Kapitel 2 - Gewissermaßen ein Verhör

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Erst am Nachmittag wachte ich langsam wieder auf. Normalerweise hatte ich als Raubkatze einen recht leichten Schlaf, diesmal war ich wohl aber wirklich richtig erschöpft gewesen. Dann nahm ich eine Witterung auf, die keineswegs nach Wald roch, sondern nach ... nach ... Menschenzimmer! Mit einem Satz war ich aus dem Bett gesprungen, in dem ich eben noch gelegen hatte, und knallte dabei voll gegen ein anderes Bett. Holzgeruch strich mir um die feine Nase. Aber auch irgendwas Beißendes war dabei. Ich zuckte erschrocken weg und es knallte ordentlich, als ich gegen einen Stuhl stieß, der daraufhin zu Boden flog. Lautes Stimmengewirr warnte mich vor mehreren Personen, die gleich in das Zimmer gestürmt kommen würden. Unwillkürlich zitterte ich am ganzen Körper. Meine Schulter schmerzte und in meiner Nase juckte es von den vielen, neuen Gerüchen.

Die Tür flog auf und mehrere erwachsene Menschen stürmten herein. Erstaunt sahen sie sich um. „Wurdest du gerade gar nicht angegriffen?", fragte ein junger Mann mit schwarzen Haaren und bernsteinfarbenen Augen. Seine durchtrainierte Gestalt und kämpferische, dominante Aura erinnerte mich an einen Wolf. Kurz hatte ich das Bedürfnis, ihm warnend meine Reißzähnen zu zeigen, nach einem Blick über die gesamte Gruppe ließ ich es aber bleiben und verdrängte meine Furcht. Stattdessen sprang ich nun verwundert über ihr Eintreffen zurück auf mein Bett, um etwas höher zu sein. Es war ja schließlich nicht nötig, dass die auf mich herabblicken mussten.

Äh ... nein, antwortete ich. Warum?

Diesmal trat eine etwas kleinere, rundlichere Frau nach vorne und übernahm das Sprechen. Als sie den Mund aufmachte, hatte ich Mühe, nicht angeekelt zurückzuzucken. Fischgestank, bäh! „Es war nun Mal so laut bei dir hier. Und da dachten wir ..." Hilflos hob sie die Schultern. "Tja..."

Eine peinliche Stille senkte sich über uns ab. Schließlich räusperte sich der Mann, der als Erster gesprochen hatte.
„Nun denn. Wenn bei dir alles in Ordnung ist, wünschen wir dir noch einen schönen Tag. Lissa Clearwater kommt auch gleich noch einmal zu dir, um alles Weitere zu besprechen." Damit verabschiedeten sie sich und schlossen die Tür wieder hinter sich.

Ich legte mich hin. War es normal, dass Lehrer beim kleinsten Geräusch sofort antanzten? Wahrscheinlich nicht. Warum hatten sie es also getan? Wussten sie vielleicht über meine Eltern Bescheid? Erschrocken sprang ich wieder vom Bett runter und lief immer schneller Kreise über den weichen Flickenteppich auf dem Boden. Beunruhigt konzentrierte ich meine Sinne auf das Geschehen draußen. Auf dem Flur vor der Tür flüsterten zwei Mädchen miteinander. Tuschelten sie über mich? Ich spitzte die Ohren.
„So süß ...", „... aber er ... Beutetiere ..." und „ ... ich machen?" fingen meine Ohren auf. Aha. Da ging es schon mal nicht um mich. Gut. Langsam wagte ich es, mich zu entspannen. Es war auch noch kein Alarm losgegangen oder so. Kein gefährliches Raubtier versuchte gerade, mich gefangen zu nehmen. Es war alles in bester Ordnung. Leise schlich ich mit immer noch zitternden Pfoten in das Bett zurück, das schon leicht meinen Geruch trug, und legte mich hin. Das Kinn legte ich auf den übereinander geschlagenen Pfoten ab. Wachsam zuckten meine Ohren hin und her. Meine Nase witterte nach irgendwelchen Gerüchen und meine Augen verharrten auf der braunen Holztür. Ich mochte nach außen hin voller ruhiger Wachsamkeit erscheinen, aber in meinem Inneren brodelte es. Meine Gedanken rasten wieder einmal unruhig durch die Gegend und mein Herz trommelte heftig in meiner Brust.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam endlich Lissa Clearwater, die Schulleiterin, herein. Ich musste an unsere Kuschelaktion von heute Morgen denken und versteifte mich kurz vor Verlegenheit. Ihre warmen Augen und ihre offene, ungefährliche Körperhaltung ließen mich aber schnell wieder entspannen. Erwartungsvoll setzte ich mich auf, während sie den umgekippten Stuhl wieder aufrichtete und sich drauf setzte. Wir schwiegen beide kurz.

Dann meinte sie: „Ich hatte dir ja versprochen, dass du bleiben darfst..."

Ich peitschte verhalten mit meinem Schwanz und meine Tasthaare zitterten vor Aufregung. Konnte es sein, dass hier gerade mein Traum in Erfüllung ging?

Woodwalkers - Lyanna RiderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt