In jener Nacht regnete es unerbittlich. Der Himmel selbst schien um Crepus Ragnvindr zu trauern. Er war zu spät gekommen, um jenen zu retten, der ihn als Sohn aufzog, während sein wirklicher Vater ihn in der Fremde zurückgelassen hatte. Er war zu spät gekommen, um Diluc davon abzuhalten, einen Fehler zu machen, den er sein gesamtes Leben lang bereuen würde.
Kaeya hatte das letzte Glas Wein getrunken und seine Entscheidung getroffen. Schuldgefühle und Reue würden die Tatsachen nicht ändern. Es gab Worte, die zwischen ihnen gesprochen werden mussten.
Diluc hatte ihn nie als Bruder geliebt, das wusste er. Kaeya fragte sich, ob er ihn überhaupt jemals gemocht hatte.Als er an die Tür seines Hauses klopfte, war er bereits bis auch die Haut durchnässt, dennoch fror er nicht. Warm und einladend schien das Licht auf die Straße, als sein Stiefbruder ihm die Tür öffnete. In seinen Augen leuchtete die Wut so hell wie ein einsames Feuer in einer mondlosen Nacht. Er ließ ihn eintreten.
Diluc ließ Kaeya nicht einmal zwei Herzschläge, ehe er mit blank gezogener Klinge auf ihn los ging. Mit knapper Not konnte der Dunkelhaarige dem Hieb ausweichen. Den nächsten wehrte er bereits mit seinen eigenen Schwert ab. Sie sagten kein Wort, sondern ließen ihre Klingen sprechen, während sie durch den Raum tanzten. Die Hitze von Diluc's Flammen hüllte ihn ein, als der Rothaarige einen Hieb, knapp vor seinem Gesicht niedergehen ließ. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Kaeya wich zurück, stieß jedoch an die steinerne Wand. Seine Arme zitterten, als er den nächsten Angriff abfing.
„Diluc", brachte er schwer atmend heraus. Dies war der Augenblick, da er die Macht der Elemente zum aller ersten Mal wahr nahm. Kalt und eisig war die Kraft, die sein Schwert entlang auf Diluc's Feuer zu rauschte, als das Göttliche Auge auf Kaeya herab sank. Ein Meer aus Rot und Blau kollidierte und explodierte letztendlich spektakulär in einer Art Wirbelsturm. Das Klirren von Stahl erklang ein letztes Mal, als das Lied von Eis und Feuer verstummte. Plötzlich schien der Raum unnatürlich dunkel zu sein.
„Diluc", wiederholte er flüsternd. „Hör auf."
Besagter starrte ihn an. Der Hass in den roten Augen ließ Kaeya's Herz schwer werden.
„Geh."
Diluc's Worte waren wie Splitter, die sich durch ihn hindurchbohrten. Sie schmerzten mehr, als körperliche Wunden es je vermocht hätten.
„Es tut mir leid", murmelte Kaeya.
„Geh."
Er umklammerte krampfhaft das kleine Ding in seiner Hand, welches die Menschen für ein Zeichen der Götter hielten. Sein Herz drohte in seiner Brust zu zersplitterten. Wut und Traurigkeit beherrschten es gleichermaßen.
Er taumelte, als er einen Schritt nach vorne machte und wäre fast gegen Diluc gestolpert. Doch dieser wich schnell zur Seite aus.
Einen Moment lang wünschte Kaeya sich, er hätte ihn aufgefangen.
Er warf einen letzten Blick auf jenen, den er all die Jahre Bruder genannt hatte. Jetzt waren seine Augen voller Verachtung. Seine Hand lag noch immer auf dem Schwertgriff. Kleine Flammen tanzten über das Metall und tauchten es in einen rötlichen Schimmer. Kaeya öffnete die Tür. Draußen vergossen die Götter immer noch unaufhörlich ihre kalten Tränen.
„Vergib mir, wenn du kannst. Irgendwann", bat er, während er wieder in den Regen hinaus trat. Doch ehe die Dunkelheit der Nacht ihn verschlucken konnte, griff Diluc nach seinem Arm. Hielt ihn fest und er verstand nicht warum.
„Du hast ihn nicht getötet." Seine Stimme zitterte vor Wut, vielleicht auch vor Schmerz. „Das war ich."
„Denn ich war nicht dort, um Mondstadt vor diesen dummen Einfall zu retten. Du bist ein Held, Diluc."
„Ich habe meinen Vater umgebracht. Ich bin nichts weiter, als ein armseliger Sippenmörder. Ich wünschte, du wärst eher gekommen. Ich wünschte, du hättest es gewagt mich abzuschlachten, wie ich es mit Vater getan habe. Ich wünschte, du wärst nicht ein solcher Feigling, Kaeya."
Der Dunkelhaarige lächelte traurig. „Es gab einmal eine Zeit, in der ich mir eingeredet haben, du würdest mich irgendwann einmal mögen. Sei es nur ein kleines bisschen. Jetzt weiß ich, dass dies die Wünsche eines dummen Jungen waren."
Er griff nach Diluc's Hand, die immer noch sein Handgelenk umklammerte und drückte sie. „Warum hältst du mich fest, wenn du mich so sehr hasst?"
Als er nicht antwortete wandte Kaeya sich um. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren ging er fort. Ließ Diluc allein und vom Regen durchnässt mit seinem Schmerz und seiner Reue, all den ungesprochenen Worten zurück. Die Regentropfen vermischten sich mit seinen Tränen, als sie auf sein Gesicht fielen. Fast hoffte er, Diluc würde ihm noch einmal folgen und endgültig daran hindern, ihn zu verlassen.
Doch er tat es nicht. Verloren in der dunklen Einsamkeit von Mondstadt's nächtlichen Straßen hüllte sein Schmerz Kaeya ein..
![](https://img.wattpad.com/cover/231216089-288-k644626.jpg)
DU LIEST GERADE
Random Oneshots
FanfictionGeschichten, die mir so durch den Kopf gehen Manchmal zu einzelnen Charaktere, manchmal zu Shippings Hauptsächlich dramatisch und traurig Erwartet nichts Umwerfendes Für Logik- und Rechtschreibfehler wird nicht gehaftet