Und was ist passiert, nachdem die Gang dich ... du weißt schon ... hatte?
Der Mexikanische Wolf neben mir löste seinen Blick von dem wunderschönen Sonnenuntergang vor uns und sah mich mitfühlend, aber neugierig an.
Nachdenklich schaute ich hingegen weiterhin auf das temperamentvolle Farbenspiel, das so nah schien, aber in Wahrheit Tausende Baumlängen entfernt brannte.
In dem leichten Rotton erkannte ich für einen Moment mein Blut wieder und wandte hastig den Kopf ab. Trotzdem kamen die Erinnerungen wieder in mir hoch. Doch diesmal konnte ich sie kontrollieren. Mittlerweile hatte ich durch Ylva gelernt, dass es gut und hilfreich wirkte, negative Erlebnisse Revue passieren zu lassen, um sie zu verarbeiten.
Also ließ ich für einen kurzen Moment zu, dass ich den Alpha der Gang vor mir aufragen sah. Ich konzentrierte mich auf die restlichen Woodwalker, die in einem Kreis in ihrer Wolfs-Gestalt um uns herum standen, um nicht wieder die Furcht und die Wehrlosigkeit zu spüren, wenn ich den Timberwolf erblickte. Sein Rudel war im Vergleich zu ihm sanft und liebevoll, wenn auch etwas ungepflegt. Aber das waren Woodwalker, die auf der Straße lebten, immer. Wir würden zwar besser klarkommen, als normale Lebewesen, da wir beide Gestalten inne hatten, aber niemals gut genährt und appetitlich aussehen.
Dementsprechend waren die Wölfe dieser Gruppe unter ihrem verfilztem Fell abgemagert und ihre Augen trüb. Nur mich sahen sie hoffnungsvoll an. Nicht, weil ich sie in irgendeiner Weise retten könnte, sondern, weil ich ihren Hunger stillen würde. Nur zu dumm, dass ich hatte fliehen können. Zwar mit der einen oder anderen Fleischwunde und um eine Kralle erleichtert, aber ... am Leben.
Ich wusste noch, dass mein Vorderbein mehrere Wochen gebraucht hatte, um zu verheilen. Bei Woodwalkern ging das normalerweise schneller, aber mein Immunsystem war mit der Fleischwunde in meinem Bauch und den Bisswunden um mein Genick und meine Kehle beschäftigt gewesen. Und da es sinnvoller war, einen immensen Blutverlust zu stoppen, um zu überleben, als sich erst um einen zum Glück recht geraden Bruch zu kümmern, hatte ich eben mehrere Wochen in einer geschützten Höhle in einem abgelegenen Wald verbracht.
Meiner Familie hatte ich einen Brief vor die Tür gelegt, in dem ich sie anlog, dass ich erstmal Abstand von unser vergangenen Krisensituation gebraucht hätte und deswegen eine kleine Tour durch verschiedene Waldgebiete machen würde. Sie hatten es wohl verstanden, denn kein einziger Polizist war mich suchen gekommen.
Lya?, unterbrach Ylva schließlich meine Gedanken und stupste mich mit ihrer nassen Schnauze einmal an. Ich zuckte kurz zusammen und sah sie dann etwas durcheinander an. Nach der Gang?, half sie mir auf die Sprünge. Ach ja. Ich sammelte mich kurz und begann zu erzählen.
Den größten Teil davon hatte ich eh gerade in meinem Kopf noch einmal abgespielt. Folglich war es kein Problem, dies wiederzugeben. Ich sprach, bis ich zu dem Punkt angelangt war, wo auch mein Bruch endlich verheilt gewesen war, und Ylva hörte mir die ganze Zeit über aufmerksam zu. An der Stelle mit dem Brief an meine Eltern bekam sie einen unglaublichen Lachkrampf, während ich nur verwirrt danebenlag und anscheinend irgendwie den Faden verloren hatte.
Es ist nur so, meine sie zwischen zwei Japsern, dass ich vor ein paar Jahren, also ungefähr zur gleichen Zeit, wie du, tatsächlich eine Wanderung durch verschiedene Wälder und Steppen gemacht habe. Mit dem Unterschied, dass ich nicht wie ein jammernder Welpe in Mamis geschützter Höhle saß und mich an die Orte träumte. Grinsend betrachtete sie meine Reaktion und zuckte provozierend mit den Ohren.
Ich starrte sie an. Bis ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich den Mund aufbekam: Das ist nicht witzig! Demonstrativ eingeschnappt wandte ich den Blick von ihr ab, die sie immer noch nach Luft schnappend auf dem grasbedeckten Granitblock vor der Schule lag. Do-ho-och, kicherte Ylva in meinen Kopf, das ist es! Obwohl ich sie nicht ansah, spürte ich gleich, dass sie mich belustigt ansah. Weswegen auch immer. Seufzend wandte ich meinen Blick wieder dem malerischen Sonnenuntergang zu. Aber wer schafft es auch, einen Mexikanischen Wolf zu verstehen?
Niemand, richtig. Außer vielleicht andere Wölfe, die die gleiche, unschlüssige Logik teilen, die einfach keinen Sinn ergab. Mein Menschen-ich schmunzelte.
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Woodwalkers - Lyanna Rider
Fanfiction'Ich senkte den Kopf und betrachtete meine ausgefahrenen Krallen, die sich in das weiche Gras bohrten. Ich spürte den Widerstand, den der Granit darunter mir bot. Leider konnte ich einen Verrat ihrerseits nicht ausschließen. Auf der Flucht war Naiv...