Dieses schwarze Loch in meinem Kopf ist momentan stärker als ich. Dagegen kann ich gar nichts machen, auch Kate nicht und Benjo auch nicht. Da kann ich mir noch so viele neue Klamotten kaufen, zocken oder mir schöne Dinge einreden. Die Depression schafft es immer wieder, alles zu zerstören, mich einsam fühlen zu lassen, mich zu ersticken, mich keinen Ausweg finden zu lassen. Ich fühle mich nur noch nutzlos, als würde auf diesem abgefuckten Planeten nichts mehr einen Sinn ergeben. Ich verachte mich selbst und habe immer öfter das Gefühl, als würde ich alles falsch machen. Trotzdem versuche ich jeden Tag mein Bestes zu geben, für Kate, für Ellen, für Benjo und für meine Eltern. Manchmal fühle ich mich so leer, dass ich nicht einmal weinen kann, aber man macht weiter und das ist gut so. Denn es gibt immer einen Weg. Also stehe ich einfach auf, obwohl es mir wahnsinnig schwer fällt. Nachdem ich die hundertste Bewerbung geschrieben habe, lege ich mich wieder hin. "Hey Bro, lass uns zu KFC fahren!", brüllt Kate in ihr Handy. Ich verstehe gar nichts mehr. "Ich habe endlich meinen Führerschein!", ruft meine beste Freundin begeistert. Natürlich freue ich mich für sie, denn Kate hat jeden Cent zweimal umdrehen müssen, bevor sie einen Termin für eine Fahrstunde ausgemacht hat. Über ein Jahr hat sie gebraucht, weil sie eben nicht so viel Geld hat und weil ihre Eltern sie nicht unterstützt haben. Ich freue mich wirklich für sie, aber ich muss zugeben, dass ich auch ein bisschen eifersüchtig bin. Wie gerne würde ich auch den Führerschein machen, aber ich traue es mir nicht zu. Ich bin zu verpeilt, zu faul und gebe viel zu schnell auf. Das sind nicht unbedingt die besten Bedingungen.
Langsam wird es Zeit, Verantwortung für mein Leben zu übernehmen. Aus diesem Grund treffe ich mich abends mit Vivi. Sie möchte mich sofort küssen und berühren, aber ich blocke sie ab. "Was ist los mit dir? Hast du mich gerade ernsthaft abgewiesen?", fragt sie verwirrt und sie scheint auch ein bisschen beleidigt zu sein. "Ich muss mit dir reden.", fange ich an. Vivi schaut mich besorgt an. Während ich ihr erkläre, dass wir uns ja eigentlich nur körperlich verstehen, aber es mir an Emotionalität und Geborgenheit fehlt, wird ihr Blick immer enttäuschter. "Du bist mir wichtig.", flüstert sie verletzt. "Du bist mir auch wichtig, aber ich sehe dich eher als gute Freundin und nicht als meine zukünftige Freundin, zumal du dich ja nicht mal bei deinen Eltern geoutet hast. Ich habe keine Lust und keine Kraft für so ein Versteckspiel.", entgegne ich, aber sie scheint mich gar nicht zu hören. "Du musst nicht lügen, wahrscheinlich passen wir wirklich nicht zusammen. Du sagst, dass deine Ex toxisch war, aber du bist es auch. Offenbar bist du nicht bereit für eine Beziehung.", schießt Vivi zurück. Mir platzt gleich der Kragen. "Du hast nie gesagt, dass ich dir etwas bedeute. Wir hatten eine schöne Zeit und du hast auch die ganze Zeit von anderen Frauen erzählt. Entweder sagt man vorher, dass das hier etwas exklusives ist und löscht dann sämtliche Dating Apps, oder es ist etwas offenes. Als wir unterwegs waren, hast du dich auch nach anderen Frauen umgeschaut. Außerdem bin ich nicht toxisch, sondern eher du. Denn jedes Mal, wenn ich dir etwas erzählt habe, warst du sehr distanziert und hast mir teilweise nicht mal richtig zugehört. Aber ich habe dir immer zugehört und dich getröstet, wenn es dir nicht gut ging. Ich lasse mich garantiert nicht als toxisch bezeichnen, denn das bin ich nicht. Du musst dich nicht mehr bei mir melden, wobei du das sowieso nur gemacht hast, wenn du Lust auf Sex hattest oder es dir schlecht ging. Darauf kann ich in Zukunft verzichten. Trotzdem wünsche ich dir noch viel Erfolg in deinem Leben.", erkläre ich, drehe mich um und laufe weg. Zuhause lösche ich ihre Nummer und entfolge ihr auf Instagram.
Am nächsten Tag geht es mir den Umständen entsprechend gut, ich fühle mich besser, da ich mir jetzt zumindest keine Sorgen mehr um Vivi machen muss. Ihr ging es psychisch auch nicht so gut und so blöd es klingt, aber ich kann nicht mit meiner gestörten Psyche und gleichzeitig mit einer toxischen Person befreundet - oder was auch immer - sein, die ebenfalls eine sehr kaputte Psyche hat. Den Fehler habe ich schon öfter gemacht und diesmal höre ich auf die Warnsignale, auch wenn ich zugeben muss, dass ich Vivi vielleicht vermissen werde. Andere Gespräche mit meinen Matches verlaufen sich irgendwann im Sand, vermutlich erwarte ich zu viel, denn ich rede gerne über tiefgründige Themen, Smalltalk ist für mich die Hölle. Ist das heutzutage so? Redet man nur noch über belanglosen Blödsinn? Ich will nicht wissen, dass du gerade dein Bett frisch bezogen hast, mich interessiert, was dich in deinem Leben antreibt, deine Ziele, deine Wünsche und deine Ängste. Ich begnüge mich auch mit Gesprächen über Politik, Bücher, Psychologie und Musik. Aber erzähl mir doch bitte nicht, dass du deiner Katze gerade ein neues Spielzeug gekauft hast. Katzen kann ich übrigens auch nicht leiden, über Hunde rede ich gerne. Langsam wird mir klar, dass ich mich nicht nur wahnsinnig wegen dem Smalltalk langweile, sondern dass ich deswegen auch oft an Ellen denke, denn die Gespräche mit ihr waren nie langweilig. Ich kann sie einfach nicht vergessen.
"Yael Rosenthal, du musst endlich deinen Hintern aus dem Bett schwingen und anfangen zu leben. Triff dich meinetwegen jeden Tag mit einer anderen Frau, vielleicht findest du die große Liebe und wenn es nicht so ist, hattest du wenigstens ein paar schöne Momente. Was den Job angeht, kannst du leider nicht mehr machen, als dich zu bewerben. Und fang endlich an, auf Ellen zu scheißen. Sie war zwar für dich da, aber sie tut dir nicht gut. Du interpretierst da viel zu viel rein und leidest wahnsinnig. Und wenn du das nächste Mal jammerst, weil du keinen Führerschein hast, werfe ich dich aus dem Fenster. Im Leben bekommst du nichts geschenkt, wenn du nicht anfängst, dafür zu kämpfen!", weist mich meine beste Freundin zurecht. Ich kann ihr nur zustimmen, zuhause mache ich mir auch sehr viel Gedanken. Ich muss Verantwortung für mein Leben übernehmen. Dass ich den Kontakt zu Vivi abgebrochen habe, war der erste Schritt, aber ich muss mehr schaffen. Ich bin mehr als meine Depression. Ich bin nicht mehr klein und hilflos. Ich muss anfangen, für mich und mein Glück zu kämpfen, da hat Kate recht. Und da ich nicht für den Rest meines Lebens auf die äußerst unzuverlässigen öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen sein möchte, melde ich mich trotz meiner absoluten Panik in der Fahrschule an. Mein Fahrlehrer scheint ganz nett zu sein und ich bin stolz, dass ich wieder ein kleines bisschen näher an meiner Unabhängigkeit bin.
Als ich am nächsten Morgen eine große Runde mit Benjo laufe, treffe ich Ellen und James. "Hallo Benjo, hallo Yael.", begrüßt er uns gut gelaunt. Ellen und ich wissen nicht so wirklich, worüber wir reden sollen, aber James redet die ganze Zeit mit meinem Hund. Die beiden verstehen sich super und als es anfängt zu regnen, schlägt James vor, dass wir zu Ellen und ihm nach Hause kommen sollen. Weder Ellen, noch ich können diesem süßen Lächeln widerstehen. Zwanzig Minuten später stehe ich wieder in der Wohnung meiner ehemaligen Lehrerin. Benjo und James verziehen sich sofort in das Zimmer von James. Ellen und ich bleiben schweigend zurück. "Ich liebe dich.", flüstert sie und ich schaue sie fassungslos an. Ellen küsst mich vorsichtig und ich erwidere den Kuss. "Ich liebe dich auch.", entgegne ich leise. Am nächsten Tag ist James bei seinem Vater und ich verbringe Zeit mit Ellen. Wir reden über alles mögliche und ich kann zum ersten Mal seit langem wieder lachen. Das fühlt sich so wahnsinnig gut an. Am Abend schauen wir einen Film und kuscheln. Plötzlich zieht Ellen mich zu sich und küsst mich. Anfangs bin ich etwas überrascht, aber ich fühle mich so wahnsinnig gut. "Ist alles okay bei dir?", fragt Ellen und schaut mich an. Ich nicke und muss lächeln. Diese Frau ist so vorsichtig und empathisch, das liebe ich besonders an ihr. Bei Ellen kann ich mich fallen lassen, bei ihr vergesse ich, was gerade um uns herum passiert, was mir in der Vergangenheit passiert ist und ich habe keine Angst mehr vor der Zukunft. Mit ihr fühle ich mich so, als könnte ich alles schaffen. In dieser Nacht kommen wir uns besonders nah, es ist so unglaublich schön, vor allem, weil ich ihr vollkommen vertrauen kann. Wie oft habe ich mir diesen Moment vorgestellt, eine Zeit lang habe ich fast jede Nacht davon geträumt. Nach jahrelangem hoffen - obwohl ich mir eingeredet habe, dass ich in der Zwischenzeit nicht in Ellen verliebt war - ist es jetzt endlich soweit. Nach diesem fantastischen Erlebnis schlafen wir müde, aber glücklich Arm in Arm ein. Sie ist meine erste große Liebe, das ist mir jetzt klar geworden, ich konnte bis jetzt niemandem so vertrauen, wie Ellen. Ich rede nicht nur von der emotionalen Ebene, sondern auch von der körperlichen Ebene. Sobald jemand anderes eine unerwartete Bewegung macht, zucke ich zusammen, bei Ellen ist das aber nicht so. Mit ihr bin ich vollkommen glücklich.
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You're still my person | LGBTQ
Roman pour Adolescents"Kate, ich werde einsam sterben, das ist wohl offensichtlich!", rufe ich aufgebracht. Yael und Kate sind beste Freundinnen, aber als Yael wegzieht, entfremden sich die beiden. Yael hat zwar eine neue Freundin, doch da gibt es noch eine Person, die...