Dunkelheit. Undurchdringliche, erdrückende, schwarze Finsternis. Ich fiel. Fiel in ein Loch, einen Strudel. Ins Nichts. Ich drehte mich um mich selbst, überschlug mich mehrmals und schrie, als würde ich dadurch gerettet werden. Mein Schrei verklang in weiter Ferne. Es schien kein Ende zu nehmen. Mein Herzschlag beschleunigte sich mit jedem Meter, den ich weiter auf das Ende zufiel. Denn es musste doch irgendwann ein Ende kommen? Oder? Und dann durchbrach etwas die Finsternis. Kleine Fäden aus Licht schwebten auf mich zu. Licht in allen Farben. Eisblau, Blutrot, orange wie der Sonnenuntergang, fröhliches Gelb, ein Grün so schön wie das Gras auf den Wiesen. Die Fäden aus buntem Licht schwirrten durch die Luft, schlungen sich umeinander und verschmolzen miteinander. Ich streckte meine Hand aus, um das Licht zu berühren, aber immer wenn meine Fingerspitzen kurz davor waren, es zu fassen, lösten die Fäden sich auf und entstanden an einer anderen Stelle neu. Fasziniert betrachtete ich das Phänomen, während ich in dem schwarzen Nichts versank. Meine Schreie wurden immer leiser, bis sie nach einer Zeit ganz erstarben. Wind fuhr mir durch die Haare. Doch ich hatte nur Augen für das Licht. Es bildete jetzt Formen. Die Fäden verschlungen sich so intensiv, dass sie sich zu Bildern zusammenfügten. Die Bilder waren so realistisch und lebensecht, dass ich zurückgewichen wäre, wenn ich nicht in die Tiefe fallen würde. Eine Flamme tauchte vor mir auf. Dann eine Welle, ein Tornado, eine Pflanze und eine Schneeflocke. Diese fünf Zeichen drehten sich umeinander, berührten sich aber nie. Und dann veränderten sie sich. Aus der Flamme wurde ein Junge, genauso auch aus der Pflanze und der Flocke. Aus der Welle und dem Tornado hingegen wurden Mädchen. Die Gesichter der Kinder waren dunkle Schatten, so dass ich sie nicht erkennen konnte. Ihre Kleidung war zerfetzt und leuchtete hell. Die Kinder liefen um mich herum, sahen sich immer wieder panisch über die Schulter und riefen unverständliche Worte. Und plötzlich fiel ich nicht mehr. Ich stand auf beiden Füßen in einer dunklen Landschaft. Bei genauerem Hinschauen erkannte ich meine Umgebung. Es war eine Stadt. Aber sie war verwüstet. Häuser waren zerfallen und hatten Fahrzeuge und - ein spitzer Schrei entfuhr meinen Lippen - leblose Körper unter sich begraben. Kein Geräusch war zu hören, kein Geruch gelangte in meine Nase. Es war unheimlich. Ich wollte hier weg. So schnell wie möglich. Ein leichter Wind strich mir über die Arme und ich fröstelte. Ich sah mich um, doch außer Schutt und Asche schien hier nichts mehr zu leben. Dann tauchten hinter einem Auto, dessen Dach von einem großen Metallteil zerdrückt worden war, wieder die fünf Kinder aus Licht auf. Sie sahen sich in dem Chaos um, schienen etwas bestimmtes zu suchen. Und plötzlich rief einer der Jungen etwas und die anderen kamen herbeigelaufen. Der Junge deutete auf den Boden und hob einen kleinen Gegenstand auf. Doch bevor sie es lange betrachten konnten, gab es ein lautes Geräusch und die fünf wurden von einer großen Kugel, nur aus Licht bestehend, eingeschlossen. Und dann wurde wieder alles schwarz. Ich merkte, wie ich langsam wieder erwachte, als ein allerletztes Bild vor meinem inneren Auge auftauchte. Ein großes, wunderschönes Amulett.
Wir saßen in einem runden Raum. Er war nicht besonders groß und hatte nur wenig Mobiliar. Ein einziges Regal, bis zum Rand gefüllt mit alten Büchern, und ein langer Schreibtisch mit einem Bürostuhl auf der einen und vier kleinen Sesseln auf der anderen Seite, waren das einzige an Möbeln in diesem Zimmer. Jaron saß auf dem Bürostuhl, die Beine lässig übereinandergeschlagen, die Hände im Schoß gefaltet und sah uns aus dunklen Augen an. Nevio saß in der Mitte von uns, Lia zu seiner rechten und ich hatte mich in den Sessel links von ihnen niedergelassen. "Also " begann Jaron. "Ihr fragt euch sicher alle drei, wieso ich euch herbestellt habe." "Ne, eigentlich nicht. Ich bin nur so schnell hergekommen, weil Cassian dann noch mehr Geschürr alleine spülen muss." grinste Nevio und ich verkniff mir nur mit Mühe ein Lachen. Jaron zog die Augenbrauen nach oben. "Ich bin im Moment nicht zu Späßen aufgelegt, Nevio." meinte er und seine Stimme klang bedrohlich. Er beugte sich vor und legte seine gefalteten Hände auf die Tischplatte. Nevio entschuldigte sich schnell und sagte nichts mehr. Jaron warf einen Blick auf den Braunhaarigen und wandte sich dann wieder uns allen zu. "Nochmal von vorne. Ich habe euch drei rufen lassen, weil ich diese Nacht eine Vision hatte." Lia schnappte nach Luft, aber Jaron ignorierte sie und fuhr fort: "Ich habe euch darin gesehen. Euch drei. Und den Jungen den wir an dem Abend, als ich dich abholte, gefunden haben, weißt du noch Thalia?" Ich nickte. "Ihr wart unterwegs. Ich weiß nicht wohin und zu welchem Zweck, aber ich weiß, dass es wichtig war." Nevio hatte sein Stillschweigen anscheinend vergessen und fragte mit leuchtenden Augen: "Wir dürfen raus? Heißt das etwa, Sie schicken uns fort von hier?" Jaron schüttelte den Kopf. "Keine falschen Hoffnungen, Mister Elsworth." Er seufzte. "Ich weiß, wie gern du hier raus willst, Nevio, aber du musst dich noch ein wenig gedulden. Wir müssen erst einige " Er räusperte sich. "Unannehmlichkeiten klären. Außerdem muss der Feuerjunge aufwachen, denn ich bin mir sicher, dass ihr ohne ihn nicht starten könnt. Gedulde dich noch ein wenig." Er sah Nevio an, doch es war Lia die das Wort ergriff. "Was für Unannehmlichkeiten bereiten Ihnen Sorge, wenn ich fragen darf?" Ich sah Lia verdutzt an. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie Jaron etwas so Privates fragte. Doch was mich noch mehr verwunderte, war, dass Jaron ohne mir der Wimper zu zucken antwortete: "Es sind schreckliche Dinge vorgegangen, meine Kleine. Bleib nachher in meinem Büro, ich muss dir etwas erzählen." Lia schluckte. Ich sah zwischen den beiden hin und her. Was hatten sie für ein Verhältnis zueinander, dass Jaron sie einlud, bei ihm im Büro zu bleiben? Mich hatte er bis zum heutigen Tag nur ignoriert und wie Luft behandelt. Und mit Lia wollte er sprechen? Unter vier Augen? Das ließ mein Herz ein klein wenig schneller schlagen. Ob vor Neid oder Wut, ich wusste es nicht und würde es wahrscheinlich auch nie herausfinden. Nevio schien das völlig kalt zu lassen. Er spielte mit seinen Fingern und dachte nach. Jaron wandte sich plötzlich an mich. Ich schien klein zu werden unter seinem Blick. "Wie geht es mit deinem Training voran, Thalia?" Die Frage überraschte mich. Ich schluckte kurz und antwortete: "Ähm ... es geht. Ich bin ja noch nicht lange hier. Ich übe aber." Jaron nickte und lehnte sich zurück. "Das ist gut. Dein Fleiß ist schön mitanzusehen. Sag, was sind deine Stärken?" Ich überlegte. "Meine Stärken? Ich glaube, ich habe gute Kondition. Und meine Reflexe müssten nur noch ein wenig trainiert werden, dann wären sie überraschend gut, hat mir ein Junge beim Üben gesagt." Jaron nickte. "Wie steht's mit dem Umgang von Waffen?" Ich biss mir auf die Unterlippe und erinnerte mich an eine der Stunden, in der ich Messerwurf trainiert hatte. "Nicht gut." "Mhm." machte der Mann und schien über meine Antworten nachzudenken. Mit einem leisen Seufzen, erhob er sich und ging zur Tür. Nevio und ich standen ebenfalls auf. Lia blieb sitzen. Jaron öffnete uns die Tür und wir traten auf den Gang. Bevor er die Tür wieder schloss, sagte er: "Ich gebe uns erst einmal zwei Wochen. In dieser Zeit werdet ihr so viel Trainieren wie nur möglich. Nevio, du gibst Thalia nach dem regulären Unterricht so lange Extrastunden, bis sie genauso gut mit dem Schwert umgehen kann, wie du mit deiner frechen Zunge. Bring ihr so viel bei, wie es in der kurzen Zeit nur geht. Ich werde dir dafür auch deine Strafen erlassen, die du dir durch deinen respektlosen Kampf mit Cassian eingehandelt hast. In zwei Wochen möchte ich Taten sehen." Dann flog die Tür ins Schloss.
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Der Kompass der Zeit *Pausiert*
ФэнтезиKleine Stürme oder Brände sind nichts neues für die Bewohner von Cãru, doch die Naturkatastrophen die die Stadt nun heimsuchen, sind etwas ganz anderes. Vier Kinder die die Elemente beherrschen, müssen sich auf die Suche nach den Urhebern dieses Ele...