Fünf Jahre später

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Alles wird gut, ansonsten ist es nicht das Ende, oder? Ich habe diesen Satz nie verstanden und eigentlich hätte ich auch nie gedacht, dass ich so vollkommen glücklich sein könnte. Nach allem, was passiert ist, habe ich gedacht, dass ich das, was ich jetzt habe, auf keinen Fall verdient habe. 'Eines Tages wird sich jemand Mühe geben. Jemand wird dich schätzen und lieben, auf eine Art und Weise, wie du es dir immer gewünscht hast. Und Yael, wenn das geschieht, wirst du endlich verstehen, warum es mit allen anderen bisher nicht geklappt hat.' Früher habe ich die Worte nie verstanden, aber jetzt, da ich erwachsen bin, die Person, die das gesagt hat, schon jahrelang nicht mehr hier ist und ich mit Ellen nicht glücklicher sein könnte, jetzt verstehe ich diese Worte. Ellen und ich haben geheiratet, ich denke nur allzu gerne an den chaotischen Heiratsantrag zurück, der dann in der Notaufnahme geendet hat. Meine Freundin wollte einen Heiratsantrag voller Action, also hat sie ein riesiges Schild gebastelt und das dann in einem total hohen Baum im Wald gehängt, auf dem Weg nach unten ist sie abgerutscht und aus ungefähr zwei Metern Höhe auf den Boden gefallen. Dann ist sie an den Waldeingang gehumpelt und hat mich angerufen. Wie ein Häufchen Elend saß sie auf dem Boden und ich bin mit ihr sofort in die Notaufnahme gefahren. Dem Assistenzarzt wollte sie nicht wirklich erklären, was passiert ist, sie hat nur gemeint, dass sie umgeknickt wäre, aber das hat er ihr natürlich nicht geglaubt. "Jetzt mal ehrlich, was hast du denn im Wald angestellt?", frage ich, während meine Freundin ihren Gips bekommt. Als wir das Krankenhaus verlassen, rückt sie dann endlich mit der Sprache heraus. "Naja, eigentlich sollte das eine Überraschung werden und eigentlich sollte es ein bisschen romantischer sein, aber du wirst ja keine Ruhe geben, bis ich es dir gesagt habe. Ich habe eine Überraschung für dich geplant und dabei habe ich mich eben verletzt.", erklärt sie. "Mein Tollpatsch, das ist total süß. Was für eine Überraschung war das?", frage ich weiter, da ich ganz genau weiß, dass ich meine Freundin damit nerven kann. "Du bist viel zu neugierig, hat ja das schonmal jemand gesagt?", entgegnet meine Freundin ungehalten. Ich nerve sie den ganzen Abend lang und müsste sie nicht auf Krücken laufen, wäre sie wahrscheinlich zu Fuß nach Hause gegangen. "Hältst du dann endlich die Klappe?", fragt Ellen genervt und ich nicke. "Ich wollte dir einen Heiratsantrag machen.", bemerkt sie mit verschränkten Armen, als wir auf der Couch sitzen.

Ebenso wie der Heiratsantrag, war auch die Hochzeit sehr chaotisch. Von meiner Familie ist niemand gekommen, abgesehen von meinen Eltern und meine Großeltern, die ich sowieso immer im Herzen bei mir trage. Tatsächlich waren es dann wirklich nur meine Eltern, denn meine Großeltern sind schon lange tot. Auch die Familie von Ellen hat sich nicht blicken lassen, nur ihre Mama war da. Dazu muss man aber sagen, dass ich meine Familie erst gar nicht eingeladen habe, Ellen schon. Daran hatte sie wahnsinnig zu knabbern und es tut mir so unfassbar leid für sie. Bei meiner Familie wusste ich schon, dass hier nicht auftauchen werden, deswegen habe ich sie gar nicht erst eingeladen. Meine Familie ist leider ziemlich toxisch und meine Frau muss zugeben, dass ihre Familie auch nicht wirklich besser ist. Die Hochzeit ist klein und gemütlich, abgesehen von meinen Eltern, James und der Mama von Ellen, sind nur Kate, Mike und zwei Freunde von Ellen gekommen. Mir soll das nur Recht sein, immerhin hasse ich Menschen. Dafür ist die Hochzeit wunderschön, niemand ist überfordert und niemand kann sich streiten. Den ganzen Blödsinn mit diesen bescheuerten Partyspielen lassen wir auch aus, weil wir definitiv zu erwachsen dafür sind. Eine Woche nach der Hochzeit halte ich einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand und könnte nicht glücklicher sein. Wir waren wegen der künstlichen Befruchtung in Holland und es hat schon beim ersten Versuch geklappt. Fünf Monate später habe ich dann auch endlich mein Studium abgeschlossen. Ich bin einfach kein Fan von sturem auswendig lernen. Das beste habe ich aber noch gar nicht erwähnt, meine beste Freundin ist eine Woche nach mir schwanger geworden. Sie und Mike bekommen Zwillinge, es sind zwei Mädchen und auch Ellen und ich werden eine Tochter bekommen.

"Oh mein Gott, was zur Hölle ist das?", frage ich erschrocken, obwohl ich die Antwort eigentlich schon kenne. "Deine Fruchtblase ist geplatzt.", bemerkt meine Frau trocken. "Das weiß ich selbst, wäre jetzt normalerweise nicht Panik angesagt?", entgegne ich. "Eigentlich nicht, Frauen kriegen schon seit einiger Zeit Kinder und meistens auch ziemlich erfolgreich. Du kannst dich schon mal ins Auto setzen und ich rufe schnell meine Mama an, dass sie James dann von der Schule abholt.", erklärt Ellen vollkommen unbeeindruckt. Eine halbe Stunde später bin ich im Kreißsaal und zerquetsche die Hand meiner Frau. "Sie müssen nur noch ein paar Mal pressen. Sie haben es bald geschafft. Dann halten Sie Ihr kleines Mädchen in den Armen und die ganzen Sorgen sind vergessen.", flötet eine kleine und leider auch ziemlich gut gelaunte Krankenschwester. "Können Sie mir einen Gefallen tun und bitte einfach die Klappe halten?", schnaube ich zwischen zwei Wehen. Ellen fängt an zu lachen und auch die anderen müssen grinsen. Aber die Krankenschwester hatte recht, eine Stunde später halte ich meine kleine Tochter in den Armen und die Schmerzen sind sofort vergessen. Am nächsten Tag besuchen uns meine Eltern und sie sind total begeistert von ihrer Enkelin. "Habt ihr euch schon einen Namen für die kleine Prinzessin ausgesucht?", fragt meine Mutter neugierig. "Am Anfang waren wir uns nicht einig, aber ich habe gewonnen, wir nennen sie Leni.", erkläre ich und grinse meine Frau an. "Lily hätte mir trotzdem besser gefallen.", flüstert sie. "Schatz, wir wissen alle, dass du Harry Potter liebst, aber du kannst doch nicht zwei Kinder nach Charakteren aus den Büchern benennen. Außerdem waren Lily und James ein Paar, keine Geschwister.", flüstere ich zurück. Meine Mutter ist von dem Namen nicht allzu begeistert, aber immerhin findet sie ihn besser als die Alternative. Mein Vater ist vollkommen begeistert von diesem kleinen süßen Wesen und auch den Namen findet er ganz toll, was mich ziemlich wundert.

Zwei Tage später bekomme ich einen Anruf von meiner aufgeregten besten Freundin. "Warum hast du mir nicht gesagt, dass das so eine Qual ist? Ich habe mich einfach eingepinkelt!", brüllt Kate in ihr Handy. Daraus schließe ich, dass sie auf dem Weg ins Krankenhaus ist. Sechs Stunden später kommt Mike in mein Zimmer. Er schaut mich einfach nur an und ich grinse. "Wie schlimm war es?", frage ich. "Hör bloß auf, irgendwann hat sie mich raus geschickt. Aber wir haben zwei gesunde Mädchen bekommen.", flüstert er, da Leni gerade schläft. Ich stehe wortlos auf und will mich auf den Weg zu meiner besten Freundin machen, aber Ellen und Mike halten mich zurück. "Zu Fuß gehst du garantiert nicht.", erklärt meine Frau. Widerwillig setze ich mich in den Rollstuhl und Mike bringt mich zu Kate. Meine beste Freundin lächelt mich müde an. "Fünf verdammte Stunden und dann sehen sie aus wie ihr Vater.", flüstert sie gespielt beleidigt. Eine Weile schauen wir uns einfach nur an, uns fehlen zum ersten Mal die Worte. "Ich fand dich am Anfang so komisch. Du warst so still.", bemerkt Kate nach ein paar Minuten. "Und du warst total laut und aggressiv, das bist du übrigens immer noch. Ich hatte sogar ein bisschen Angst vor dir.", entgegne ich. "Du hattest einen schrecklichen Frauengeschmack. Ellen ist das Beste, was dir passieren konnte, abgesehen von mir natürlich, aber du musst doch zugeben, dass Kelly und Becki dir nur geschadet haben. Das war so unnötig, das hättest du dir sparen können.", erwidert sie und ich muss lächeln. Es stimmt, Kate gehört zu den Menschen, die mir alles bedeuten.

Ein Jahr später heiraten Kate und Mike. Meine beste Freundin sieht wunderschön aus, aber leider lässt sie sich total stressen. Die Hochzeit ist viel zu groß, es sind zu viele Gäste da und alles muss perfekt sein. Meine beste Freundin ist die Definition einer Perfektionistin. James ist total begeistert, dass er die Ringe überreichen darf. Die Hochzeit ist trotz dem ganzen Stress total schön, aber meiner besten Freundin wird es irgendwann zu viel, deswegen ziehen wir uns zurück. "Yael, du bist genau so, wie du sein sollst, mit allen Ecken und Kanten, mit deinen komischen Macken und deinem manchmal absolut seltsamen und unerklärlichen Verhalten, mit all deinen Problemen und allem, was in deinem Leben bis jetzt schief gelaufen ist. Genau so sollte es sein, damit du jetzt endlich glücklich sein kannst. Du bist meine beste Freundin und jetzt bist du an diesem Punkt, wo du endlich sagst, dass du etwas wert bist. Dass es sich zu leben lohnt, egal wie gut oder schlecht es einem gerade geht. Du bist jetzt genau da, wo du eigentlich sein solltest, du hast zwar sehr viele Umwege genommen, aber warum sollte man auch den einfachen Weg nehmen, wenn man den total schwierigen und anstrengenden Weg gehen kann? Du bist so, wie du sein sollst und das macht dich zu einem perfekten Menschen, zu meinem perfekten Menschen, zu meiner besten Freundin, die einfach so in mein Leben gestolpert ist und die ich auf keinen Fall mehr vermissen möchte.", flüstert meine beste Freundin. In diesem Moment wird mir klar, dass ich so wahnsinniges Glück mit meiner besten Freundin habe. Sie glaubt nicht an Schicksal, aber ich schon. Sie ist die Freundin, die jeder von uns braucht. Kate wusste, was gut für mich ist und was nicht, als ich es nicht wusste. Ohne meine beste Freundin hätte ich wahrscheinlich schon längst aufgegeben. Kate und ich umarmen uns eine halbe Ewigkeit.

You're still my person | LGBTQWo Geschichten leben. Entdecke jetzt