Kapitel 10

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Ryoichi schaffte es noch einen Flur weiter, ehe er stehen bleiben musste, um die Augen zu schließen und sich an eine Wand zu lehnen. Er war sich unangenehm über seinen eigenen Herzschlag bewusst, während er seine Kiefer so anspannte, dass sie zu schmerzen begannen.

Er sollte nach Hause gehen, sein Zeug packen und nicht mehr zurück schauen. An diesem Punkt wusste er nicht einmal, warum Yagura es für nötig hielt, ihn noch auf diese Mission zu schicken, wenn er schon genau wusste, dass er gegen die Regierung arbeitete. Leute waren schon für weniger beseitigt worden. Wollte er ihm eine Chance geben zu beweisen, dass er doch ein guter und patriotischer Shinobi des Wasserreiches war? Das passte nicht zu ihm.

Was jedoch genau zu ihm passte war zu wissen, dass Ryoichi jetzt nicht einfach verschwinden konnte. Ryoichi hatte viele Leute sterben sehen, alt und jung. Wenn er verhindern konnte, dass zwei Teenager für ihre Dummheit ausgeschaltet wurden, dann war es das wert.

Er versuchte, all seine Wut herunter zu schlucken, doch sie blieb ihm als dicker Klumpen im Hals stecken, und er musste mehrfach tief durchatmen, um sich darauf konzentrieren zu können, seinen Puls zu beruhigen. Ryoichi hätte es bevorzugt, hätte Yagura einfach irgendwen beauftragt, ihn umzubringen, anstatt noch dumme Spielchen zu spielen. Das hatte alles überhaupt keinen Sinn.

"Ryoichi?"

Ryoichi schaute auf und entdeckte zu seiner Überraschung Utakata vor sich. Er brauchte einen Moment, um das zu verinnerlichen. Er räusperte sich. "Witzig", sagte er und lachte knapp und sehr schief auf. "Yagura hatte mich herbestellt für eine lustige kleine Mission. Nichts weiter." Er winkte ab.

Utakata legte den Kopf schief und es wirkte, als würde er etwas fragen wollen. Stattdessen schwieg er und nickte dann, trat einen Schritt zurück.

Ryoichi seufzte. Manchmal hätte er gern gewusst, was in Utakata so vor sich ging, viel durchscheinen ließ er immerhin nicht. Aber er konnte es ihm nicht vorwerfen. Nicht, dass er das nicht gelegentlich wollte, jedoch... Jedoch...

Ich werde Utakata von dir grüßen.

"Es tut mir Leid, dass ich dich gestört hab heute Morgen", sagte Ryoichi leise, den Blick abgewandt. "Es kommt nicht wieder vor. Es... sollte nicht wieder vorkommen." Yagura wusste, dass Ryoichi Dreck am Stecken hatte. Utakata sollte da nicht mit hinein gezogen werden, er hatte mehr zu verlieren als Ryoichi.

Er wandte sich ab. Er musste sich auf die Mission vorbereiten. Doch Utakata streckte die Hand nach ihm aus, machte eine langsame Bewegung, um seine Hand an seinen Unterarm zu legen. Obwohl Ryoichi dicke Armstulpen trug, war die Berührung warm. Ungewollt ließ er die Schultern hängen.

"Du weißt, dass es nicht an dir liegt...?", fragte Utakata mit gedämpfter Stimme und eindringlichem Blick, vielleicht auch ein wenig besorgt. Ryoichi hätte sich darin verlieren können, entschied aber, dass es nicht der rechte Augenblick dafür war.

"Ich weiß", antwortete er dann, auch wenn das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Er versuchte sich an einem Lächeln.

Als er jedoch ansetzte um noch etwas zu sagen, bogen zwei andere Shinobi um die Ecke. Ryoichi hatte ihre Namen vergessen, er wusste nur, dass es sich um Jonin aus den zentralen Clans handelte. Während er einsah, dass er sich vor dem Mizukage verneigen musste, tat er es bei den beiden nicht, und auch Utakata zeigte keinerlei Reaktion. Er zog lediglich seine Hand von Ryoichis Arm zurück.

"Schönen guten Morgen!", grüßte Ryoichi die beiden mit besonders breitem Grinsen.

