Kapitel 7 - Der Erste Stock

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Obwohl es genauso aussah, wie in den Gängen davor, fühlte sich das Obergeschoss anders an. Goal und Elaine bemerkten ein leichtes Kribbeln in ihren Körpern, welches man fast mit Nervosität verwechseln konnte, und doch war es anders. Es war die Magie, die das Haus durchflutete und das kalte, blaue Licht ab und zu in kleinen Funken durch die Luft wirbeln ließ.

Anstelle von nur einer Tür, erblickten die Gefährten gleich vier Türen auf einem kurzen Flur. Zwei links, eine rechts und eine gegenüber der Treppe, die sie gerade erklommen hatten. Die letzte war deutlich größer und in einen kunstvollen, metallenen Rahmen gesetzt. Auf den aus sechs Kassetten bestehenden Flügeln, befanden sich drei massiv aussehende Schlüssellöcher. Mia seufzte: „Na super.“ „Noch mehr Rätsel“, pflichtete Elaine ihr in pessimistischer Tonlage bei. Sie versuchten erst gar nicht, die hintere Tür zu öffnen, sondern wagten sich sogleich in den ersten Raum auf der linken Seite.

Ein kleiner Raum mit dunklen Steinwänden lag vor ihnen. Abbas rümpfte den Rüssel: „Warum muss es immer so eng sein?“ Skeptisch betrachtete er den einzigen Gegenstand im Zimmer. Es war eine dunkle Holzkommode mit drei Schubladen, darauf stand ein Holzgestell mit sechs Glocken von unterschiedlicher Größe. Vorsichtig versuchte er, eine der Schubladen zu öffnen.

„Verschlossen“, stellte er missmutig fest, während sich Elaine an ihm vorbei drängte: „Hier ist wieder eine Plakette!“ Tatsächlich! Die anderen beugten sich vor und erspähten über der obersten Schublade ein kleines silbernes Täfelchen, auf dem in schnörkeliger Schrift ein Satz geschrieben war. „Gitarrensaiten altern durch etliche Handhabung ewig?“, las Goal ihn vor und fuhr mit der Hand darüber, um ganz sicher zu gehen, dass sie genau das vorgelesen hatte. In Elaine’s Kopf machte etwas Klick: „Das kann schon sein. Man muss ja Gitarrensaiten regelmäßig wechseln, wenn man oft auf ihnen spielt. Das ist wichtig, sonst können sie plötzlich reißen und im schlimmsten Fall jemanden – wenn auch nur leicht, aber immerhin – verletzen…“ Ertappt biss sie sich auf die Unterlippe. Sie hatte nicht so viel sagen wollen, doch es war einfach so aus ihr herausgesprudelt. Mia und Abbas blickten sie verwundert an, Goal runzelte die Stirn: „Woher weißt du denn so viel von Gitarren?“ „Äh, lange Geschichte“, wich Elaine aus und winkte ab. Sie fühlte sich noch nicht sicher genug, ihnen von ihrer Vergangenheit zu erzählen, bevor sie weggelaufen war. Erleichtert atmete sie auf, als die anderen sie nicht weiter mit Fragen durchlöcherten, sondern Goal ihren Gedanken aufnahm und weitersponn: „Naja, du hast schon recht. Die Reihenfolge der Saiten sind EADGHE. Fast so ähnlich, wie der Spruch… Zumindest, die Anfangsbuchstaben.“

Mia pfiff anerkennend durch die Zähne, da wäre sie gar nicht drauf gekommen. „Kannst du vielleicht die Reihenfolge Mithilfe der Glocken spielen?“, fragte sie und schnipste mit den Fingern gegen die kleinste. Ein heller Ton erklang. Probehalber tat Goal es ihr gleich und brachte auch die anderen Glocken in Schwung: „Ich versuch’s einfach mal.“ Konzentriert überlegte sie, welcher Klang welche Bezeichnung hatte und versuchte sich, die richtige Reihenfolge zu merken.

Glocke 6, Glocke 2, Glocke 3, Glocke 1, Glocke 5, Glocke 4.

Als der letzte Ton angestimmt wurde, bebte das Zimmer. Schutt löste sich aus einigen Fugen und rieselte von der Decke, während alle Glocken wild durcheinander läuteten, als hätte eine Kirchenmesse begonnen. „Bei der Göttin“, murmelte Abbas, während er sich an einer Wand abstützte. „Seht doch“, rief Elaine gegen den Lärm an und deutete auf eine Schublade, „Die Kommode öffnet sich!“ „Was ist drin?“, wollte Mia wissen und mit einem Schwung langte Goal in die offene Lade und zog einen großen Schlüssel hervor. „Nichts wir raus hier!“, rief Mia, während Goal, Abbas und Elaine triumphierend johlten. Mit wehenden Armen lotste sie ihre Mitstreiter aus dem Raum, auf den ruhigen, magischen Flur zurück.

Es fühlte sich an, als würde man in eine heiße Badewanne eintauchen und wohlige Wärme empfing sie alle. „Mir ist schwindelig“, bemerkte Abbas und setzte sich auf den Teppichboden. Er hatte immer noch das Gefühl, alles würde beben. Goal schien es genauso zu gehen, obwohl ihre Euphorie die Wahrheit überspielte: „Wir haben den ersten Schlüssel! Nur noch zwei, dann können wir weiter.“ „Hoffentlich ist es bald vorbei“, jammerte Abbas. „Ach komm schon Dicker!“, Mia klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter, „Das wird schon wieder.“ „Werde du erstmal so alt wie ich, dann hast du es auch nicht mehr so mit der Kondition“, erwiderte der Loxodon, schnaubte kurz, erhob sich dann aber wieder, „Warst du nicht vor wenigen Minuten genauso unmotiviert?“ Mia zuckte mit den Schultern: „Das Adrenalin.“ Es war keine Lüge. Je gefährlicher es wurde, desto mehr Spaß machte es Mia. Sie liebte den Nervenkitzel, den Pulsschlag auf ihrer Haut, das Ungewisse. Es war etwas Mysteriöses, etwas, was ihr Kraft verlieh. Insgeheim hoffte sie, dass es vielleicht noch mehr solcher Räume geben würde. Das war viel aufregender, als einfach nur sein Hirn anzustrengen.

Der Gefallene GottWo Geschichten leben. Entdecke jetzt