Kapitel 2

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"Thalia mach doch bitte auf." Gedämpft hörte ich Grace' Stimme hinter der verschlossenen Tür. Ich lag auf dem Bett und starrte an die Decke. "Nein, das werde ich ganz bestimmt nicht." knurrte ich wütend. Ich hörte Grace seufzen. "Bitte. Die anderen beiden Kinder mit denen du immer an einem Tisch sitzt..." Hastig setzte ich mich auf. "Hab ich sie umgebracht?!" Erschrocken wartete ich auf eine Antwort. "Um Gottes Willen nein! Der einzige der sich etwas verletzt hat, war Thomas." "Hab ich ihn umgebracht?" "Nein, wie kommst du bloß auf sowas? Von den anderen Kindern hast du auch keinen umgebracht." "Schade." sagte ich enttäuscht und legte mich zurück auf das Bett. "SCHADE?! Thalia, spinnst du? MACH SOFORT DIE TÜR AUF!" schrie Grace. Ich schloss die Augen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Grace seufzte. "Bitte Thal, lass mich rein." Ich öffnete die Augen. Wenn Grace mich Thal nannte war sie entweder sehr traurig oder sie musste mir etwas sehr wichtiges sagen. Nervös stand ich auf, ging zur Tür und schloss auf. Grace sah mich mit ihren blauen Augen traurig an. "Kann ich reinkommen?" fragte sie und als ich nickte, setzten wir uns nebeneinander auf das kleine Bett. "Du musst hier wirklich mal wieder aufräumen." Grace sah sich mein Zimmer an. Ich hatte es mir früher mit zwei Mädchen geteilt, doch die beiden waren adoptiert worden und seitdem lebte ich allein hier. Ich hörte aber an Grace' Stimme, dass es nicht das war was sie mir unbedingt sagen wollte. Sie machte den Mund auf um fortzufahren, schloss ihn aber wieder. Ich nahm ihre Hand und sie zog ihre nicht weg. "Was ist los? Grace, komm sag's mir." Sie schluckte. "Also...es ist so dass...nun ja...wegen deiner Fähigkeiten, weißt du?" Ich sah sie verwirrt an. "Was ist damit?" fragte ich angespannt. Grace sah mich traurig an und als ich ihr in die Augen blickte, sah ich wie feucht sie waren. "Oh bitte, weine nicht." sagte ich. Eine Träne rollte ihre Wange hinunter. Ich wischte sie weg. Grace war die einzige richtige Freundin die ich hier hatte. Klar mit den beiden Kindern mit denen ich mir einen Tisch teilte, verstand ich mich auch, aber ich sprach nie wirklich mit ihnen. Grace war anders. Ihr konnte ich alles anvertrauen und sie vertraute mir dafür vieles an. Sie arbeitete in diesem Heim, war aber noch nicht alt. Mit ihren neunzehn Jahren war sie nur knapp sechs Jahre älter als ich. Sie hielt sich zwar sehr genau an die Regeln, besonders wenn es um Kopfbedeckungen beim Essen ging, aber ansonsten war sie ein wirklich toller Mensch. "Deine Fähigkeiten werden...stärker." sagte Grace leise. Ich sah sie irritiert an. "Na und?" "Nichts na und. Du...du hast sie nicht unter Kontrolle." Ich sprang auf. "Was?! Natürlich hab ich das! Hast du vorhin nicht den Drachen gesehen? Einen Drachen, Grace! Das ist wirklich schwer! Und es ist doch nichts passiert. Er hat nichts kaputt gemacht oder jemanden angegriffen! Ich hatte alles unter Kontrolle!" Grace schüttelte den Kopf. "Nein hattest du nicht. Hast du nicht gesehen wie er die hinteren beiden Tische mit seinem Schwanz umgeschmissen hat? Hast du nicht gesehen wie er auf Pia und Lennard niedergesaust ist und sie durch die Luft geschleudert hat? Die beiden hatten wirklich großes Glück, dass sie