Immerhin einer von ihnen grüßte zurück, der andere schaute sehr angestrengt Utakata an. Sie machten einen Bogen um sie als wäre einer von ihnen Patient Null einer besonders ansteckenden Krankheit. Ryoichi ächzte, als sie noch in Hörweite waren, schaute dann aber zu Utakata.

"Danke", sagte er leise. Er wusste nicht genau, wofür er sich bedankte, aber allein, dass Utakata neben ihm stand, fühlte sich zu gut an um nicht dankbar dafür zu sein.

Utakata schaute zur Seite. Ryoichi hätte ihn gern umarmt, um vielleicht ein bisschen Melancholie von ihm abschütteln zu können, wusste aber, dass das nicht ging, nicht hier und nicht in diesem Leben. Es war schlauer, wenn sie Abstand voneinander hielten. Ryoichi wusste, dass er ein turbulentes und gefährliches Leben führte, eine Last, die er Utakata nicht zusätzlich zumuten wollte. Ein Jinchuuriki zu sein war Strafe genug.

"Wir sehen uns", sagte Utakata leise, lächelte zaghaft.

Ryoichi konnte nicht anders als es zu erwidern. "Wir sehen uns", widerholte er. Erst, als sich ihre Wege wieder getrennt hatten und er draußen vor der Mizukage-Residenz stand, fiel ihm auf, wie dumm diese Aussage gewesen war und wie sehr sie im Kontrast zu all seinen vorgehenden Gedanken stand. Die Last des Lebens schlug ihm mit eiskalter Faust entgegen, als er hinaus in den Nebel trat.

Als Ryoichi wieder in seiner Wohnung stand, überlegte er kurz, ob es schlau war, jetzt Zabuzas Brief zu übersetzen. Doch er hatte keine Zeit. Er musste die beiden Kinder finden, bevor sie noch irgendetwas Dummes anstellten, indem sie effektiv ihr eigenes Grab noch ein wenig tiefer aushoben.

Ryoichi packte alle Schriftrollen zusammen, die er finden konnte, und versiegelte ein gutes Dutzend von den leeren Exemplaren in jene, die er in seine rechte Schriftrollentasche steckte. Er überprüfte, ob beide stählerne Jo-Jos in zusätzlichen Taschen aufbewahrt waren. Dann atmete er tief durch, zog seine Armstulpen hinab, um seine Unterarme zu betrachten.

Durch die zahlreichen Versiegelungen hatte er eines seiner Chakra-Siegel aktivieren müssen, ein Trick, den nicht gern anwandte, auf den er aber aufgrund seiner niedrigen Chakra-Ressourcen dringend angewiesen war. Auf seinem linken Arm standen die Kanji von eins bis drei, auf der rechten Seite jetzt nur noch die Vier und die Fünf, da er die Sechs gerade verbraucht hatte. Er seufzte. Er musste sich demnächst unbedingt einen Tag frei nehmen, um das wieder aufzufüllen. Er konnte nie wissen, wann er es brauchen würde.

Ryoichi schaute sich noch einmal die Informationen über die beiden jugendlichen Chunin an. Die Geschwister sahen sich sehr ähnlich und Ryoichi dachte einen Moment zu lange an Kaze, schüttelte schließlich aber den Kopf, um sich davon abzubringen.

Er biss sich auf den Finger, um ein Jutsu des vertrauten Geists anzuwenden. Gleich darauf saß Himekuki auf seiner Fensterbank.

"Sowas wie Privatsphäre und Freiraum kennst du nicht, hm? Manchmal braucht man etwas Abstand voneinander", krächzte sie sogleich.

"Ich bezahle mit einem ganzen Glas Rollmops, wenn du mir hilfst", lachte er und kraulte ihr kurz den Kopf. Er wusste, dass sie weder gegen Futter noch gegen Streicheleinheiten etwas einzuwenden hatte.

Himekuki musterte ihn einen Augenblick. Er würde gern wissen, was sie dachte, aber die Augen von Vögeln würden für ihn auf Ewig ein Rätsel bleiben.

"Nun gut", sagte sie schließlich und schüttelte sich. "Dann weih' mich ein."

Nichts ist ZufallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt