Keine freundliche Nachbarschaft

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Fawn sah Charlie abwartend an, die Ruder über ihrem Schoß liegen habend.

Charlie schluckte, als der grüne Blick auf ihn fixiert wurde. „Sie scheint friedlich zu sein und sie ist definitiv nicht aggressiv. Sie hat mich nicht angegriffen, obwohl ich als Fremder so nahe an ihrem Nest war. Ich würde sie hierlassen. Sie hat den Platz ja selbst gewählt, sie jagt selbst und man kann nicht zufällig über ihr Nest stolpern. Aber ich werde mit meinem Boss sprechen müssen."

„Arbeitest du dann für das Reservat bei Trondheim? Das ist das nächste von hier, oder?" Sie sah ihn fragend an.

„Nein." Er schüttelte den Kopf und nahm ihr die Ruder ab.

Fawn beobachtete ihn ein paar Momente dabei, wie er versuchte, dass Bott in die richtige Richtung zu steiern. Mit einem Lächeln zeigte sie ihm, wie es ging und lehnte sich dann zurück. „Aber das Reservat bei Trondheim ist schon das nächste, oder?"

Charlie dachte nach. „Ja, ich denke schon."

Sie verschränkte die Arme und sah übers Wasser. „Ich weiß nicht, ob ich das gut finde. Hier soll ein aggressiver Drache sein und man schickt jemand von einem relativ weit entfernten Reservat hier her? Was denken die Leute sich? Das hätte wirklich ins Auge gehen können. Die können wirklich froh sein, dass meine Schöne absolut kein aggressiver Drache ist, sonst hätten die wirklich ein Problem."

„Da kann ich dir wirklich keine Antwort geben. Die anderen Reservate sollten nicht so mit Problemen umgehen. Aber was sie dazu getrieben hat, dass ist wirklich eine gute Frage. Vermutlich waren sie einfach faul."

„Das ist schön für sie, aber für Leute hier könnte das den Tod bedeutet haben. Ich weiß nicht, ob man solchen Leuten die Leitung eines Drachenreservates anvertrauen sollte. Wenn die sich so verhalten..." Fawn schüttelte den Kopf, sagte aber weiter nichts, sondern sah über das Wasser. Als sie sich dem Anleger näherten, nahm sie Charlie wortlos die Ruder ab und legte gekonnt am Holzsteg an.

„Eine Frage habe ich aber noch." Fawn stockte und sah Charlie an. „Hat nichts mit dem Drachen zu tun. Zumindest nicht direkt. Du sagtest, du hättest den Brief nicht geschrieben. Macht auch Sinn. Warum solltest du dich über einen Drachen beschweren, der auf deinem Land lebt und mit dem du befreundet bist? Aber wer hat den Brief dann geschrieben? Und warum?"

Sie drehte sich um und sah nachdenklich über den Fjord, der sich vor ihnen erstreckte. Dann seufzte sie und es ging durch ihren ganzen Körper. „Ich weiß wer den Brief geschrieben hat und warum. Auf der anderen Seite des Fjords, außerhalb meines Lands lebt eine Familie. Sie haben das Land immer genutzt, für was auch immer, bis ich es gekauft habe. Ich habe ihnen nicht verboten das Land zu betreten, zumindest am Anfang nicht.

Ich habe ihnen erklärt, was ich mit dem Gelände mache und das es Regeln gibt, die sie zu befolgen haben, wenn sie mein Land betreten. Am Anfang gab es auch keine Probleme, sie haben mein Land gar nicht betreten. Das war mir auch recht. Es ist ihre Entscheidung.

Aber dann sind ihre Jungs wieder und wieder auf meinem Land aufgetaucht, haben Lagerfeuer gemacht, Baumhäuser gebaut und die Tiere verschreckt. Alles, was ich ihnen sagte, dass sie nicht tun dürften. Ich habe mit ihnen reden wollen, sie haben nicht gehört. Ich bin zu ihrer Mutter. Sie meinte nur, dass sie das schon immer so gemacht hätten und dass ich damit leben müsste."

„Aber es ist jetzt dein Land. DU kannst entscheiden, was man darauf machen kann und was nicht. Was davor war, dass hatten sie mit dem vorherigen Besitzer ausmachen müssen."

„Ich bin deiner Meinung. Aber meine reizende Nachbarin nicht. Sie wollte es nicht einsehen und ihre Jungs auch nicht, also habe ich ihnen letztendlich verboten mein Land zu betreten. Sie haben das nicht ernst genommen und ich habe die Behörden verständigt. Da scheinen sie erst gemerkt zu haben, dass es mir ernst war. Aber das heißt nicht, dass wir eine friedliche Nachbarschaft haben. Ihre Jungs hängen an der Grenze herum und ich in sehr sicher, dass sie auf meinem Land sind, wenn ich sie nicht sehe.

Ich habe mit ihr darüber gesprochen, aber sie will nichts hören. Ihre Jungs würden nichts falsch machen und sie hätten auch nie etwas falsch gemacht, denn es sei ihr Recht. Sie dürften den Wald nutzen, der vorherige Besitzer habe ihr ein Lebenslanges Recht eingeräumt. Das ist absoluter Quatsch. Hätte so etwas existiert, hätte es im Vertrag stehen müssen. Tat es nicht.

Aber nun ja. Sie hasst mich und noch viel mehr hasst sie, was ich mit dem Land mache und das sie nicht mehr einfach Feuerholz schlagen können und ihre Jungs keine Baumhäuser mehr bauen können. Und vermutlich auch, dass ich ihnen verboten habe, ihr Boot auf dem Fjord zu haben. Ein Motorboot. Es ist nicht schwer herauszubekommen, dass sie es war."

„Was wirst du jetzt tun?"

Sie drehte sich um und sah Charlie wieder an. „Nichts."

„Nichts? Sie hätte dich echt in Probleme bringen können."

Fawn seufzte. „Da ist nichts, dass ich tun kann. Nicht wirklich. Sie wird den Beamten nur wieder eine besorgte Frau vorführen, die nur um die Gesundheit ihrer Kinder besorgt sei und ein Drache sei ja immer so gefährlich und ein Reservat sei ja offen für die Öffentlichkeit und wer weiß was noch. Die Beamten werden ihr danken ein solch besorgter Bürger zu sein und das wird es dann wieder gewesen sein."

„Du klingst, als wäre das schon passiert."

„Nicht ganz so, aber so in die Richtung. Das ist nicht das erste Mal, dass sie so etwas versucht hat. Nur das extremste. Das letzte Mal wurde mir vorgeworfen ich würde das Land nicht besitzen, davor, dass ich keine gültigen Papiere hätte. Sie will mich von diesem Land vertreiben, damit das Reservat verschwindet und sie den Wald und Fjord wieder nutzen kann, wie sie will." Fawn zuckte mit den Schultern und grinste dann blutrünstig.

„Dumm nur für sie, wenn ich irgendwas bin, dann ist es stur. Sturer als ein Esel. Mir gefällt es hier und ich will mein Reservat hier haben. Also kann sie mit ihrer hässlichen Frisur gegen eine Betonwand rennen, wenn sie will. Ich werde nicht von hier weggehen. Kann sie selbst tun, wenn ihr mein Reservat nicht passt." Sie verschränkte die Arme und marschierte auf ihr Haus zu.

Drachen tanzen nicht nur am HimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt