Skrupel

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"Yael, ist das wirklich richtig, was wir getan haben?", fragt Ellen nachdenklich. Ich kann es nicht glauben, ich will es nicht glauben, aber ich muss mir wohl eingestehen, dass sie das wirklich gesagt hat. "Was meinst du?", frage ich erschrocken. "Dass wir miteinander geschlafen haben. Ich meine, ich war deine Lehrerin und du hattest damals schon Gefühle für mich. Irgendwie fühlt sich das falsch an, oder nicht?", entgegnet sie. "Denkst du wirklich so?", frage ich verletzt. "Du nicht?", erwidert meine ehemalige Lehrerin. Das bricht mir das Herz. Schnell ziehe ich mich an und verlasse die Wohnung. "Yael, warte! Ich habe das nicht so gemeint!", ruft Ellen. Da ich momentan einfach keine Kraft und keine Lust mehr habe, mit ihr zu reden, renne ich nach Hause. Als ich mich in meinem Zimmer eingeschlossen habe, breche ich zusammen. Benjo tröstet mich und nach einer Weile kann ich mich sogar etwas beruhigen. Mein Hund schaut mich mit diesem wahnsinnig süßen Blick an und ich spüre, wie die Energie wieder durch meinen Körper strömt. Und wieder einmal muss ich zugeben, dass ich für dieses wundervolle Wesen so unfassbar dankbar bin. Also raffe ich mich auf und gehe zur Fahrschule. "Hey, du bist ja schon fertig. Dann wird es wohl langsam Zeit, dass du langsam mit den Fahrstunden beginnen solltest.", klärt mich mein Fahrlehrer auf.

Die Fahrstunden, davor habe ich Angst. Wobei, Angst ist nicht das richtige Wort, ich breche alleine schon beim Gedanken daran, mich in einem Auto auf der Straße zu bewegen, in absolute Panik aus. Am Ende der Stunde spreche ich vorsichtig meinen Fahrlehrer an. "Du hast Angst, oder? Das haben die meisten, aber das legt sich. Spätestens wenn du ein paar Minuten gefahren bist, fühlst du dich sicher. Außerdem ist das Auto verdammt sicher und ich bin ja auch noch da.", erklärt er. "Das Auto ist verdammt groß.", erwidere ich. "Natürlich ist es groß. Aber es ist total geil.", entgegnet er. Ich lache nervös. Widerwillig mache ich einen Termin aus, aber ich denke daran, dass es wahrscheinlich gar nicht so schlimm wird. Der Meinung ist auch Kate. Sie erzählt mir, dass sie vor ihrer ersten Fahrstunde geweint hat, weil sie eine solche Angst hatte. Und im Endeffekt hat es ihr total Spaß gemacht. Ich habe trotzdem Angst. "Yael Rosenthal, du darfst nicht immer direkt Panik schieben. Warte erstmal ab und wenn es soweit ist, kannst du ruhig ein bisschen Angst haben. Mach dich bitte nicht schon zwei Wochen vorher verrückt.", bemerkt meine beste Freundin. Zuversichtlich bestätige ich ihr, dass ich keine Angst mehr habe, aber in dieser Nacht schlafe ich so schlecht, wie schon lange nicht mehr. Nach ungefähr drei Stunden Schlaf, stehe ich auf und bereite mich auf mein Vorstellungsgespräch vor.

Da ich meine Bewerbungen mittlerweile schon gar nicht mehr zählen kann, bin ich verdammt froh, dass ich jetzt endlich mal ein Vorstellungsgespräch habe. Die restlichen Einrichtung haben sich nämlich nicht einmal bei mir gemeldet. Wenn ihnen mein Lebenslauf nicht gefallen hat, hätten sie auch einfach schreiben können, dass es eben nicht passt, aber gar keine Antwort finde ich ziemlich unhöflich. Vielleicht liegt das auch an meiner Erziehung, aber ich rege mich wahnsinnig darüber auf, denn so geht man nicht mit Menschen um, schon gar nicht im sozialen Bereich. Natürlich weiß ich, dass die Einrichtungen viel zu tun haben, aber eine kurze Antwort per Mail, ein kurzer Satz, dass es nicht gepasst hat oder ein kurzer Anruf von ungefähr einer Minute, das müsste doch drin sein. Mein Outfit habe ich sicherheitshalber schon gestern Abend gerichtet, weil ich morgens immer so durcheinander bin. Ich muss zugeben, dass mein Outfit eher für ein Bewerbungsgespräch in der Bank gepasst hätte, aber ich will möglichst professionell wirken und deswegen habe ich mich für eine weiße Bluse und eine schwarze Hose entschieden. Das Gespräch verläuft auch echt gut, die Einrichtungsleitung ist sehr nett und zeigt mir meinen zukünftigen Arbeitsplatz. Ich habe den Job! Aufgeregt erzähle ich Kate davon. Meine beste Freundin rastet vor Freude aus. "Du hast es geschafft, jetzt wird es dir auch psychisch wieder besser gehen. Ich bin so stolz auf dich und ich freue mich so wahnsinnig für dich!", brüllt sie, obwohl sie krank zuhause liegt und fast keine Stimme hat. Ich warte jeden Tag auf die Unterlagen, die mir noch von der Einrichtung zugeschickt werden sollen und ich erzähle jedem stolz von dem neuen Job. Als ich nach zwei Wochen immer noch nichts von der Einrichtung gehört habe, schreibe ich eine Mail und frage, ob die Unterlagen schon unterwegs sind. Eine halbe Stunde später erhalte ich eine knappe Mail, dass es doch nicht klappt, obwohl ich eine mündliche Zusage erhalten habe. Für mich bricht eine Welt zusammen.

You're still my person | LGBTQWo Geschichten leben. Entdecke jetzt