Baji Keisuke ~ Birds with broken Wings

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Der Nachthimmel war von Sternen durchsetzt. In der Dunkelheit vor der Dämmerung war der Himmel so klar, dass die kleinen Lichter sie beinahe blendeten, obwohl sie bereits zu verblassen begannen. Sie saß auf den Dach und beobachtete fasziniert etwas, dass wohl nur sie sehen konnte.
Er legte einen Arm um ihre Schulter, als er sich neben sie setzte.
„Y/N."
So wie er ihren Namen aussprach, konnte man meinen, es wäre ein besonders wertvoller Schatz. Etwas, das er nie verlieren wollte.
Er folgte ihren Blick hinauf zum Mond, der kaum mehr als ein schmaler Strich zu sein schien. Vorsichtig lehnte sie sich an ihn. Wagte kaum zu glauben, dass er wirklich hier war.
Wie viel Zeit war vergangen, seit sie das letzte Mal einen solchen Moment geteilt hatten? Einen Augenblick der nur ihnen gehörte? Sie hatte es vergessen.
„Baji."
Wie sehr sie es vermisst hatte, seinen Namen in sein Ohr zu flüstern, mit der Gewissheit, dass es ihm jedes Mal aufs Neue Gänsehaut bescherte.
„Wo warst du so lange?"
Er schüttelte nur den Kopf. Sein langes Haar wehte im Wind. Einige Strähnen fielen ihm ins Gesicht. Sie unterdrückte den Drang, sie hinter sein Ohr zu streichen.
„Es tut mir leid, wenn du warten musstest. Ich ... hatte Dinge zu erledigen."
Sie fragte nicht nach. Das war eine Abmachung zwischen ihnen gewesen. Kein Wort über das, was er als Kommandant der Ersten Division von Toman tat. Sie wollte nicht wissen, woher die vielen Narben stammten. Weshalb sein Körper immer mit blauen Flecken überseht war. Sie wollte nicht in dieses Leben hineingezogen werden.
Y/N schloss die Augen. Irgendwas war heute anders. Irgendwas stimmte nicht.
„Würdest du mir davon erzählen? Wenn du etwas tust, dass du bereust?", fragte sie leise.
Baji hauchte einen sanften Kuss auf ihre Stirn. „Ich bereue nichts", erwiderte er mit rauer Stimme und sie erkannte die Lüge in seinen Worten. „Nichts, außer dass ich nicht mehr Zeit mit dir verbringen kann."
Sie wandte den Kopf um und blickte in seine dunklen Augen. Sternenlicht spiegelte sich darin.
„Wärst du dann bereit dieses Leben hinter dir zu lassen? Deine Flügel auszubreiten und mir zu fliegen, wohin auch immer der Wind uns trägt?"
In seinem Lächeln lag eine Zärtlichkeit, eine Traurigkeit, die ihr Herz schwer werden ließ.
„Hast du jemals Vögel mit gebrochenen Flügeln fliegen sehen, Y/N?"
Sie erwiderte nichts. Einige Minuten lang sprachen sie kein einziges Wort. Unter ihnen erstrahlte Tokyo in grellen Neonlichtern, während der Himmel im Osten langsam die Farben der Dämmerung annahm. Der Morgen des 31. Oktober 2005 brach an.
„Erzähl es mir", forderte sie schließlich. „Erzähl mir, was du getan hast. Was du in dich hineinfressen willst."
Baji zögerte. Seine Finger spielten mit einer Strähne ihres Haars. Sein warmer Atem strich über ihr Gesicht.
„Ich habe einen Fehler gemacht", murmelte er. „Ich habe viele Fehler gemacht und so lange nichts davon bereut."
Ein kleines, unscheinbares Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Ich bin so dankbar, dass ich dich getroffen habe."
Sie erstarrte. Die Richtung, in die dieses Gespräch zu gehen schien, gefiel ihr nicht. „Baji ..."
Er legte ihr den Finger auf den Mund, deutete ihr still zu sein. „Ohne dich wäre so vieles schwerer zu ertragen gewesen. Ich danke dir, Y/N. Danke, dass du bei mir geblieben bist, als ich den Glauben an mich selbst verlor. Danke für alles, dass du jemals für mich getan hast."
Sein Lächeln wurde breiter. Für diesen einen kurzen Augenblick schien er wahrhaftig glücklich zu sein. „Dass du mich geliebt hast, als niemand anderes es tun konnte."
Sie konnte nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen traten. „Warum klingt das wie ein Abschied?", fragte sie heiser. „Warum sagst du das, als ob wir heute das letzte Mal den Sonnenaufgang beobachten?"
Baji erwiderte nichts, lächelte sie nur weiter an. Y/N fragte sich, ob er wohl ihr Herz brechen hören konnte.
„Verzeih mir, wenn ich nicht nach Hause komme. Versprich mir, dass du nicht weinen wirst."
„Baji", wiederholte sie. Seine Fingerspitzen wischten sanft ihre Tränen fort. Ein kalter Luftzug ließ sie schaudern.
„Ich liebe dich", flüsterte er sanft, während ihr Herz in Scherben zersplitterte. „Mehr als alles andere auf dieser verdammten Welt."
Für diesen Moment schien die Zeit still zu stehen. Dieser Augenblick schien unendlich zu sein.
„Aber es gibt da jemanden, den ich beschützen muss. Ich will, dass du glücklich bist. Deswegen versprich mir, dass du mir nicht nachlaufen wirst, wenn ich gehen muss."
Y/N hörte diese Worte, ohne den Sinn dahinter zu begreifen. Sie verstand es einfach nicht. Sie verstand nicht warum sein Kuss bitter schmeckte, als er seine Lippen ein letztes Mal auf ihren Mund drückte. Sie blickte nach Osten, wo sich die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont streckten und dann wieder zurück zu Baji, der immer noch ein Lächeln im Gesicht trug.
Sie hatte sich fest vorgenommen, sich aus dem verzwickten Gang-Leben, das er gewählt hatte, herauszuhalten. Doch jetzt, da er ihr Lebewohl zu sagen schien, wünschte sie sich, sie wäre in den vielen Nächten mit ihm gegangen.
„Keisuke", sagte sie wieder und dieses Mal war ihre Stimme fest. In seinen Augen standen so viele die Worte, die er nicht auszusprechen vermochte.
„Sag es mir. Sag mir, was heute geschehen wird."
Einige wenige Sekunden glaubte sie tatsächlich, er würde antworten, dich Baji schüttelte den Kopf.
„Ich weiß, dass du mir folgen würdest. Ich möchte, dass du in Sicherheit bist, Y/N. Bleib hier. Und wenn ich bis zum nächsten Morgengrauen nicht zurück bin, komme ich wahrscheinlich nicht wieder."
Er ließ sie los und erhob sich. Augenblicklich wurde ihr schrecklich kalt. Schnell griff sie nach seiner Hand. Klammerte sich daran, wie ein Ertrinkender an den rettenden Ring.
„Ich lass nicht zu, dass du gehst. Ich lass dich nicht sterben!", ihre Stimme bebte, ihre Tränen glitzerten silbrig im Licht der Dämmerung.
Vorsichtig befreite er sich aus ihrem Griff.
„Lass mich los, Y/N", flüsterte er. „Stürz nicht mit mir ab."

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