Kapitel 21

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"Das ist für mich.", sage ich mit einem Lächeln auf den Lippen. 

Mir wird total warm ums Herz. Sie hat an mich gedacht. Vor ihrem Tod.

"Ist es okay, wenn ich...", fange ich an. 

Ich möchte es alleine öffnen. Ich habe wirklich keinen Schimmer, was drin ist, aber ich weiß nicht, wie ich reagieren werde. Wenn ich weine, soll mich Logan wirklich nicht dabei sehen. Wenn ich mich freue, soll die Freude nur mir ganz alleine gehören. Egal wie egoistisch das ist.

Er unterbricht mich mit einem Nicken und ich laufe nach oben.

Ich öffne es schnell mithilfe eines Messers und dort ist ein großes Plakat draufgelegt, sodass nicht zu erkennen ist, was das Paket enthält.

Auf dem Paket steht in Elsas wunderschöner Handschrift: Laufe zum Strand und öffne es. Ich weiß, du liest dort am liebsten.

Tränen bilden sich in meinen Augen. Daran hat sie gedacht? Es ist so lange her, dass wir gemeinsam am Meer waren.

Ich will so schnell wie möglich den Strand erreichen und nehme deshalb den hinteren Ausgang, sodass Logan mich nicht (wenn auch nur mit kurzen und wenigen) Fragen durchlöchern kann. Auch wenn ich natürlich weiß, dass er das niemals böse meinen würde, aber niemand auf dieser Welt könnte verstehen, wie aufgeregt ich bin und wie sehr ich alles darin sehen will.

Ich renne förmlich zum Strand und setze mich dort ohne Handtuch in den Sand.

Das Plakat lege ich vorsichtig zur Seite, da ich nichts verlieren möchte. Auch wenn es nur winzige Details sind. Ich behalte alles von Elsa, was zu behalten ist.

Das erste, was mir in mein Auge sticht, ist ein rosa Umschlag, auf dem Öffne mich zuerst! steht. 

Rosa. Meine Lieblingsfarbe. Niemand außer ihr denkt an so kleine Dinge, die mir so viel bedeuten.

Ich öffne den Umschlag, in dem sich ein Brief befindet und ich fange an zu lesen:

Hey Stelli,

es ist soweit, der Moment, von dem jeder schon jahrelang ausgegangen ist: der Krebs hat gewonnen.

Es tut mir so leid, aber ich konnte nicht mehr. Meine Lunge hat versagt. 

Ich glaube, es ist Zeit, dir die Wahrheit zu sagen:

Als du geflogen bist, war mir klar, dass ich sterben werde. Sehr bald sogar. Der Arzt gab mir nur noch ein paar Tage. Ich weiß, ich schien immer so glücklich zu sein, aber das habe ich nur für euch getan. Ich wusste, dass ihr einen weiteren Tod nicht verkraften könntet. Nicht nach Papa. Und keine kranke Elsa. Mich sterben zu sehen war schrecklich für euch und das weiß ich. Ich habe so getan, als ob es mir besser geht, damit es euch besser geht. Aber ich sage es dir, wie es ist:

 Ich wollte sterben. Innerlich wollte ich sterben. Ich konnte nicht mehr, Stelli. Mein Lächeln war gespielt, schon seit Monaten. Es ging mir schrecklich. Ich habe versucht, meine Schwächen zu verstecken. Das Laufen; ihr habt es nie bemerkt, aber ich bin von Tag zu Tag langsamer gelaufen, weil ich anders keine Luft bekommen habe, das Atmen; ich habe immer mehr Atemzüge gemacht, mein Fieber; es stieg von Tag zu Tag und egal wie schlecht es mir ging, ich überspielte es. Ich bin eigentlich sogar ziemlich schockiert darüber, wie gut ich darin war. 

Es gab nie bessere Werte. Ich habe alles vor euch verheimlicht.Und es tut mir so unglaublich Leid.

Aber Stelli, ich kenne dich. Ohne diese Lüge würdest du nur in deinem Zimmer hocken und weinen. Und du kannst mir nicht sagen, dass du bis jetzt keine schönen Erlebnisse hattest. Glaub mir, du hättest diese nie gehabt, hätte ich dich nicht belogen. Es war ein schreckliches Dilemma, aber ich halte es bis jetzt für das Beste.

Und lebe weiter so.

Nutze dein Leben. Lebe es für mich. 

Sage Logan, dass du ihn magst. Ich bin mir sicher, er mag dich auch. Verbringe Zeit mit ihm. Folge immer deinem Herzen. Tue das, was du für Richtig hältst. Nutze dieses Jahr. 

Ich hielt meinen Tod irgendwann für das Richtige und glaub mir, das war es. Diese Lügen waren schrecklich euch gegenüber und auch mir ging es so nicht besser. Es tut weh, aber vergiss nie, ich bin immer bei dir. Ich bin über dir im Himmel und sehe auf dich hinab. Sprich mit mir. Ich schwöre, es wird dir gut tun und ich höre dir zu. Wann immer du mich brauchst.

Ich habe dieses Auslandsjahr für dich geplant. Nutze es bitte. Nicht um mich zu vergessen. Du sollst den Krebs vergessen. Du hast Jahre lang damit gekämpft und jetzt ist es vorbei. Du brauchst dir keine Sorgen mehr um den Tod von mir und Papa machen. Wir sind noch da. Nur nicht mehr auf der Erde. 

Das hier ist kein Abschiedsgeschenk. Es ist eine Erinnerung an mich.

Aus diesem Grund verabschiede ich mich nicht von dir. Ich sage "bis bald". 

Wir werden uns wiedersehen, glaub mir. Irgendwann werde ich dich wieder in den Arm nehmen können.

Deine Elsa

Huch, ich habe wirklich beim Schreiben geweint haha. Tut mir leid, dass die letzten Tage nichts kam, aber mir war das Kapitel sehr wichtig und ich wollte mir Mühe geben. Ich hoffe es hat euch gefallen<33

One life in a year GERMAN EDITION/ written by Nicole BrownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt