Freitag hatte mir einiges an Ärger eingehandelt, also blieb eben nur noch mein Vergewaltiger übrig, wie niedlich. Und selbst der hatte mir vorhin deutlich zu verstehen gegeben, dass er nichts mehr von mir wissen wollte. Immer wieder ging ich den Chatverlauf mit ihm auf Facebook durch, wo ich jetzt nur noch einen weißen Kopf vor bläulich grauem Hintergrund, anstelle seines Profilbildes betrachten durfte. Was bildete sich dieser Mistkerl überhaupt ein, mein Leben und mich so zu zerstören, die Wunden nach einem Jahr wieder aufzureißen und mich dann zurück in meine Grube zu stoßen?! Es hatte mich verdammt viel Mühe gekostet, mich auf Facebook bei ihm zu melden und ihm meine verwirrenden Gedankengänge und Herzschmerzen zu erläutern.
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The Secret (BUCH I + 2) Als Mein Vergewaltiger Mir Blumen Brachte
Misterio / SuspensoWas geschieht mit meinem Bewusstsein, wenn ich versterbe? Erlischt es einfach? Wird es neu geboren? Erhalte ich nach meinem Tod endlich Zugang zu meinem Unterbewusstsein, oder gibt es gar eine Möglichkeit dies schon vorher zu tun? Wo ist meine Seele...