17|| Den Tod im Blick

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P.O.V. Thalia:

Wenn ich ganz ehrlich mit euch bin habe ich bei Meys Erzählungen nur halb aufgepasst. Kennt ihr das, wenn ihr eine Frage stellt und wenn die Person euch eine Antwort gibt ihr einfach abschaltet? Das ist mein Leben. Aber egal was es war, alles würde es wert sein, Gwen wieder sehen zu können. Die Sorge um meine Freunde wurde durch die Vorfreude weggedrückt, weswegen ich kaum an die nun Verbrecher denken musste. Wir kamen vor irgendeiner Höhle an, in welcher irgendeine Steinzeitfrau mit roten Augen lebte. Wer lebt denn auch bitteschön in einer Höhle? Als dann der Name Hel fiel war ich komplett verwirrt. Wir kamen inzwischen schon zu sehr von Skript ab.
Aus dem Fliegengehirn, das ich besaß versuchte ich rauszufischen was mich nun erwartete. Irgendetwas mit Ängsten? Ach ja! Sich den Ängsten stellen.
Ich verstand da nicht wirklich, was das Problem dabei war. Skorpione machten mir zwar Angst, aber dann halte ich mich einfach fern von denen. Oder würde es ein großer Skorpion sein? Dann wäre ich am Arsch.
Wir gingen nach langem Gerede in die Höhle bis Mey und ich plötzlich irgendeine Wüste entlang liefen. War das etwa Meys Angst? Ich vermutete, dass wir auf dem Weg nach Helheim wahrscheinlich an unseren größten Ängsten vorbeimussten, also schaute ich schon im Sand Ausschau nach diesen Biestern.
Andere Spinnentiere gingen klar, aber Skorpione haben nunmal ein psychopatisch veranlagtes Gen. Spinnen und Skorpione unterscheiden sich für mich insofern, dass sie ihre Waffen anders tragen. Spinnen sind Menschen, sie ihre Waffe nah bei sich führen und nicht wild damit herumfuchteln. Skorpione hingegen sind Menschen, die schon ausgeholt haben und nur darauf warten, zuzuschlagen. Du kommst ihm zu nah? Bäm! Du beleidigst seine Mutter? Bäm!
Die sind schon bereit für Stress.
Hier lief ich nun durch eine fremde Höhle mit meiner verrückten Tante (die definitiv irgendein Raubtier ist) und philosophierte über Skorpione und Spinnen.
Meine Grundschullehrerin hatte recht, ich hatte echt eine Konzentrationsschwäche.

Vollkommen in Gedanken versunken merkte ich nicht, wie sich meine Umgebung wechselte und ich gegen jemanden stieß.
,,Mey?", fragte ich mit der Annahme, sie sei plötzlich stehen geblieben.
Ich schaute auf und konnte nicht glauben, wen ich dort sah. Es dauerte einen guten Moment, bis ich etwas herausbrachte.
,,Mom?"
Waren wir etwa schon in Helheim angekommen?
Die Frau mir gegenüber schaute zu mir hoch. Für einen Moment dachte ich, dass ich in einen Spiegel blickte. Die selben Locken, die selbe Nase, die selbe Gesichtsform, die selbe gebräunte Haut und das selbe Lächeln.
,,Hallo, Thalia."
Ich war vollkommen perplex und blinzelte mehrmals, bis ich realisierte, dass die Person vor mir tatsächlich meine Mutter war. Ein Grinsen bildete sich auf meinem Gesicht, als ich ihr in die Arme fiel.
,,Es ist schön, dich endlich kennenzulernen, mein Kind."
Ich löste mich aus der Umarmung und schaute sie mir nochmal an. Die grauen Augen hatte ich auf keinen Fall von ihr, aber ich wünschte mir es wäre so. Die Größe hatte ich aber sicherlich von meinem Dad. Sie lächelte mich so seelenruhig an, dass sie mich damit ansteckte.
,,Ich wollte dich schon immer mal treffen, Mom."
Sie lächelte noch breiter und legte eine Hand auf meine Wange. ,,Damit du mir erzählen kannst, wie du im Leben versagt hast?"
Es herrschte kurz Schweigen, wo ich verarbeitete, dass sie das gerade gesagt hatte.
,,Was?"
Sie zuckte mit den Schultern und lief um mich herum. ,,Ist doch die Wahrheit, oder nicht?"
Es stach in meinem Herzen, so etwas von ihr zu hören. Ich hatte sie noch nie in meinem Leben getroffen, aber sie hatte nunmal dennoch einen Platz in meinem Herzen.
,,Wieso sagst du so etwas?"
Sie blieb wieder vor mir stehen und betrachtete mich von oben bis unten. Als sie dann noch höhnisch lächelte fühlte ich mich zurückgeworfen in die Zeit, wo sich noch Schulzicken über mich lustig machen konnten ohne Gegenwehr zu erwarten.
,,Das ist doch klar. In der Schule keine Freunde, jeden Tag Probleme mit den Lehrern. Da hast du einmal Jason gefunden und der wird ermordet." Sie lachte kurz auf. ,,Und von Gwen fangen wir erst garnicht an."
Mit dem letzten Satz hatte sie einen wunden Punkt getroffen. Plötzlich spürte ich all die aufgestaute Wut und Trauer in mir. ,,Wag es ja nicht so über Gwen zu reden."
Meine Stimme war zittrig, ich versuchte nicht loszuschreien.
Sie hob abwehrend ihre Hände ,,Ich mein ja nur. Und da bist du einmal ein Avenger lässt du direkt deine Teamkameraden im Stich. Rhodey ist verletzt, die Hälfte deiner anderen Kollegen sitzen im Knast und du machst nicht einmal Andeutungen ihnen zu helfen."
Mit jedem Wort, das sie aussprach fühlte ich mich kleiner und schwächer. Die Schuldgefühle kamen auf und überschwemmten mich.
,,Und von Freunden kann man erst garnicht reden. Ist dir nie aufgefallen, wie genervt die dich immer anstarren? Die können dich gerade noch so tolerieren." Sie hob eine Augenbraue. ,,Ich bin gestorben, um dich zu gebären. Du stiehlst mir mit deiner erbärmlichen Existenz nicht nur das Leben, aber du verschwendest auch den Mord an mich."
Ich machte den Mund auf, um mich zu verteidigen, aber ich brachte nichts raus. Es war, als würde ich nicht richtig atmen können. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich blickte nach unten auf den Boden, weil ich es nicht über mich brachte sie anzuschauen.
Das Treffen mit meiner Mutter hatte ich mir auf jeden Fall anders vorgestellt. Es sollte liebevoller ablaufen, ohne eine Mutter, die einem Vorwürfe an den Kopf wirft. Das was im Moment passierte war was im schlimmsten Fall passieren würde, nur ein worst-case Szenario.
Die Zahnräder in meinem Kopf klapperten, bis auch mein Sinn für Magie einsetzte. Illusionsmagie schwebte in der Luft. Wieso war mir das nicht früher aufgefallen?
Ich blickte auf in ihre Augen. Ihr Gesichtsausdruck zeigte keine Emotionen. Ich nahm all meinen Mut zusammen und versuchte meine Stimme fest und bestimmerisch klingen zu lassen.
,,Du bist nicht meine Mutter."
Es war für einige Sekunden still, ich hatte kurz den Gedanken, dass sie garnicht wahrgenommen hatte was ich gesagt hatte - bis sich plötzlich ihre Mundwinkel nach oben bewegten und sich ein hässliches Grinsen auf ihrem Gesicht formte. Ihre Lippen hatten sich so weit verzerrt, dass es schon fast gruselig aussah.
,,Schlaues Mädchen.", war alles was ich hörte, bis sie sich auflöste und sich etwas neues vor mir bildete.
Ich war in der Wohnung, in welcher ich mich Gwen und Jason lebte, genauer gesagt ihm Wohnzimmer.
Jason kam rückwärts durch die Tür, sein Gesicht vor Angst verzogen. Mit großen Augen blickte er der Gestalt entgegen, welche sich ihm grinsend näherte. Mir wurde übel, als ich ihn wieder sah.
Molecule Man.
,,Sir, bitte. Ich habe reichlich Geld."
Owen Recee lachte. ,,Hinter deinem Geld bin ich nicht her, Junge."
Die Armreifen, die Jason trug umschlangen ihn fest und hoben ihn hoch in die Luft. Jason keuchte und schaute erschrocken zu Owen.
