Ylva
Das waren die schlimmsten Stunden in meinem ganzen Leben, die ich bei Lya verbrachte.
Sie zitterte die ganze Zeit über wie Espenlaub, sodass ich schon mehrmals Sherri Rivergirl geholt hatte. Jedoch die konnte auch nicht viel machen und meinte nur sehr besorgt, dass Lya Panikattacken hätte, und verabreichte ihr noch ein paar Beruhigungsmittel.Nachdem die Medikamente in ihr Nervensystem eingedrungen waren, wurde es ein bisschen besser – aber eben auch nur ein bisschen.
Sie schrie an einem Stück und fauchte so bedrohlich und verzweifelt, dass ich hin- und hergerissen zwischen Fluchtnehmen und Umarmen war. Und je länger ich an ihrem Bett in der Krankenstation saß und irgendwie versuchte, ihr beizustehen, desto mehr wollte ich mein Verhalten der letzten Tage rückgängig machen.
Ich wusste mittlerweile, dass ich überreagiert hatte. Genug Zeit nachzudenken, hatte ich schließlich gehabt. Und jetzt bereute ich es sehr, dass ich Lya so in die Ecke gedrängt hatte. Ich verstand auch nicht, wieso ich da auf einmal so aufdringlich gewesen war – schließlich hatte jeder seine Geheimnisse! Und ich spürte, dass Lyas gewaltig waren.
Ich konnte verstehen, wieso sie mir, einer fremden Person, die sie erst seit ein paar Tagen kannte, noch nicht alles gesagt hatte. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass sie mir überhaupt etwas anvertraute.Abermals wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als der fellhaarige, dunkle Körper neben mir anfing, zu zucken.
Eine weitere Welle der Panikattacke, wie Sherri sie nannte, war im Anmarsch.Lya brüllte und fauchte, als ginge es um ihr Leben, kämpfte mit Krallen, bedrohlichen Gesten und allem, was sie hatte, gegen einen Gegner, der für mich unsichtbar blieb. Doch gleichzeitig zitterte sie auch, als hätte sie tierische Angst.
Und ich konnte nur zu sehen, wie meine Mitbewohnerin so völlig hilflos vor mir lag und wohl Schreckliches durchleben musste.
Ich bemerkte die Tränen erst, als sie von meinen Wangen auf ihren mächtigen Berglöwenkörper tropften und sie bei dieser klitzekleinen Berührung heftig zusammenzuckte.
Ich hatte Angst um sie. Richtig Angst.Auf einmal schrie sie auf, als erlebe sie gerade Höllenqualen, und drehte sich zu mir.
Ihre geschlossenen Augen vermittelten etwas Friedliches. Aber der Rest ihres Körpers glich einer verängstigen Beute, die sich in Todesangst gegen etwas zu wehren versuchte, was viel größer war als sie. Angespannt, mit ausgefahrenen Krallen und einem peitschenden Schwanz, dessen Klatschen, wenn er gegen die Wand schlug, wie ein Donnerschlag in meinen Ohren widerhallte.Unwillkürlich zuckte ich vor ihr zurück – sie sah einfach zu bedrohlich aus. Mein Instinkt sagte mir, ich solle vor ihr flüchten. Sie brachte Ärger.
Aber sie war meine Freundin und ich half meinen Freunden – egal, welchen Mist sie auch gebaut hatten.Also lehnte ich mich über sie und umarmte ihren zitternden Berglöwenkörper. Ich hielt sie fest in meinen Armen und hoffte, dass sie irgendwie spüren konnte, dass sie nicht allein war. Dass sie das alles nicht allein durchstehen musste.
Ich hörte ihr vor Furcht laut trommelndes Herz und fühlte jedes Mal, in dem sich ihr mächtiger Körper aufbäumte. Für diesen Augenblick wirkte sie so verletzlich, dass trotz meiner natürlichen Abneigung gegen Berglöwen mein Beschützerinstinkt ansprang. Ich wollte sie aus ihrer anderen Welt, in der sie Qualen und schreckliche Angst erleben musste, aus ihrem Alptraum, rauszuholen!Ich war überrascht von mir selber und doch wusste ich, dass meine Gedanken völlig richtig waren. Eine Freundin ließ man nicht allein! Und zudem Lya gehörte mittlerweile zu meinem persönlichen Rudel, welches ich nie zurücklassen würde.
Irgendwie war die Situation abstrus: Ein so großer Berglöwe, der von einem Wolfsmädchen umarmt wurde. Wenn das Ahnungslose sehen würden ... Ich musste grinsen, lies es aber schnell wieder fallen, als Lyas Körper sich erneut aufbäumte. Sie zuckte wie unter Strom und schlug wirr um sich. Urplötzlich hörte ich ein lautes Geräusch, eine Mischung aus menschlichem Schrei und aus katzischem Fauchen, so dicht an meinem Ohr, dass ich zurückfuhr und tatsächlich Angst um mein Trommelfell bekam.
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Woodwalkers - Lyanna Rider
Fanfiction'Ich senkte den Kopf und betrachtete meine ausgefahrenen Krallen, die sich in das weiche Gras bohrten. Ich spürte den Widerstand, den der Granit darunter mir bot. Leider konnte ich einen Verrat ihrerseits nicht ausschließen. Auf der Flucht war Naiv...