L U N A
„Was überlegst du?", fragte Harry Ron, dessen Augen wir gerade noch im Licht unserer Zauberstäbe erkennen konnten.
„Wenn wir schon so weit gekommen sind...", sagte Ron.
Und so folgten wir den huschenden Schatten der Spinnen in das Dickicht der Bäume.
Wir kamen jetzt nur noch langsam voran; Wurzeln und Baumstümpfe waren uns im Weg, die wir in der fast völligen Dunkelheit kaum sehen konnten.
Ich konnte Fang's heißen Atem auf meiner Hand spüren.
Mehr als einmal mussten wir anhalten und Harry und ich knieten uns hin, um die Spinnen im Zauberstablicht auf dem Waldboden zu suchen.
Mindestens eine halbe Stunde lang, so kam es uns vor, streiften wir quer durch den Wald, wobei sich unsere Umhänge immer wieder an niedrigen Zweigen und Dornensträuchern verhedderten.
Nach einer Weile schien es sanft bergab zu gehen, auch wenn die Bäume so dicht standen wie zuvor.
Dann ließ Fang plötzlich ein mächtiges, wiederhallendes Bellen ertönen, das Harry, Ron und mich fast aus der Haut springen ließ.
„Was ist?", fragte Ron laut, starrte in der Dunkelheit umher und umklammerte fest Harry's Arm.
„Da drüben bewegt sich was.", flüsterte ich, „hört mal... klingt wie etwas großes."
Wir lauschten.
In einiger Entfernung rechts von uns bahnte sich das große Etwas ästebrechend eine Schneise durch die Bäume.
„Oh nein.", sagte Ron. „Oh nein, oh nein, oh -"
„Sei still.", zischte Harry, „er hört dich sonst noch."
„Mich hören?", fragte Ron mit unnatürlich hoher Stimme. „Es hat schon längst Fang gehört!"
Starr vor Schreck standen wir da und warteten.
Die Dunkelheit schien auf unsere Augäpfel zu drücken.
Es gab ein merkwürdiges Rumpeln und dann herrschte Stille.
„Was glaubt ihr, tut es gerade?", fragte ich.
„Macht sich wohl zum Sprung bereit.", antwortete Ron.
Wir warteten, am ganzen Leib zitternd, und wagten nicht, uns zu bewegen.
„Glaubt ihr, es ist fort?", flüsterte Ron.
„Weiß nicht -"
Jäh und grell strömte Licht von rechts her und wir mussten die Hände schützend vor die Augen halten.
Fang jaulte auf und wollte wegrennen, verhedderte sich jedoch in einem Dornengestrüpp und jaulte noch lauter.
„Harry! Luna!", rief Ron und die Stimme versagte ihm vor Erleichterung. „Harry, es ist unsere Wagen!"
Was für ein Wagen?! Etwa der Ford Anglia?
„Was?"
„Kommt mit!"
Stolpernd folgten wir Ron.
Nach kurzer Zeit betraten wir eine Lichtung.
Inmitten eines dichten Baumkreises und unter einem festen Dach aus Zweigen stand Arthur's Wagen, seine Scheinwerfer strahlten in die Nacht.
Niemand saß darin.
Als Ron mit offenem Mund auf den Wagen zuging, kam er ihm langsam entgegen, wie ein großer, türkisgrüner Hund, der sein Herrchen begrüßt.
„Er war die ganze Zeit hier.", sagte Ron erleichtert und ging um das Auto herum. „Schau ihn dir an. Der Wald hat ihn wild gemacht..."
Die Flügel des Wagens waren zerkratzt und schlammbeschmiert.
Offenbar hatte er Gefallen daran gefunden, auf eigene Faust im Wald umherzuhoppeln.
Fang schien überhaupt nicht scharf auf ihn zu sein.
Zitternd drängte er sich an meine Beine, während ich allmählich wieder ruhig zu atmen begann und den Zauberstab wieder in den Umhang steckte.
„Und wir dachten, er würde uns angreifen!", sagte Ron.
Er lehnte sich an den Wagen und tätschelte ihn.
„Hab mich oft gefragt, wo er hin ist!"
Harry und ich suchten im Licht der Scheinwerfer nach Spinnen auf dem Boden, doch alle waren vor dem gleißenden Licht geflohen.
„Wir haben ihre Spur verloren.", sagte ich. „Kommt, gehen wir sie suchen.", sagte Harry.
Ron schwieg.
Er bewegte sich nicht.
Seine Augen waren auf einen Punkt etwas drei Meter über dem Waldboden gerichtet, direkt hinter Harry und mir.
In seinem Gesicht stand das helle Entsetzen.
Harry und ich hatten nicht einmal die Zeit, uns umzudrehen.
Ich hörte ein lautes Klicken und plötzlich spürte ich, wie etwas langes und haariges sich um meine Hüfte schlang und mich von den Füßen riss, so dass ich mit dem Gesicht nach unten baumelte.
Zu Tode erschrocken, schrie ich auf und schlug um mich, dann hörte ich ein neuerliches Klicken und sah, wie sich auch Ron's Beine vom Boden hoben.
Fang wimmerte und heulte - und im nächsten Moment wurde auch er vom Boden gerissen und verschwand zwischen den dunklen Bäumen.
Kopfüber hängend erkannte ich, was mich gepackt hatte.
Es hatte sechs ungeheuer lange, haarige Beine, und die vorderen zwei hielten mich fest umschlungen, dicht unterhalb eines Paars schimmernd schwarzer Greifzangen.
Hinter mir konnte ich noch eine dieser Kreaturen hören, die zweifellos Ron fortschleppten.
Sie krabbelten geradewegs ins Herz des Waldes.
Ich konnte Fang hören, wie er laut wimmernd versuchte, sich von einem dritten Monster loszukämpfen, doch ich selbst hätte nicht schreien können, selbst wenn ich gewollt hätte; meine Stimme schien beim Wagen auf der Lichtung zurückgeblieben zu sein.
Ich konnte nicht sagen, wie lange ich in den Krallen des Wesens gewesen war; ich wusste nur, dass die Dunkelheit plötzlich so viel ihrer Schwärze verlor, dass ich etwas erkennen konnte - auf dem blätterbedeckten Boden wimmelte es jetzt von Spinnen.
Ich reckte den Kopf zur Seite und sah, dass wir den Rand einer gewaltigen Senke erreicht hatten, in der keine Bäume standen, so dass die Sterne ihr Licht auf das schlimmste Schauspiel warf, das ich je gesehen hatte.
Spinnen.
Nicht kleine Spinnen wie jene, die über die Blätter auf dem Boden huschten.
Spinnen, so groß wie Kutschpferde, achtäugig, achtbeinige, schwarz, haarig, gigantisch.
Das mäßige Exemplar, das mich trug, machte sich auf den Weg den steilen Abgang hinunter, hinüber zu einem Netz, das wie eine Kuppel aus Nebelschleiern in der Mitte der Senke hing.
Seine Artgenossen schlossen einen engen Kreis um uns und angesichts seiner Beute klickten sie aufgeregt mit ihren Greifern.
Die Spinne ließ mich los und ich landete hart auf dem Boden.
Harry, Ron und Fang schlugen neben mir auf.
Fang heulte nicht mehr, sondern kauerte sich still zusammen.
Ron sah genauso aus, wie ich mich fühlte.
Sein Mund war weit aufgerissen zu einem stummen Schrei und seine Augen hüpften.
Plötzlich hörte ich, dass die Spinne, die mich hatte fallen lassen, etwas sagte.
Es war schwer zu verstehen, denn sie klickte bei jedem Wort mit ihren Greifzangen.
„Aragog!", rief sie, „Aragog!"
Und aus der Mitte der schleierartigen Netzkuppel tauchte ganz langsam eine Spinne vom der Größe eines kleinen Elefanten auf.
Ins Schwarz ihres Körpers und ihrer Beine war Grau gemischt und jedes Auge auf ihrem hässlichen, greiferbestückten Kopf war milchig weiß. Sie war blind.
„Was ist?", fragte sie und klickte schnell mit ihren Greifern.
„Menschen.", klickte die Spinne, die mich gefangen hatte.
„Ist es Hagrid?", fragte Aragog und kam näher, seine acht milchigen Augen schwammen ziellos umher.
„Fremde.", klickte die Spinne, die Ron gebracht hatte.
„Tötet sie.", klickte Aragog gereizt. „Ich habe geschlafen..."
Aber ich bin doch noch zu jung zum Sterben!!!
„Wir sind Freunde von Hagrid.", rief Harry.
Klick, klick, klick, machten die Spinnenzangen im Umkreis der Senke.
Aragog hielt kurz inne.
„Hagrid hat nie zuvor Menschen in unsere Senke geschickt.", sagte er träge.
„Hagrid steckt in Schwierigkeiten.", sagte ich und mein Atem rasselte. „Deshalb sind wir gekommen."
„In Schwierigkeiten?", fragte die alte Spinne und ich meinte, ein wenig Besorgnis aus dem Klicken herauszuhören. „Aber warum hat er euch geschickt?"
„Oben in der Schule glauben, Hagrid hätte ein - ein - etwas auf die Schüler losgelassen. Sie haben ihn nach Askaban gebracht.", sprach Harry ruhig vom Boden aus.