auf der frischen Wäsche gelandet sind, die hinten lag. Hast du das etwa nicht mitbekommen?" Ich schüttelte verwirrt den Kopf. "Ich dachte er tut ihnen nichts." flüsterte ich und setzte mich wieder neben Grace. Sie strich mir eine lilane Haarsträhne aus dem Gesicht. "Frau Johnson meint, dass es so nicht weitergehen kann." "Meinst du das auch?" fragte ich leise. Grace nahm mich in den Arm. "Ich denke du musst lernen, deine Fähigkeiten mehr unter Kontrolle zu beko..." "Grace, er ist da!" schallte plötzlich die laute Stimme von Frau Johnson, der Leiterin dieses Heims, die Treppe hinauf. Grace zuckte zusammen. Ich sah sie fragend an. "Wer ist da?" Doch sie antwortete nicht, sondern begann wieder zu weinen. "Alles in Ordnung? Grace, bitte sag mir doch was hier los ist!" flehte ich. Sie sah mir nicht in die Augen, als sie erklärte:"Ein Mann ist da der jemanden abholen will." Ich war verwirrt, bis ich den Sinn hinter den Worten verstand. "Mich?! Will er mich mitnehmen?!" Grace nickte traurig. Wut ließ mein Herz schneller schlagen. "Ihr wollt mich loswerden, stimmt's?" Ensetzt sah Grace mich an. "Dich loswerden? Nein Thal, das wollen wir wirklich nicht. Du bist uns doch allen ans Herz gewachsen." Sie nahm meine Hand, doch ich sprang auf. "ANS HERZ GEWACHSEN?! Du warst die einzige die mich je wahrgenommen hat! Die anderen wussten doch nur dass ich da war, wenn es keinen gab der den Abwasch oder die Betten machen wollte! Ihr wolltet von Anfang an dass ich von hier verschwinde. Weil ihr alle Angst vor mir hattet!" "Nein Thal, du siehst das ganz falsch! Hör mir zu..." "Nein Grace! Hör mir zu! Ich habe es gehasst hier zu wohnen! Nie konnte ich rausgehen, weil ihr alle Angst hattet, dass ich von hier abhauen und die Stadt überfluten könnte, oder so was ähnliches! Ihr denkt alle ich wäre ein Monster." "Nein Thal, das glauben wir nicht! Bitte hör mir zu!", versuchte Grace mich unter Tränen zu beruhigen. "Grace?! Sag mal, wo bleibt ihr denn? Der gute Mann hat nicht den ganzen Tag Zeit!" hörten wir Frau Johnsons Stimme. Ich packte Grace' Handgelenk. "Ich muss hier weg! Ich will nicht von irgendeinem Typen mitgenommen werden, der mir verbietet meine Kräfte einzusetzen und mich einsperrt, damit ich niemanden verletze." "Aber so ist der Mann nicht." sagte Grace. "Ach nein?! Wie ist er dann? Ist er so ein stinkreicher Futzie, der sein Geld für Markenschuhe und teure Autos zum Fenster rauswirft und mich jetzt adoptieren will, weil er dann besser rüberkommt? Oder ist er so ein dämlicher Professor, der mich jeden Tag zum Lernen zwingen will, damit ich später zu was werde?" "Thal, hör auf! Das stimmt alles gar nicht." unterbrach mich Grace wieder, aber ich ignorierte sie. "Wahrscheinlich ist er ein total dämlicher, nach Müll stinkender, alter Typ, der mich da adoptieren will! Aber nicht mit mir! Ich will nicht zu diesem bekloppten Menschen!" Ich schrie jetzt fast. "Pscht, sag nicht solche Sachen, du kennst ihn doch gar nicht." Grace sah beunruhigt zur Tür. "Es ist mir egal, ob ich ihn kenne oder nicht! Ich hasse ihn jetzt schon und will nicht zu ihm ziehen! Warum sollte ich auch?! Was ist denn so besonders an ihm?!" "Ich bin einer von deiner Sorte." hörte ich plötzlich eine Männerstimme hinter mir.

Der Kompass der Zeit *Pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt