Kapitel 2

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Er schaute mich mit seinen roten Augen an und mit einem gehässigen Grinsen. Ich zuckte zusammen und ging bedächtig langsam zurück. Er beobachtete jede meiner Bewegungen, doch er rührte sich nicht von der Stelle. Ich zitterte so heftig, dass ich jeden Augenblick fürchte, dass meine Beine unter mir nachgeben könnten. Er spielte Katz und Maus mit mir und ich war die Maus. In seinen Augen standen der Wahnsinn und die Gier nach meinem Blut. Selbst bei dem Gedanken bekam ich eine Gänsehaut und fühlte einen kalten Luftzug an meinem Nacken. Langsam setzte auch er sich in Bewegung und schlich sich an. Er ließ mich keine Sekunde aus den Augen, da seine Beute ja fliehen könnte. Auf einmal blitzte etwas in seinen Augen auf und er bewegte sich mit solch einer Geschwindigkeit, dass seine Konturen zu verschwimmen schienen. Von einer auf die anderen Sekunde überwältigte er die Entfernung zwischen uns, was bedeutete, meine Mühen, hier heil weg zu kommen, waren vergebens gewesen. Nun war ich wieder in meiner Angststarre gefangen, während er seine Hände nach mir aussteckte. Eine Hand strich von meiner Wange zum Hals, wo sie an meiner vor Angst stark pulsierenden Halsschlagader liegen blieb. Seine andere Hand hielt mich im Nacken fest, so dass ein Fluchtversuch nun noch unwahrscheinlicher geworden war.
„Na, sieh einer an. Was tut denn ein Lupus hier draußen so alleine? Und warum verwandelst du dich nicht? Nicht, dass ich es unnötig schwer haben möchte, denn die meisten meiner Feinde und Beute wehren sich mehr.” Ich sah ihn verwirrt an. Was redete er denn da?
„Es tut mir leid, aber sie müssen mich mit jemandem verwechseln. Ich habe keine Ahnung, von was sie sprechen!” Meine Stimme war nur noch ein flüstern, da mein Hals wie zugeschnürt war. „Netter Versuch Kleine, aber ich konnte dein Blut schon einen Kilometer gegen den Wind riechen!” Er begann zu lachen und mir gefror das Blut in den Adern. Ich starrte ihn immer noch vollkommen verständnislos, verwirrt, voller Angst und irritiert an.
„Es ist mir egal was du mir für Lügen auftischen möchtest, aber jetzt habe ich Hunger. Also halt still und es wird nicht so schmerzhaft.” Mit einer erneuten schnellen Bewegung vergrub er seine Zähne in meinem Hals und begann, gierig mein Blut zu trinken. Ich schrie so laut ich konnte, doch meine Kraft schwand mit dem Verlust meines Blutes. Die Welt um mich herum erschien mir von Sekunde zu Sekunde immer seltsamer. Alles verschwamm vor meinen Augen. Dann wurden die Griffe der Hände auf Nacken und Arm schwächer und ich fiel zu Boden, wo mein Kopf hart auf dem Boden aufschlug. Ein stechender Schmerz durchzuckte meinen ganzen Körper. Als mein Blick wieder klarer wurde, sah ich auch den Grund, warum der Vampir mich nicht komplett ausgesaugt hatte. Er war umzingelt von Wölfen. Sie waren viel zu groß. Sogar weit größer als mein Hund. Sie könnten mit dem Rücken bestimmt einen Meter zehn in die Höhe ragen. Ihre riesigen Tatzen scharten in der feuchten Erde, ihr Blick war feindselig auf den Vampir gerichtet. An mein Ohr drangen viele knurrende Laute und im Wald, etwas entfernt von der Lichtung, hörte ich Wolfsgeheul. Als ich eine melodische, tiefe Stimme in meinem Kopf wahrnahm, war es, als ob ein Schalter in meinem Kopf umgelegt wurde. Ich verstand nämlich, was sie sagte. Sie schien an den Vampir gerichtet zu sein.
„Mortas! Du weißt gar nicht, wie sehr ich mich freue, dich hier zu sehen. Ich werde mir dieses Mal die Chance nicht entgehen lassen, dich zu töten. Ich hoffe, du weißt das!” Der Vampir, also Mortas, schaute nicht sehr beeindruckt. Es spiegelte sich nur leichtes Erstaunen in seinem Blick wieder.
„Ich bin nicht gerade begeistert, euch hier zu sehen. Ihr habt mich beim Essen gestört. Aber ich werde es einfach der mittlerweile unendlich langen Liste, warum ich euch vernichten möchte, hinzufügen. Ich würde mich natürlich auf ein kleines Duell einlassen, aber wie heißt es so schön? Nach dem Essen sollte man es ruhig angehen lassen und sich nicht übernehmen. Also bis bald!”, und schon war er blitzschnell, gefolgt von gut fünfzehn Wölfen, in den Schutz der Bäume verschwunden. Das letzte, an was ich mich erinnerte, bevor mich die Dunkelheit umfing, waren große eisblaue Augen, die einem schwarzen Wolf gehörten.
