"Nicht so verkrampft! Du musst einen entspannten Griff haben. Ganz ruhig, ich tu dir doch nichts. Und das Messer auch nicht. Also nochmal. Ich zeig's dir und du machst es nach. Den Daumen auf den Messerrücken legen, so wie ich. Ja, genau. Und jetzt behalte das Ziel genau im Auge und...wirf!" Das Messer landete drei Meter weiter im Boden und blieb dort stecken. "Ich bin ein hoffnungsloser Fall!" sagte ich und der Junge nickte. "Allerdings. Aber gib nicht auf. Wir alle haben so angefangen." versuchte er mich aufzumuntern. Ich sah ihn an. "Wirklich?" fragte ich nach. Der Junge seufzte. "Nein. Es war noch nie jemand so schlecht wie du." Ich hätte bei seinem Kommentar eigentlich wütend werden können, aber stattdessen lachte ich und griff zum nächsten Messer. Auch das ging weit daneben. Zum Glück läutete in diesem Moment die Glocke und ich lief hinter Lia aus dem Raum. 14 Uhr. Endlich. Unterrichtsende für heute. Wir ließen uns draußen auf einer Bank nieder und schauten dem Fußballspiel zu, das gerade aus dem Ruder lief. Ein Mädchen hatte sich mit einem bulligen Jungen angelegt und provozierte ihn aufgebracht. Es würde nicht mehr lange dauern und eine Schlägerei wäre im Gange. Doch plötzlich wurde es dunkel. Als hätte sich eine Wolke vor die Sonne geschoben, nur dass diese Dunkelheit viel erdrückender war. Die Luft schien weniger zu werden, meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich röchelte und versuchte wieder normal zu atmen. Auch die anderen Kinder schienen die Veränderungen zu spüren. Sie starrten zum Himmel hinauf und schienen ebenfalls mit der Luft zu kämpfen. Lia hatte mit der Atmung anscheinend am meisten Probleme. Sie brach zusammen und blieb zitternd auf dem Boden liegen. Wie unter schrecklichen Qualen begann sie zu schreien. Es war ein so grausamer Schrei, dass ich fast meine eigene Atemlosigkeit vergaß und mir nur noch die Ohren zuhalten wollte. "Li...ie." röchelte Chloe und versuchte ihrer Freundin irgendwie zu helfen. Lia schrie, schlug um sich und schnappte wie wild nach Luft. "Holt...einen Arzt!" keuchte Matilda. Der sonst so schöne Hof war gespenstisch dunkel, obwohl es erst früher Nachmittag war. Schreie zerfetzten die dünne Luft, Kinder lagen wie Lia auf dem Boden oder versuchten irgendwie mehr Luft zu bekommen. Ich sah mich um. Was geschah hier nur? Plötzlich erschallte eine einzige Stimme über den gesamten Hof. Laut und fest. "Sofort in das Gebäude! Alle!" Jaron. Als alle ihn nur erschrocken ansahen, brüllte er:" WIRD'S BALD?! Sofort ins Gebäude! Oder wollt ihr hier alle umkommen!?" Wie auf ein Zeichen, sprangen alle auf und rannten auf ihn zu. Selbst die Wächter an der Mauer verließen ihre Posten. Es war als würde die dünne Luft versuchen, sie aufzuhalten. Wie in Zeitlupe schleppten sich die Jugendlichen zum Tor. "Geht!" krächzte ich Isabelle, Matilda und Elsie zu. Als sie sahen, dass Chloe, Amelie und ich uns um Lia kümmerten, nickten sie und liefen wie in Zeitlupe zum Eingang. Alle Farbe war aus Lia's Gesicht gewichen. Ihr Körper wurde von Krämpfen geschüttelt, ihre Augen rollten in ihren Höhlen hin und her. Sie krächzte. Dann wurde sie still und erschlaffte. Chloe, Amelie und ich sahen erst uns und dann wieder Lia entsetzt an. "Liehh." keuchte eine Stimme hinter uns. Levi. Er ließ sich neben seiner Schwester auf die Knie fallen und nahm ihre Hand. Er machte den Eindruck, als würde er jeden Moment zusammenbrechen. Ich legte ihm zur Sicherheit meine Hand auf die Schulter. Levi zitterte und stöhnte und hechelte nach Luft, wie nach einem 5.000 Meter Lauf.
Als Jaron uns entdeckte, schleppte er sich in unsere Richtung. "Jaron! Was passiert hier?" fragte Chloe, doch Amelie unterbrach sie barsch. "Das ist doch gerade vollkommen egal! Lie geht es schlecht, verdammt." Mit einem Seitenblick auf Levi fügte sie hinzu:" Und Lev auch." Amelie war blass, aber sie schaffte es ihrer Stimme einen festen Ton zu verleihen. Der Hof war leer. Alle hatten sich in das Gebäude gerettet. Alle außer uns. Und Jaron, der sich jetzt neben Lia auf die Knie fallen ließ. Er legte ihr schweratmend eine Hand auf die Stirn, fühlte ihren Puls, schob dann seine Arme unter ihren Körper und hob sie hoch. Er warf Levi einen fragenden Blick zu, doch dieser schüttelte den Kopf. "I...ich komm klar." sagte er und Jaron nickte. "Sofort zurück zu den anderen!" sagte er und wir kämpften uns voran. Die Luft schien uns aufhalten zu wollen, griff mit langen Fingern nach uns und ließ uns kaum voran kommen. Wir schienen uns gegen eine unsichtbare Wand zu wehren. Jaron hatte es mit Lia auf dem Arm am schwersten, war der Langsamste. Ich drehte mich zu Amelie und Chloe um. Sie waren beide blass, aber es schien ihnen gut zu gehen. Levi torkelte leicht und ihm schien schwindelig zu sein. Er hatte sich die rechte Hand auf die Stirn gelegt. Plötzlich erweckte etwas Schnelles hinter ihm meine Aufmerksamkeit. Ich kniff die Augen zusammen, um es besser erkennen zu können und blieb stehen. "Was ist Thal?" fragte Amelie verwundert. Als ich nicht antwortete, drehte sie sich ebenfalls um. "Was ist d...?" rief sie und im selben Moment wie ich erkannte sie es. Wir stießen beide einen spitzen Schrei aus. Ich wollte laufen, mich in Sicherheit bringen. Doch ich kam nicht schneller voran als ein entspannter Jogger. Jaron, Levi und Chloe folgten unseren Blicken und Chloe kreischte. Sie schrie um Hilfe, versuchte sich gegen die Wand aus Luft zu wehren und begann laut zu weinen. Jaron brüllte:" Weiter, verdammt WEITER! Levi mach was!" Levi sah ihn an, als würde er Jaron nur durch einen Schleier erkennen. "Lev bitte. BITTE LEVI!" schrie Chloe, von Schluchzern geschüttelt und sah immer wieder voller Todesangst in den Himmel. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Cloes Stimme schien Levi aus seiner Trance zu reißen. Er schüttelte den Kopf, als wollte er einen unguten Gedanken vertreiben und öffnete langsam die Handflächen. Mein Blick huschte ruhelos zwischen dem Himmel und Levi hin und her. Levi war zu langsam. Wir würden es nicht schaffen. Er murmelte etwas, fuhr mit seinen Fingern durch die Luft und machte seltsame Bewegungen mit seinen Füßen und seinem linken Arm. Ich wollte ihm zurufen, er möge bitte etwas schneller sein, als Levi innehielt. "Es klappt. Lauft." Ich sah ihn fassungslos an, aber als Amelie zum Himmel deutete, setzte ich mich in Bewegung. Und es klappte. Ich konnte wieder normal vorankommen. Es war, als hätte Levi die unsichtbaren Mauern mit ein paar Worten und Bewegungen zerbrochen. Ich rannte so schnell meine Beine es hergaben und drehte meinen Kopf dabei, um die anderen im Auge zu behalten. Amelie und Chloe überholten mich. Entsetzen nistete in ihren Augen. Levi stolperte keine zwei Meter hinter mir und Jaron war mit Lia auf dem Arm so schnell wie ich. Der Eingang des Gebäudes kam immer näher, mit jedem Schritt. Wir hatten es gleich geschafft. Und dann schlug der Komet hinter den Mauern des Hofes ein. Die Wucht riss mir den Boden unter den Füßen weg. Ich landete hart mit dem Kinn auf dem Kies und verrenkte mir den rechten Arm. Ich hörte bis auf ein hohes Piepsen in meinen Ohren keinen Laut mehr. Es war als hätte der Komet mir die Sinne genommen. Eine riesige Feuerwand bäumte sich hinter uns auf. Ich hielt mir schützend den linken Arm über den Kopf. Brennende Holzstücke und hartes Metall regneten vom Himmel auf uns herab. Ich merkte nur noch wie die Welt explodierte, dann wurde alles schwarz.
![](https://img.wattpad.com/cover/35257782-288-k798598.jpg)
DU LIEST GERADE
Der Kompass der Zeit *Pausiert*
FantasyKleine Stürme oder Brände sind nichts neues für die Bewohner von Cãru, doch die Naturkatastrophen die die Stadt nun heimsuchen, sind etwas ganz anderes. Vier Kinder die die Elemente beherrschen, müssen sich auf die Suche nach den Urhebern dieses Ele...