Aragog klickte wütend mit den Greifzangen und in der Senke tat es ihm die Schar der Spinnen gleich; es klang wie Beifall, nur dass mir davon normalerweise nicht übel vor Angst wurde.
„Aber das war vor vielen Jahren.", sagte Aragog ungehalten. „Vor vielen, vielen Jahren. Ich erinnere mich gut daran. Deshalb haben sie ihn gezwungen, die Schule zu verlassen. Sie glaubten, ich sei das Monster, das, wie sie sagen, in der Kammer des Schreckens haust. Sie glaubten, Hagrid habe die Kammer geöffnet und mich freigelassen."
„Und du... du kamst nicht aus der Kammer des Schreckens?", fragte ich, vorsichtig und leise nach.
„Ich!", sagte Aragog und klapperte zornig. „Ich wurde nicht im Schloss geboren. Ich komme aus einem fernen Land. Ein Reisender schenkte mich Hagrid, als ich noch ein Ei war. Hagrid war damals noch ein Junge, doch er sorgte für mich und versteckte mich in einem Schrank im Schloss und fütterte mich mit Essensresten vom Tisch. Hagrid ist mein Freund und ein guter Mann. Als man mich entdeckt und mir die Schuld für den Tod des Mädchens gab, da beschützte er mich. Seither lebe ich hier im Wald, wo Hagrid mich immer noch besucht. Er hat sogar eine Frau für mich gefunden, Mosag, und du siehst, wie unsere Familie gewachsen ist; alles dank Hagrid's Güte..."
„Also hast du nie - nie jemanden angegriffen?", fragte Harry mit aller Rest Mut.
„Niemals.", krächzte die alte Spinne. „Es wäre nur natürlich für mich gewesen, aber aus Achtung für Hagrid habe ich nie einem Menschen Leid angetan. Die Leiche des Mädchens, das getötet wurde, hat man in einer Toilette gefunden. Ich habe nie einen anderen Teil des Schlosses gesehen als den Schrank, in dem ich aufwuchs. Unsereins mag das Dunkle und die Stille..."
„Aber dann... weißt du, was wirklich das Mädchen getötet hat?", fragte ich. „Denn was immer es ist, es ist zurück und greift wieder Menschen an -"
Meine Worte ertranken in lauten Zangenklicken und im Rascheln vieler länger Beine, die wütend über den Boden scharrten; um mich her huschten große schwarze Schatten.
„Das Wesen, das im Schloss lebt.", sagte Aragog, „ist eine uralte Kreatur, die wir Spinnen mehr als alles andere fürchten. Ich erinnere mich noch gut, wie ich Hagrid angefleht habe, mich gehen zu lassen, als ich spürte, dass das Biest in der Schule umherstreifte."
„Was ist es?", fragte Harry eindringlich.
Abermals lautes Klicken und Rascheln; die Spinnen schienen den Kreis enger zu ziehen.
„Wir sprechen nicht davon!", sagte Aragog zornig. „Wir nennen es nicht beim Namen! Nicht einmal Hagrid habe ich je den Namen dieser fürchterlichen Kreatur genannt, obwohl er mich viele Male gefragt hat."
Aragog schien des Redens Müde zu sein.
Langsam wich er in sein Kuppelnetz zurück, doch seine Artgenossen drängen ganz allmählich weiter auf Harry, Ron und mich vor.
„Dann gehen wir einfach.", rief Harry verzweifelt Aragog zu und schon raschelten die Blätter hinter ihm.
Hört sich jedenfalls so an.
„Gehen?", fragte Aragog langsam. „Ich glaube nicht..."
„Aber... aber..."
„Meine Söhnte und Töchter rührten Hagrid nicht an, auf meinen Befehl hin. Doch ich kann ihnen frisches Fleisch nicht verwehren, wenn es so bereitwillig in unsere Mitte kommt. Adieu, Freunde von Hagrid."
Ich wirbelte herum.
Wenige Meter von mir entfernt ragte eine feste Wand aus Spinnen empor, die mit ihren Greifern klickten.
Ihre Augen schimmerten wie hässliche schwarze Knöpfe.
Schon als ich nach meinem Zauberstab griff, wusste ich, dass es nichts nützen würde, es waren zu viele.
Doch als ich aufzustehen versuchte, bereit, kämpfend zu sterben, hörte ich einen lauten, lang gezogenen Ton, und ein Lichtblitz flammte durch die Senke.
Arthur's Wagen donnerte den Abhang herunter, mit gleißendere Scheinwerfern und schrill hupend, und er rempelte dabei rechts und links Spinnen um; mehrere von ihnen landeten auf den Rücken und ihre endlos langen Beine ruderten durch die Luft.
