„Sind wir bald da?“, keuchte die Halbling und beugte sich erneut über die Reling des Schiffes. Seit circa 4 Stunden befanden sie sich nun auf dem Wasser und fuhren die Küste entlang. Die Sommersonne schien heiß auf sie hinunter, die Mittagszeit war gerade eben verstrichen. Goal ging es, obwohl sie auf einer Insel aufgewachsen war und schon mehrmals Bootsreisen getätigt hatte, miserabel. „Ja“, sagte Mia und klopfte ihr aufmunternd auf den Rücken. Sie deutete auf einen braunen Fleck, der verwaschen am Ufer lag und nur langsam deutlicher wurde: „Ich glaube das muss es sein.“ „Ich hoffe es“, murmelte Goal und strich sich ihre roten Haarsträhnen aus dem Gesicht.
Tatsächlich erhob sich bald vor ihnen am Strand die Sandstein-Stadt Aramoor. Auf einer Landzunge standen die Häuser, die fast bis ans Wasser reichten, wo sich Hausboote tummelten und Fischer ihre Netze ausgeworfen hatten. Hinter den mit Bunten Teppichen und Seidenvorhängen geschmückten Häuser ragten grünbewachsene Hügel in den blauen Himmel, auf denen sich Aramoors bekannte Obstplantagen befanden. Abbas erinnerte sich, dass er selten so gute Mangos gegessen hatte, wie die aus Aramoor.
Bunte Vögel und Lemuren, die über die Palmen am Strand kletterten und sie mit lauten Rufen begrüßten, als das Boot in den Hafen einfuhr, machten die Stadt so exotisch, wie vielleicht keine andere auf Inoya.
Gespannt beobachteten Abbas, Mia und Elaine, wie sich die Mannschaft des kleinen Zweimasters daran machte, das Boot an einem Steg zu befestigen, ehe sie alle mit wackeligen Beinen aufstanden und, zu Goals großem Glück, endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatten.
Das Treiben in der kleinen Hafenstadt war geschäftig, aber für Elaine noch ziemlich überschaubar. Da sie aus Westwend kam, war sie größere Märkte und mehr Lärm gewöhnt. Gegen die westlichste der vier Hauptstädte Inoyas kam Aramoor nicht an. Dafür war es hier sehr viel bunter als bei ihr Zuhause. Zuhause – Elaine überkam ein mulmiges Gefühl bei dem Wort und sie schüttelte sich, um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen. Beinahe hätte sie die Fassung verloren, aber konnte sich gerade noch vor der Welle an Emotionen retten. Zum Glück hatte keiner ihres Teams etwas davon mitbekommen.
Das Ziel ihrer Reise war es, Valmenor‘s Informanten zu treffen, um mehr über den möglichen Aufenthaltsort eines Edelsteins in Erfahrung zu bringen. Doch wo sollten sie anfangen, zu suchen? Die Elfe blickte sich ratlos um. „Hey, da hinten ist eine Taverne!“, rief Goal und deutete auf ein großes, gelbes Gebäude, einige Meter vor ihnen. Die roten und blauen Teppiche, die aus den Fensteröffnungen hingen, waren mit Fischen und Vögeln bestickt, und ein Schild in der Form eines Kruges baumelte von einer bronzenen Stange und funkelte im Sonnenlicht. Darunter befand sich ein weiteres, kleineres Schild, was Elaine jedoch nicht entziffern konnte. Abbas legte seinen Rüssel an seine Stirn, um das Sonnenlicht aus seinem Gesicht zu filtern und spähte in die Ferne: „Du hast Recht“, brummte er und setzte sich in Bewegung, „Also dann. Vielleicht werden wir dort fündig!“ „Natürlich habe ich Recht“, bestätigte Goal seine erste Aussage und klammerte sich zwischen Abbas Ohren fest, um sicherer auf seinen Schultern zu stehen, auf die sie geklettert war.
Schweigend machte sich der Trupp auf in Richtung des Gebäudes und bald konnte Elaine entziffern, was auf dem kleineren Schild stand: „Der Alte Fischreiher“. Der Name passte zu dem von Palmen umrandeten Gebäude, auf dessen Vorplatz ein kleiner Springbrunnen einsam vor sich hinplätscherte. Der Beschlag, bei dem Reisende ihre Reit- und Lasttiere unterstellen und festbinden konnten, war fast leer, bis auf einen alten, klapprig aussehenden Fuchswallach. Die Taverne hatte keine Tür, sondern nur eine Ansammlung aus schweren bunten Vorhängen, die man beiseite schieben musste, um einzutreten.
