Kapitel 8 - Konsequenzen

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Da ging auf einmal ein Alarm in mir an und hektisch hielt ich meine Schnauze in die Luft, während meine Augen die Umgebung abscannten. Schon drang ein unangenehmer, haariger Geruch in meine feine Nase, der dem eines Hundes sehr ähnelte. Wolf! Und zwar nicht nur einer, sondern gleich das ganze Rudel. Eulenkacke, das würde Ärger geben! Und vor allem: Fünf gegen Eine war definitiv kein fairer Kampf.

Nichts, mit dem ich noch nicht fertig geworden wäre, dennoch musste ich berücksichtigen, dass ich gerade erst einen Kampf hinter mir hatte – wenn auch keinen Anstrengenden. Aber in meiner momentanen Verfassung, so musste ich leider zugeben, würde ich nur noch etwa vier Wölfe besiegen können – leider kein ganzes Rudel.

Was waren also meine Möglichkeiten? Entweder verstecken und warten, bis ich wieder ausreichend Energie hatte, oder kämpfen mit dem wahrscheinlichen Ergebnis, dass das Rudel mich besiegen würde. Noch dazu würde ich bei Letzterem mehrere ernste Wunden davontragen und darauf hatte ich gar keine Lust. Es genügte ja schon, dass die Lehrer hier mir misstrauten, weil sie spürten, dass ich ihnen etwas sehr Wichtiges verschwieg – dann mussten sie mich nicht auch noch für ein brutales Problemkind mit zu großer Schnauze halten. Also: Nein, danke, ich passe!

Schon verschwand ich im Wald, der mir wie immer Deckung gab, sodass ich nicht so leicht gesehen werden konnte. Von einem hohen Baum aus, auf den die Wölfe nicht mal versuchen würden, zu klettern, weil er gen Boden am Stamm keine Äste hatte, beobachtete ich, wie das Rudel in ihrer Menschengestalt auf die Lichtung stürmte.

Während Rey und Chase gleich zu dem am Boden liegenden Sjur stürzten – wahrscheinlich, um ihn in die Krankenstation zu bringen –, verwandelten sich Kayana, Ylva und Leano flüssig und geordnet nacheinander in einen großen, hellbraunen Mackenzie-Wolf, einen rotbraunen Mexikanischen Wolf und einen hellblonden Hudson Bay Wolf. Vorsichtshalber schlich ich leise, und ohne irgendein Geraschel der Blätter auszulösen, näher an den Stamm heran. Einen Augenblick später liefen die drei Woodwalker auch schon mit den noch feineren Nasen, als es meine leider war, in den Wald hinein. Ihr Ziel war ganz klar, mich zur Strecke zu bringen. Aber nicht mit mir!

Wie erwartet war Kayana die Erste, die meine Witterung aufnahm und bewegte sich in Richtung meines Baumes. Ich wartete noch kurz, bis sie nah genug dran war, dann sprang ich über sie hinweg in den nächsten Baum. Da spitzte Ylva plötzlich die Ohren und siedend heiß fiel mir ein, dass Woodwalker ja die Gegenwart eines Anderen spüren konnten.

Berglöwenkacke! Also hatte ich wohl wieder zwei Möglichkeiten: Entweder ich würde auf einem Baum bleiben und mich ausruhen, was allerdings von den Wölfen als Feiglingsverhalten abgestempelt werden könnte, oder ich lief vor ihnen weg, was ebenfalls als Feiglingsverhalten abgestempelt werden könnte. Ach du große Bergspitze! Hatte ich denn gar keine andere Möglichkeit?

Ich machte mir zwar nichts aus den Gedanken der Wölfe bezüglich mir, aber vielleicht würden sie auch auf mich hinuntersehen und mit mir wie mit einem ängstlichen Beutetier umgehen, das sie leicht einschüchtern können. Wobei ich dies natürlich durch ein kleines Kämpfchen auch wieder gerade biegen könnte, aber ich wollte nun mal einfach nicht, dass sie den Respekt vor mir verloren! Seit wann interessierte mich sowas eigentlich? Da fiel mir eine dritte Möglichkeit ein: Einfach in die Offensive gehen!

Mein Körper war schließlich nur minimal erschöpft, und einen Kampf gegen einen schwachen Hudson Bay Wolf würde ich leicht gewinnen. Bei Kayana und Ylva war das nur leider etwas anderes ... Kayana war sehr klug und bekanntermaßen besiegte Schlauheit meistens die physische Stärke. Und gegen Ylva könnte ich theoretisch kämpfen, aber ich wollte nicht. Nicht gegen meine vielleicht einzige Freundin hier, der ich einigermaßen vertraute.

Lya?, rief plötzlich eine flüsternde Stimme so leise wie ein Windhauch in meinen Kopf. Das war Ylva's Stimme! Erschrocken zuckte ich zusammen. Doch gleich darauf beruhigte ich mich wieder – Ylva war eine der Klassenbesten und, wenn sie es nicht wollte, konnte niemand der Umstehenden ihre Stimme im Kopf wahrnehmen. Außer der angesprochenen Person natürlich. Trotzdem blieb ich angespannt. Wollte sie mich wegen der Sache mit ihrem Beta zusammenstauchen oder an das Rudel verpfeifen?

Entgegen aller meiner Erwartungen wandte sich Ylva von dem Baum, auf dem ich saß, ab, und meinte laut zu Kayana und Leano: Es wäre besser, würden wir uns aufteilen. Dann können wir ein größeres Gebiet absuchen.

Ich staunte. Wollte sie tatsächlich von mir ablenken? Oder wollte sie sich gleich, wenn die Anderen weg waren, mit mir einen hitzigen Kampf liefern? Mein mulmiges Gefühl im Bauch verstärkte sich, als Kayana ihr einen misstrauischen Blick zuwarf. Höchstwahrscheinlich würde Ylva mich gleich verraten. Und dann wäre ich ihnen ausgeliefert wie eine Maus einem Adler.  Drei gegen Einen – ich hätte nicht die leiseste Chance, zu gewinnen. Innerlich stellte ich mich schon mal auf den nicht zu vermeidenden Schmerz ein.

Aber dann durchzuckte mich ein Gedanke, der noch viel mehr schmerzte, als ein deftiger Biss Ylvas: Ich war sozusagen noch in der Probezeit. Hatte keine Eltern, die mir das hier momentan bezahlten ... Bitter schluckte ich meine Wehmut herunter. Wenn meine Eltern davon erfahren würden, wo ich war ... Heftig schüttelte ich meinen Kopf, um diese Gedanken loszuwerden. Wenn ich alles richtig machte, würden sie hier von nie erfahren! Und doch hätte ich sie an dieser neuen Schule gerne an meiner Seite. Sehnsüchtig blickte ich in die Ferne. Wie gerne würde ich dies alles hier mit meinen engsten Vertrauten, mit meiner Familie, durchstehen ...

Abermals schüttelte ich missmutig meinen schweren Berglöwenkopf. Ich musste von diesem Gedanken loskommen! Oder wollte ich etwa, dass ihnen etwas zustieß?

Plötzlich schrie eine Stimme in meinem Inneren mich an: ‚Willst du das? Willst du noch mehr Blut an deinen Pfoten kleben haben? Willst du das? Willst du das, du Mörderin?' Ich fauchte. Meinem Menschen-Ich stiegen Tränen in die Augen. ‚Nein', wimmerte ich zurück, ‚will ich nicht'. ,Zu spät!', knurrte die Stimme triumphierend.

Unter Qualen drehte ich meinen Kopf weg.
Wand mich, wollte den nachhallenden Worten ausweichen.
Trotzdem trafen sie mich immer wieder.
Ein quälender Eissplitter nach dem Anderen bohrte sich in mein Herz.
Wie gehauchte Worte von Geistern, die um meine feinen Ohren herumflogen, drangen sie in mich ein.

„Mörderin!"
„Du bist es nicht wert, leben zu dürfen!"
„Deine Eltern schämen sich für dich!"
„Du wirst alle umbringen!"
„Jedermanns Blut wird an deinen Händen kleben ..."

‚Aufhören!', schrie ich verzweifelt, ,Hört auf!'
Meinem Menschen-Ich liefen die Tränen in Sturzbächen herunter, und ich könnte wetten, dass es meinem Berglöwen-Ich nicht anders erging.
Ich schrie, bis ich glaubte, mein Trommelfall würde zerplatzen.
Weinte, obwohl ich längst ausgetrocknet war.
Schlug blindlings um mich, bis alle Äste und Zweige mindestens zehn Krallenspuren zierten und die Blätter zerfetzt zu Boden fielen.

„Du bist es nicht wert, zu leben!", hauchte eine bösartige Stimme in mein Ohr – oder in mir drinnen. Ich hatte keine Ahnung. Wusste nicht mal, wo unten und oben war. Wusste nichts, außer, dass ich eine Mörderin war, die es nicht verdiente, zu leben ...

Ich sah die Gesichter meiner Eltern vor mir. Wie sie sich enttäuscht von mir abwandten. Mir nicht mal in die Augen blicken konnten vor Scham. Ich weinte. Schrie. Wollte nur noch, dass es aufhörte. Egal, wie.

Plötzlich fühlte ich mich schwerelos. Für einen kurzen Moment war ich frei von allen Sorgen. Frei von all diesen Eissplittern, diesen Wahrheiten.

Ich hörte einen Schrei in meinen Ohren gellen, aber es war nicht mein Eigener. Dennoch kam mir die Stimme bekannt vor.

Im nächsten Moment durchzuckte mich eine heftige Erschütterung. Ich spürte, wie Knochen brachen und hörte dieses ekelerregende Knacken. Mein ganzer Körper erzitterte. Dann knallte mein Kopf auf und ich sah nur noch die erlösende Schwärze ...

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1264 Wörter

Ganz schöner Trubel und Gefühlschaos, den und das Lya da erleben muss. Irgendwie tut es mir gerade richtig leid, was ich mit ihr veranstalte 😕

Aber wessen Schrei war das am Ende? Irgendjemand, dessen Stimme ihr bekannt vorkam ...

Und woher kamen diese Stimmen? Warum reden die ihr das ein? Haben sie vielleicht irgendwas mit Lyas Vergangenheit zu tuen, in der Wölfe auch eine entscheidende Rolle gespielt haben?

Woodwalkers - Lyanna RiderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt