Alles wird gut, oder?

175 12 0
                                    

Ich wäre so gerne voller Zuversicht. Jemand, der voller Hoffnung in die Zukunft blickt. Jemand, der es schafft, alles einfach so zu ertragen. Ich würde mir selbst eigentlich gerne sagen: 'Alles wird gut. Die Menschen sind schlecht und die Welt ist am Arsch, aber alles wird gut.' Momentan scheint aber wirklich alles gut zu werden, denn mein Leben verläuft eigentlich ziemlich okay, besonders dafür, dass ich noch vor wenigen Monaten nicht mehr leben wollte. Innerhalb von wenigen Tagen haben Ellen und ich meine gesamten Sachen zu ihr in die Wohnung gebracht. Endlich ist es soweit, ich ziehe in eine eigene Wohnung, zusammen mit meiner ersten großen Liebe. "Schatz, weißt du eigentlich, wie sehr James sich freut, dass du endlich hier bist? Er ist total vernarrt in dich, das ist etwas besonderes, denn normalerweise mag er keine Erwachsenen.", erklärt Ellen. Als wir endlich meine ganzen Sachen eingeräumt haben und das Essen fertig ist, trinken wir ein Glas Wein. "Hast du auch Fanta?", frage ich meine Freundin. "Bitte was? Magst du keinen Wein?", entgegnet Ellen. "Ich meine zum mischen.", erkläre ich. Meine ehemalige Lehrerin schaut mich fassungslos an. "Yael, hast du vollkommen den Verstand verloren? Man mischt doch keinen Wein mit Fanta!", ruft Ellen schockiert. "Doch, das haben wir auf der Hochzeit von meiner Cousine getrunken, damals war ich fünfzehn und nach einer Stunde waren wir total gut dabei. Es hat auch echt gut geschmeckt.", verteidige ich mich. Wohl oder übel muss ich den Wein aber pur trinken, Ellen hat nämlich keine Fanta zuhause. Ich nehme einen Schluck und starre meine Freundin erschrocken an. "Was ist?", fragt sie verwirrt. Ich schlucke den Wein runter. "Das ist so ekelhaft.", flüstere ich. Ellen schüttelt den Kopf. "Yael, du hast einfach nur keinen Geschmack.", bemerkt sie. Danach schauen wir noch einen Film und als ich vollkommen übermüdet ins Bett falle, lächelt mich meine Freundin an. "Schlaf gut, mein Schatz. Du weißt ja, der erste Traum, den man in seinem neuen zu Hause träumt, geht in Erfüllung.", flüstert Ellen und küsst mich. Sie hat es natürlich nett gemeint, ich bin mir sicher, dass sie mich nicht unter Druck setzen wollte, aber dank meiner massiven Schlafstörungen und meiner Depression ist es mir kaum möglich, ruhig zu schlafen, geschweige denn etwas Schönes zu träumen. Jetzt habe ich natürlich wahnsinnige Angst, dass ich wieder einen meiner speziellen Albträume träumen muss und dass dieser dann wahr wird. "Was ist los?", fragt Ellen, die gemerkt hat, dass ich mich in dieser Situation sichtlich unwohl fühle. Ich rede mit ihr, sie ist die erste Person, die von meinen schlimmen Träumen erfährt. Kate weiß natürlich auch, dass ich nicht besonders tolle Dinge träume, aber Ellen erfährt auch, was genau ich träume. "Das menschliche Gehirn ist schon eine sehr seltsame Sache.", bemerkt sie. "Das Gehirn verarbeitet eben die Gedanken und Gefühle des Tages.", entgegne ich. Dagegen kann meine Freundin nichts sagen und sie wird nachdenklich. In dieser Situation tut sie mir ziemlich leid, denn eigentlich wollte sie mich nur ablenken. Ich hasse mich dafür, dass ich immer erst rede und mir dann Gedanken darüber mache, ob ich mit den Worten jemanden verletzen könnte. Ich nehme meine Freundin in den Arm und wir schauen noch einen Film, bei dem ich dann einschlafe. Ich träume nichts schlimmes, ehrlich gesagt kann ich mich am nächsten Tag nicht mehr an den Traum erinnern und das ist für mich ziemlich positiv, denn zumindest muss ich jetzt keine Angst mehr vor einem besonders realistischen Monster haben.

"Ist Yael hier? Und was ist mit Benjo? Schläft er gerade? Kann ich mit ihm spielen?", bombardiert James seine Mama mit Fragen, als er nach Hause kommt. "Benjo ist wach, wir wollen gleich mit ihm spazieren gehen. Kommst du mit?", frage ich den kleinen Engel. Er nickt begeistert. "Wo ist eigentlich dein Papa?", fragt Ellen. James zuckt mit den Schultern und geht nach draußen. Während James mit Benjo spielt, schaue ich unauffällig aus dem Fenster. Ellen und ihr Exmann scheinen sich zu streiten. Meine ehemalige Lehrerin fuchtelt wild mit den Händen herum und ihr Exmann brüllt etwas, das ich leider nicht verstehen kann, weil ich zu weit weg bin. Als Ellen nach oben kommt, lächelt sie mich an und gibt mir einen Kuss. "Es ist so schön, dass du endlich hier bist.", flüstert sie. Bevor ich sie darauf ansprechen kann, was ich gesehen habe, schlägt sie vor, dass wir doch jetzt mit Benjo spazieren gehen sollen. Als wir auf der Hundewiese ankommen und James mit Benjo tobt, spreche ich die Situation an. "Das hast du gesehen? Mein Ex war verständlicherweise nicht besonders begeistert. James hat wohl das ganze Wochenende von dir geschwärmt und sein Vater kommt eben nicht damit klar, dass ich jetzt mit einer Frau zusammen bin.", erklärt meine Freundin. "Das ist doch sein Problem, wenn er einen so begrenzten Horizont hat. Der Typ soll sich nicht so aufregen. Sorry, dafür habe ich kein Verständnis.", erwidere ich. "Yael, wie würdest du dich fühlen, wenn deine Ex plötzlich mit einem Mann zusammen wäre?", fragt Ellen. "Mein lieber Schatz, meine Ex ist mir vollkommen egal. Von mir aus kann sie von einer Atombombe getroffen werden, es wäre mir egal. Sie kann von mir aus mit einem lila Alien zusammen sein, auch das ist mir total egal. Man muss doch auch über jemanden hinweg kommen.", erkläre ich. Dagegen kann meine Freundin nichts sagen, denn ich habe Recht. Natürlich ist das etwas anderes, weil hier ein Kind involviert ist und weil die beiden immerhin verheiratet waren, aber im Grunde sind es die selben Gedanken und Gefühle, wie bei jedem anderen auch.

"Fuck, was soll das? Verdammte Scheiße, das kann doch nicht wahr sein!", flucht meine Freundin. Ich habe sie noch nie so aufgebracht gesehen. "Was ist los?", frage ich erschrocken. Meine ehemalige Lehrerin hält mir einen sehr amtlich wirkenden Brief hin. Seit ich alleine gewohnt habe, habe ich gemerkt, dass es gar nicht gut ist, wenn man unerwartet Post bekommt. "Was steht denn in dem Brief drin?", frage ich und lege meiner Freundin meine Hand auf die Schulter. Ellen ist allerdings so aufgeregt, dass sie meine Hand abschüttelt. "Verdammt, er beantragt das alleinige Sorgerecht! Kannst du mir vielleicht erklären, wie zum Teufel er auf so eine absolut bescheuerte Idee kommt?", regt sie sich auf. "Wahrscheinlich denkt er, dass du keine gute Mutter bist, weil du mit deiner ehemaligen Schülerin zusammen bist und weil ich eine Frau bin. Vielleicht denkt er, dass James dadurch irgendwie in seiner Entwicklung zurückstecken muss oder dass er auf die schiefe Bahn gerät, keine Ahnung was er sich denkt, aber das sind so die Gedanken, die irgendwelche homophoben Typen haben, deren Stolz verletzt wurde.", erkläre ich. "Eigentlich hätte ich schon früher wissen müssen, was für ein Idiot er ist. Da gab es tatsächlich ein paar Situationen, in denen er gesagt hat, dass Schwule Männer total eklig sind und dass es so etwas früher nicht gegeben hätte. Krass, wie konnte ich nur so lange meine Augen verschließen? Entweder war ich auf beiden Augen blind oder einfach nur komplett blöd.", bemerkt Ellen nachdenklich. "Du warst einfach verliebt und da kann dir keiner einen Vorwurf machen. Ich habe mich auch oft in irgendwelche Leute verliebt und habe erst hinterher verstanden, dass sie wahnsinnig toxisch sind und dass ich mich in der Beziehung selbst aufgegeben habe. So ist das eben, wenn man verliebt ist oder jemanden so sehr liebt, dass man sich selbst und alles andere dabei vergisst.", versuche ich meine Freundin zu beruhigen. "Das Schlimmste an Verrat ist, dass er nie von deinen Feinden kommt, sondern von denen, von denen du eigentlich gedacht hast und, dass ihr Freunde wärt oder zumindest mal, dass ihr euch nicht wehtun wollt.", bemerkt Ellen. An diesem Abend bin ich es, die ihre Freundin trösten muss. Ich muss sagen, dass ich das eigentlich recht gut kann, dann seit meiner frühesten Kindheit war ich immer für alle anderen da, aber es war nie jemand für mich da, deswegen kann ich andere ziemlich gut trösten. Ich halte meine Freundin im Arm und gebe ihr Sicherheit, ab und zu frage ich sie, ob sie mit mir reden möchte. Als sie sich dann doch mal alles von der Seele geredet hat, wirkt sie etwas entspannter. "Ich verspreche dir, dass ich alles dafür tun werde, dass James bei dir bleiben kann, bei uns. Ich will, dass du glücklich bist und ich will, dass James glücklich ist.", flüstere ich.

Am Tag der Verhandlung ist meine Freundin wahnsinnig nervös, aber nicht unbedingt nervöser als ich. Wir alle werden befragt und als der Exmann meiner Freundin befragt wird, erzählt er Dinge, die eigentlich gar nicht stimmen können, zumindest lese ich das aus dem Gesicht von Ellen ab. Sein Anwalt bringt auch einige Aussagen, von denen ich mich ziemlich angegriffen fühle und auch der Richter erkennt, dass der Anwalt total homophob ist. "Sie haben doch Jura studiert und einen Eid geleistet, dass sie jeden vor dem Gesetz verteidigen, da jeder das Recht hat, verteidigt zu werden. Warum gehen Sie die Gegenseite so homophob und menschenverachtend an? Von jemandem, der tagtäglich Leute vertritt, der eine ist unschuldig, der andere nicht, hätte ich wirklich mehr erwartet. Noch vor einer Woche haben Sie einen Vergewaltiger verteidigt, dem haben Sie mehr Respekt zugemessen, als der Exfrau Ihres Mandanten. Darf ich fragen, warum das so ist?", fragt der Richter. Der Anwalt nuschelt eine kaum hörbare Entschuldigung. Nachdem über den Ex von Ellen einige Dinge rausgekommen sind und der Richter meiner Freundin das alleinige Sorgerecht zugesprochen hat, wendet er sich noch mal an ihn. "Sie wissen doch gar nicht, wie sehr Sie Ihren Sohn verletzen. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie ihn komplett verlieren.", erklärt er. Ellen, James und ich verlassen das Gericht als Familie. Als der Kleine im Bett ist, fällt mir meine Freundin glücklich in die Arme. "Yael, stell dir vor, jetzt sind wir eine richtige Familie!", ruft sie begeistert. Ich bin wahnsinnig glücklich, denn sie hat Recht. Wir sind eine Familie und jetzt kann uns nichts mehr passieren.

You're still my person | LGBTQWo Geschichten leben. Entdecke jetzt