,,W-Was..."
Eine Schublade öffnete sich und alle Küchenmesser schwebten in die Luft. Ich wollte mich bewegen und Jason zur Hilfe eilen, doch ich konnte mich nicht bewegen. Mein Verstand war plötzlich leer, ich vergaß, dass das Geschehnis vor mir nicht echt war. Ein Messer flog langsam näher an ihn heran, als ich mich wieder daran erinnerte, was die Gerichtsmediziner gesagt hatten.
Er wurde langsam durchstochen. Mit einem Messer nach dem anderen.
,,Bitte. Ich sage auch niemandem, dass Sie hier waren."
Owens Grinsen wurde so breit, dass man seine gelben Zähne sehen konnte. Er sah die Kette mit dem kleinen Kruzifix, die Jason trug.
Die Messerspitze platzierte sich an seiner Handfläche. Jason keuchte.
,,Du glaubst also an Gott, Kleiner? Vielleicht wirst du in den Himmel gelassen, wenn du wie sein Sohn verstirbst."
Das Messer bahnte sich langsam den Weg durch seine Hand. Jasons Schrei brannte sich in meinen Kopf ein. Ich konnte den Kuchen von heute wieder schmecken und schaffte es nicht, von Jasons Gesicht wegzublicken, das voll mit Tränen war. Mein ganzer Körper zitterte, als ich mit ansah, wie ein unschuldiger Mann langsam und schmerzhaft umgebracht wurde. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis ich mich wieder bewegen konnte, aber eigentlich hatte Molecule Man mit dem ersten Messer noch nicht einmal den Handrücken erreicht.
Als mein Körper wieder das tat was ich ihm befahl, verwandelte ich mich in meine Jotungestalt, schrie auf und rannte auf Owen zu. Ich packte ihn an der Kehle und warf ihn zu Boden. Die Wut in mir stieg mit jeder Sekunde, sodass ich immer fester um seinen Hals griff. Alles was er tat war zu grinsen und mir in die Augen zu blicken, bis ich so fest zudrückte, dass sein Nacken brach. Ein Knacksen ertönte und seine Augen blickten mir nur noch leer entgegen.
Dann fiel mir auf, was ich gerade getan hatte.
Ich hatte jemanden getötet.
Ich hatte noch nie jemanden getötet.
Ich schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Als ich wieder die Augen öffnete lag jemand anderes unter mir. Gwen lag dort, die blauen Augen auf mich gerichtet. Ich schrie erschrocken auf und löste den Griff von ihrem Hals.
Sie bewegte sich noch schwach und bewegte ihre Hand in meine Richtung. Sie versuchte etwas zu sagen, also bückte ich mich zu ihr um sie besser verstehen zu können.
,,Du...hast mich... umgebracht."
Mir wurde kalt, obwohl mir nie kalt wurde.
Mein Körper erstarrte erneut.
Tränen rannten meine Wangen runter während ich mich fühlte als würde mir jemand gerade das Herz rausscheiden.
Sie starrte mich nur weiter an, keine Emotionen in ihrem Gesicht, als wäre sie tot. Nur ihre Augen bewegten sich ein bisschen, während sie mich anstarrte. Langsam machte ich den Mund auf, meine Stimme noch unsicherer als zuvor.
,,Ich... habe dich... umgebracht."
Ich starrte sie für sehr lange Zeit an, nicht fähig irgendetwas anderes tun als in der lauten Stille zu verweilen. Emotionen krachten auf mich wie eine Lawine und alles was ich tat war sie anzusehen. Ein Muskel in Gwens Gesicht zuckte, dann mehrere. Sie fing an zu grinsen. Und verschwand.
Meine Umgebung änderte sich abermals, als ich steinigen Boden unter mir bemerkte. Es war als könnte ich wieder frei atmen, als wäre ich aus einem stickigen Raum entkommen. Ein befreiendes Gefühl machte sich in mir breit, als ich keine Illusionsmagie mehr um mich herum wahrnahm und wusste, dass ich es geschafft hatte.
Für einen Moment atmete ich tief durch, bis mir auffiel, dass jemand schrie. Ich schaute auf und erkannte lilane Haare. Mey kniete vor mir, den Rücken zu mir gekehrt und schrie sich die Seele aus dem Leib, dass ich es schon in meiner Seele spüren konnte. Ich schaute von hinten über ihre Schulter um ihr Gesicht zu sehen. Wie aus dem nichts stoppte sie und atmete schnell. Ihr Körper zitterte und ihre Augen waren fest zusammengedrückt. Ich war verwirrt von den Signalen, die sie mir sendete.
Hatte sie etwa... Angst?
In all den Tagen, in denen ich sie kannte hätte ich mir sie niemals als jemanden vorgestellt, der Angst hatte. Sie war eher die, welche die Angst verbreitete.
Sie in so einer Position zu sehen machte sie schon fast menschlich. Na ja, zumindest weniger zum Monster, für welches ich sie anfangs gehalten hatte.
Ich legte eine Hand auf ihre Schulter. Sie zuckte leicht zusammen und drehte sich zu mir.
Erleichterung war in ihren Augen zu erkennen als sie mich sah, aber auch Wut.
Sie und Hel hatten wohl eine schlechte Beziehung zueinander. Und nun war sie noch schlechter.

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Wie immer pünktlich ein Kapitel von eurer Lieblingsautorin. Wir nähern uns schon langsam dem Ende der Geschichte, nur damit ihr es wisst. Das sage ich nicht um euch zu warnen, ich will euch nur nervös machen, weil ich mich in eurem Leid sonne.
Hab euch lieb!

~WineMum

My aunt - Das Leben geht abwärts!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt