Kapitel 10 - Der Dachboden (oder: Kjall)

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Goals Augen wanderten herum. Sie schienen im Dachstuhl des Hauses angekommen zu sein. Balken zogen sich wie bei einem Kreuzgang am Rande der Dachschrägen entlang und ließen die Mitte des Raumes kleiner wirken als er war. Das dunkle Holz sah alt, aber nicht morsch aus und zwischen den Stützen waberte der altbekannte blaue Nebel, der sich formte, herumwirbelte, zerschmolz und neu zusammensetzte. Sie erkannte verschiedene Tiere wie Hasen, Mäuse oder Vögel, die als Nebelgestalten durch das Gebälk wanderten und mit den blauen Funken der Magie zu spielen versuchten. „Wunderschön“, hauchte Elaine und fuhr mit der Hand durch den Nebel. Er fühlte sich ganz warm und weich an. Diese Reinheit der Magie hatte sie selbst noch nie erlebt. Ihre eigene Magie war nicht frei von Fehlern, ein bisschen stumpf hier und da, ja fast menschlich. Diese Magie war perfekt, klar, aber doch nicht kalt oder gefährlich. Sie musste lächeln.

Wer stört meinen Schlaf?“ Die Stimme war ganz leise, mehr wie ein Flüstern. Aber Mia horchte trotzdem auf und blickte sich nach allen Seiten um. Sie hatte sich doch nicht verhört? „Wer stört meinen Schlaf?“, erklang es erneut, diesmal lauter. Und dann immer wieder: „Wer stört meinen Schlaf?

Die Stimme schien von allen Seiten zu kommen, hallte um sie herum, immer lauter und lauter, wie das Donnergrollen eines herannahenden Gewitters. Goal, Elaine und Mia drängten sich dicht aneinander, jeder einen Teil des Raumes beobachtend, jeder bereit zu kämpfen, wenn es nötig war.

Nebelwolken stoben auseinander, die Wärme, die Elaine gepackt hatte, verwandelte sich in Eiseskälte, sie zitterte nun am ganzen Körper. Während sie versuchte, sich warm zu halten, drang zwischen den Rufen der Stimme ein anderes Geräusch an ihre Ohren. Trippelnde Klänge, wie Pfoten auf Holz. Und ehe sie es richtig begreifen konnte, sprang aus den Nebelschwaden ein großer Panther direkt vor ihre Füße und begann, die drei Erschrockenen langsam und knurrend zu umkreisen.

Er war geisterhaft durchscheinend. Sein Fell leuchtete so hellblau wie die Magie des Raumes und wogte sich schwerelos hin und her. Bernsteinfarbene Augen legten sich auf die Abenteurer und funkelten böse, als er knurrte: “Wer seid ihr?”

Mia fröstelte und wollte etwas antworten, aber ihre Stimme versagte. “Ich bin Goal”, sprang die Halbling ihr zu Hilfe. “Elaine”, stammelte die Elfe zu ihrer Linken. “M-Mia”, hauchte Mia und hatte sich noch nie so klein gefühlt. Normalerweise kam sie ganz gut mit Tieren klar, aber dieser Panther war nicht vollkommen tierisch. Die Nebelschwaden verschmolzen mit seinem Körper und ließen ihn an den äußersten Enden im Dunst des Lichts verschwimmen. Aber er war auch kein hundertprozentiger Geist.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, machte der Panther einen großen Satz nach rechts und verwandelte sich im Sprung zuerst in eine riesige Eule und dann in einen alten, knochigen, aber gerade gewachsenen Mann.

Er war immer noch durchscheinend blau und seine Augen strahlten immer noch in dem argwöhnischen Gold, aber seine Gesichtszüge wirkten weicher und er verbeugte sich vor den drei Abenteurern. Die Knöpfe seiner abgewetzten Jacke klimperten wie helle Glocken durch die Stille. “Willkommen in meinem Reich. Ihr habt die Prüfungen wahrhaftig gemeistert”, sagte er bedächtig, fast unterwürfig, und bedeutete ihnen zu folgen.

„Wie heißt Ihr?“, fragte Goal, während der „fast Geist“ des Gestaltenwandlers sie durch die Balken des Daches führte. Er breitete im Gehen die Arme aus und kleine Miniaturtiere aus blauem Nebel sprangen aus seinen Fingern hervor. „Man nannte mich Bafius Wiggeldart. Aber in dieser Gestalt benutze ich keinen Namen mehr. Ich bin ein Hüter Irasils und mit dem heutigen Tage, ist meine Aufgabe erfüllt.“ Die schwere Stimme des Mannes klang fast ein wenig fröhlich und Elaine fragte sich, wie lange Bafius hier wohl schon lebte. „Ich hüte Kjall, den Stein der Wandlung. Den Schatz der Magie.“

Der Gefallene GottWo Geschichten leben. Entdecke jetzt