Das Innere des Fischreihers war schummrig und leer. Trotz ihrer Nachtsichtfähigkeit, musste Elaine mehrmals stark blinzeln um sich an die Dämmerung zu gewöhnen. Die Tische waren spärlich besetzt und fremde Augenpaare musterten sie aufmerksam. Die Elfe fühlte sich beklommen, so, als sei sie hier nicht erwünscht, aber sie atmete kurz tief ein und aus und setzte dann ihre selbstbewusste Art auf. „Hallo!“, meinte sie betont freundlich und setzte sich an die Bar. „Willkommen. Was darf's sein?“, fragte der Mensch hinter dem Tresen. Er war groß und breit gebaut, trug ein braunes Lederoutfit mit bunten Perlen und schaute sie aus gelben Augen, die ihren Glanz schon verloren hatten, an. „Was gibt es denn?“, fragte Goal und setzte sich mit einem Schwung neben Elaine. Abbas und Mia taten es ihr gleich. Der Barmann nickte und deutete auf das Regal hinter sich, auf dem sich verschiedene Flaschen stapelten: „Bier, Rum, Fruchtsäfte, Wasser… Das Übliche.“ „Ich hätte dann ganz gerne das Übliche“, sagte Goal und grinste. Verwirrt schaute der Mann sie an: „Nein, Nein. Ich meinte, hier gibt es das Übliche wie in anderen Tavernen auch…“ „Ja ist doch super, dann hätte ich gerne das“, meinte Goal und grinste noch breiter. „Wir nehmen viermal einen Krug Fruchtsaft. Egal welche Frucht“, ging Abbas dazwischen und legte einige Münzen auf den Tresen. Mit einem Seufzer nahm der Mann das Geld und machte sich an die Arbeit. „Ich bin übrigens Goal“, sagte Goal und streckte dem Barmann die Hand entgegen, als er ihr einen Krug hinstellte. „Rasmus“, brummte er nur und ignorierte ihre Geste. „Was sucht ihr hier?“, fragte er stattdessen Abbas. „Informationen.“ „Zu was? „Naja. Ist in letzter Zeit irgendetwas Außergewöhnliches passiert?“ Goal setzte ihren Krug ab und fügte ein: „Wir meinen so etwas wie große Drachen, seltsame Schurken, oder vielleicht magische Kristalle?“ Rasmus kratzte sich am Bart, dann schüttelte er den Kopf: „Nein, also mehr als das große unheimliche Spukhaus gibt es hier nicht.“ Mia und Goal verschluckten sich an ihren Getränken, während Abbas ein leises Tröten von sich gab und Elaine aufsprang und sich auf dem Tresen abstützte. „Hier gibt es ein Spukhaus?“, fragte sie, lauter als es hätte sein müssen und setzte sich kleinlaut, als sie die Blicke der anderen Gäste auf sich spürte. Rasmus schaute kurz mit einem entschuldigenden Nicken durch den Raum, ehe er sich wieder der Gruppe zuwandte: „Na, das kennt doch wirklich fast jeder hier. Auf dem alten Weinberg oben steht so ein gruseliges Haus, das leuchtet. Und darin spukts. Vor zwei Wochen erst kam wieder ein Reisender her, der sich das angucken wollte, aber er kam nicht mehr zurück. Ich würde euch abraten, in die Nähe des Hauses zu gehen. Dort befinden sich nur böse Geister.“ Goal hob skeptisch die Augenbraue und kratze sich an der Nase: „Nur mal so… rein theoretisch. Wen müssten wir fragen, um mehr Informationen über das Haus zu gewinnen?“ „Ruby“, antwortete Rasmus ruppig, „Aber ich an eurer Stelle, würde euch davon abraten.“ Mia schüttelte den Kopf: „Danke für die Warnung, aber wir haben das schon im Griff. Wo finden wir diese Ruby?“ Der Barmann hob die Hand und zeigte mit dem Finger auf etwas hinter ihnen: „Sie sitzt dort. Die mit der großen Axt.“
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Der Gefallene Gott
FantasyEigentlich wollten Abbas, Elaine, Goal und Mia nur einen stabilen, sicheren neuen Lebensabschnitt als Mitglieder der Handelsgilde beginnen - Doch ein Chaos aus Ereignissen zieht sie tiefer hinab in das Netz der Legenden und Mythen einer längst verge...