Kreischend hielt der Wagen vor Harry, Ron und mir und die Türen flogen auf.
„Hol Fang!", schrie Harry und hechtete auf den Beifahrersitz; Ron packte den Saurüden um den Bauch und sie landeten japsend auf dem Rücksitz - die Türen schlugen zu - Ron saß absolut reglos da, doch der Wagen brauchte ihn nicht; mit dröhnendem Motor fuhren wir davon und warfen unterwegs noch mehr Spinnen auf den Rücken; wir rasten den Abhang hoch und aus der Senke heraus.
Bald jagten wir krachend durch den Wald, Äste peitschten gegen den Wagen, während er sich pfiffig seinen Wegen durch die breitesten Baumlücken bahnte.
Offenbar wusste er, wo es langging.
Harry und ich drehten uns zu Ron um.
Sein Mund war immer noch zu einem stummen Schrei geöffnet, doch seine Augen hüpften nicht mehr.
„Bist du in Ordnung?"
Ron starrte geradeaus und brachte kein Wort heraus.
Der Wagen krachte durch das Unterholz.
Fang heulte laut auf und als wir knapp an einer großen Eiche vorbeizischten, brach ein Seitenspiegel ab.
Nach zehn lärmerfüllten, holprigen Minuten lichteten sich die Bäume und ich konnte hier und da einen Fleck am Himmel erkennen.
Der Wagen stoppte so jäh, das wir fast durch die Windschutzscheibe flogen.
Wir hatten den Waldrand erreicht.
Fang warf sich gegen das Fenster, so ungestüm drängte er nach draußen und als Harry die Tür öffnete, preschte er mit eingezogenem Schwanz los durch die Bäume hindurch auf Hagrid's Hütte zu.
Auch Harry und ich stiegen aus und nach einer Weile schien auch Ron seine Glieder wieder zu spüren und folgte uns mit steifen Bewegungen und starrem Blick.
Harry gab den Wagen einen dankbaren Klaps und der fuhr zurück in den Wald und verschwand.
Ich ging noch einmal in Hagrid's Hütte, um Harry's Tarnumhang zu holen.
Fang lag zitternd unter eine Decke in seinem Korb.
Als ich wieder nach draußen kam, sah ich Ron im Kürbisbeet stehen und sich herzhaft übergeben.
„Folgt den Spinnen.", sagte Ron matt und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. „Das werd ich Hagrid nie verzeihen. Wir können von Glück reden, dass wir am Leben sind."
„Ich wette, er glaubte, Aragog würde seinen Freunden nichts tun.", sagte Harry.
„Das ist ja grad Hagrid's Problem!", sagte Ron und hämmerte mit der Faust gegen die Hüttenwand. „Er glaubt ständig, Monster seien nicht so schlimm wie ihr Ruf, und ihr seht ja, wohin ihn das gebracht hat! In eine Zelle in Askaban!"
Er zitterte jetzt hilflos am ganzen Körper.
„Was hat es gebracht, uns da reinzuschicken? Was haben wir herausgefunden, möchte ich gern wissen?"
„Das Hagrid die Kammes des Schreckens nicht geöffnet hat.", sagte ich, warf Ron und Harry den Umhang über und zog Ron am Arm, um ihn zum gehen zu bewegen. „Er war unschuldig."
Von Ron kam ein lautes Schnauben.
Offenbar stellte er sich etwas anderes unter Unschuld vor, als Aragog in einem Schrank zu päppeln.
Das Schloss ragte nun über uns auf und Harry zog am Tarnumhang, damit unsere Füße bedeckt waren.
Wir schoben vorsichtig das knarrende Tor auf, durchquerten die Eingangshalle, stiegen die Marmortreppe empor und huschten mit angehaltenem Atem durch die Gänge, in denen aufmerksame Wächter umherliefen.
Endlich erreichten wir den Gemeinschaftsraum der Gryffindors, wo vom Feuer mir noch glühende Asche übrig geblieben war.
Hier waren wir in Sicherheit.
Wir nahmen den Tarnumhang ab, ich wünschte Harry und Ron eine gute Nacht und verschwand in meinem Schlafsaal.
Ich zog mich um und kuschelte mich in mein Bett.
Ich war zu Müde um darüber nachzudenken, was wir heute Abend alles herausgefunden haben.
Deswegen fielen mir auch direkt meine Augen zu und ich fiel in meine Traumwelt.
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Luna Black 2 - Harry Potter
FanfictionFür Luna Black war das erste Jahr in Hogwarts voller unerwarteter Abenteuer - von der Einschulung bis hin zum legendären Stein der Weisen und dem erbitterten Kampf gegen Voldemort. Doch nun, im zweiten Schuljahr, erwartet sie eine ebenso aufregende...