Ich wachte in einem weichen, fremden Bett auf. Viel zu schnell setzte ich mich auf und bereute es sofort. Ich hatte furchtbare Kopfschmerzen, mir war schwindelig und mein Hals brannte. Aber ich musste unbedingt hier weg, da ich weder wusste, wie ich hier her gekommen war, oder wo ich war, noch wer mich hier hingebracht hatte. Die Erinnerungen an die Nacht hatte ich immer noch vor Augen, aber nach der Flucht des Vampirs konnte ich mich an fast nichts mehr erinnern. Das einzige, was ich noch wusste, waren eisblaue Augen eines Wolfes, starke Arme, die mich vom Waldboden hochhoben und die aufgeregte, sorgenvolle Stimme eines Mädchens. Dazwischen und danach war alles schwarz. Ich schlich zur Tür hinaus und den Flur entlang. Ich wollte auf keinen Fall entdeckt werden. Als ich gerade in den nächsten Flur ab bog, öffnete sich die Tür am anderen Ende. Langsam und leise schlich ich zurück und rannte dann die Treppe hinunter. Ich war fast an der Haustür angekommen, als mich Arme von hinten umfingen und mich am entkommen hinderten. Erschrocken schrie ich auf und begann, mich zu wehren. Mit jeder Sekunde wurden meine Kopfschmerzen größer und unerträglicher.
„Wenn du aufhörst, dich zu wehren, lasse ich dich los.”, sagte eine tiefe, kräftige und leicht belustigte Stimme eines jungen Mannes zu mir. Die Kopfschmerzen ließen sich nicht länger ertragen und ich hörte auf mit meinen kläglichen Versuchen, mich zu befreien. Erstaunt stellte ich fest, dass er mich tatsächlich los ließ. Ich taumelte ein paar Schritte vorwärts, bevor ich mich umdrehte. Vor mir stand ein Junge, der so alt war wie ich. Vielleicht auch ein oder zwei Jahre älter. Er hatte schwarzes zerzaustes Haar und blaue Augen, die von dunklen Wimpern umrahmt wurden. Wenn ihn Jade gesehen hätte, hätte sie sofort alles stehen und liegen gelassen. Diese Vorstellung daran hätte ich in einer anderen Situation vielleicht lustig gefunden. Jetzt jedoch war es nicht so. Ich weiß nicht, an was es lag, aber ich konnte ihn definitiv nicht leiden. Was aber nichts daran änderte, dass er echt attraktiv war. Ich hörte Schritte und sah ein Mädchen in dem gleichen Alter auf uns zukommen. Sie hatte hüftlange schwarze Haare und graublaue Augen mit langen Wimpern. Sie war groß und schlank und trug schwarze Sachen, wie auch der Junge.
„Hey. Du bist aufgewacht. Ich habe mir schon langsam Sorgen gemacht. Mortas hat dich ganz schön zugerichtet. Damien! Was hast du gemacht? Ihr Verband ist schon wieder total blutdurchtränkt.” Sie schaute den Jungen vorwurfsvoll an, während dieser nur mit den Schultern zuckte und sagte: „Ich bin nicht dran schuld! Sie ist diejenige gewesen, die abhauen wollte und ich habe sie nur daran gehindert.” Er hatte zwar Recht, aber ich kam trotzdem nicht ganz mit.
Welchen Verband meinte sie?
„Hi. Ich bin Nayomi Agoza und das ist mein Bruder Damien. Wir wollen dir nur helfen. Wir hatten einen schlechten Start, also wenn du willst können wir noch mal von vorne beginnen.” Sie lächelte mich an und ich mochte sie auf Anhieb. Sie zeigte auf meinen Hals, wo ich jetzt einen Verband bemerkte, und bot an, mir den Hals neu zu verbinden. Ich willigte ein und ging mit ihr zusammen ins Bad. Dort wurde der Verband gewechselt und Nayomi gab mir neue Anziehsachen, da meine völlig schlammverkrustet waren. Als sie gegangen war, duschte ich vorsichtig, um den Verband nicht nass zu machen und zog mich an. Ich ging in die Küche, in der sie gerade Kaffee machte und auf einen der Stühle zeigte. „Darf ich dich was fragen?” Ich musste unbedingt wissen, wo ich war, wie ich hierher gekommen war und wie es jetzt weitergehen sollte.
„Ja natürlich. Ich glaube, dass bin ich dir irgendwie schuldig.” Sie trank einen Schluck Kaffee und wartete, dass ich etwas sagte.
„Danke. Also! Wie bin ich hier hergekommen? Wo bin ich? Was passiert jetzt? Was soll ich meinen Eltern sagen? Wieso war da ein Vampir? … ” Ich hatte noch viel mehr fragen, aber die mussten warten. Noyomi lächelte. „Wir sind in dem Ferienhaus meiner Familie. Der Agoza-Familie. In unserer Welt sind wir sehr mächtig und angesehen. Außerdem…” Ich musste sie einfach unterbrechen. „In eurer Welt?” Wollte sie mich noch verwirrter machen? Das war ihr gelungen.
„Es gibt nicht nur eure Welt, die Erde, welche für dich die Wirklichkeit oder Realität ist. Es gibt auch eine magische Welt, fern und verborgen vor den Menschen. Unsere Welt. Sie heißt Luxaria. Früher lebten die zwei Welten in Freundschaft, aber es gab immer jemanden, der beide Welten beherrschen und unterwerfen wollte. Deshalb hat man die Verbindung, bis auf ein paar Portale, getrennt. In unserer Welt leben andere Kreaturen als auf der Erde. Dort leben Dämonen, Drachen, Vampire, Elfen, Trolle, Zwerge, Zauberer und die Lupus. Wir gehören zu Ihnen. Die Lupus sind ein altes Volk, was zur einen Hälfte Wolf und zur anderen Hälfte Mensch ist. Wir können uns in das eine oder das andere jederzeit verwandeln. Du gehörst auch mit dazu Layla Gray. Wir und andere Lupus wurden hierher geschickt, um dich zu suchen und nach Luxaria zu bringen. Du musst nach Feylon, unsere Hauptstadt, um dort mit uns auf die Lupus Academy zu gehen.” Erschrocken und zugleich fasziniert hatte ich ihr zugehört.
„Du willst mir also weißmachen, dass ich ein Lupus bin und in eine andere Welt reisen muss? Woher kennst du überhaupt meinen Namen?” Sie schien es mir nicht übel zu nehmen, dass ich ihr noch nicht geglaubt hatte. „Ja. Genau das will ich sagen. Deinen Namen wissen wir vom Drachenrat. Die Drachen sind die ältesten und weisesten Geschöpfe. Sie finden immer wieder Lupus, welche in dieser Welt hier leben und ihre Kräfte noch nicht beherrschen. Sie haben uns den Auftrag gegeben, aber den genauen Grund haben wir nicht erfahren. Tut mir leid.” Sie schien es wirklich so zu meinen, also riss ich mich zusammen. „Was wird aus meinen Eltern? Wissen sie etwas davon?”, fragte ich deshalb. Ich hatte vor, solange mitzuspielen, bis sie mich gehen ließen.
„Sie sind aus Luxaria in die Menschenwelt gezogen, als der große Krieg vorbei war. Sie hatten zu viele schlechte Erinnerungen an unsere Welt, dass sie den großen Zauberer um Hilfe baten. Er gab ihnen ein neues Leben in der anderen Welt, wo sie ungestört leben konnten. Die Drachen sagten aber auch, dass sie dich nicht immer vor uns versteckt halten könnten und die Drachen haben immer Recht. Während du bewusstlos warst, sind ein paar Lupus zu deinen Eltern gegangen und haben um Ihre Erlaubniss gebeten, mit der du auf die Academy gehen darfst. Sie waren nicht gerade begeistert, aber sie mussten zugeben, dass es so besser und sicherer für dich wäre.” Das überraschte mich und ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Jetzt war ich doch kurz davor, es zu glauben. Irgendetwas sagte mir, dass sie die Wahrheit sagte. Meine Eltern hatten die ganze Zeit so ein Geheimnis vor mir und nicht einmal daran gedacht, es mir zu sagen, obwohl sie vorgewarnt worden waren?  Nayomi bot mir an, mich nach Hause zu fahren, aber ich war viel zu neugierig, dass dies auf später verschoben wurde und sie mir noch etwas mehr erzählte.
Kurz bevor die Sonne untergegangen wäre, brachte sie mich nach Hause zurück.
Ich verabschiedete mich von Nayomi und wir einigten uns darauf, dass sie mich abholen würde, um mich mit in die Academy zu nehmen. Ich betrat den Flur, wo meine Eltern auf mich warteten. Sie umarmten mich und meine Mom sagte: „Es tut mir so leid Layla. Wir dachten, wir könnten dich davor besser beschützen, indem wir es dir verheimlichen. ” Sie war den Tränen nahe. Ich sagte Ihr, dass alles in Ordnung sei und es verstehen würde, denn egal, wie schlimm es war, ich konnte es ihnen einfach nicht vorwerfen. Noch während ich mich bettfertig machte, überlegte ich, was ich jetzt nur Jade sagen sollte. Ich wollte sie nicht anlügen. Ich hätte ihr gerne gar nichts davon gesagt, da ich nicht von ihr Abschied nehmen wollte oder besser gesagt konnte. Aber alleine der Punkt, dass ich plötzlich auf eine andere Schule wechseln würde, würde nicht unbemerkt bleiben. Ich wollte es ihr einfach nicht verheimlichen und außerdem war doch gerade Jade diejenige, die an all die Magie und Sagen glaubte. Aber wie würde sie reagieren, wenn ich ihr sagte, dass ich ein Wolf war? Natürlich nur ein halber Wolf, aber das war nicht gerade ein entscheidender Punkt. Mit all diesen quälenden Gedanken ging ich nun ins Bett und versuchte eine anständige Lösung für all meine Probleme zu finden. In dieser Nacht fand ich keinen Schlaf.

(Leseprobe) Lupus Academy (1) Schatten oder Licht Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt