Charlie drehte den Kopf und musterte Fawns Gesicht aus der Nähe. Ihre grünen Augen waren offen und ehrlich. Es war keine Erwartung zu sehen, keine Kritik, nichts. Charlie sah wieder übers Wasser.
„Ich liebe meine Familie, keine Frage. Ich liebe meine kleine Schwester. Aber manchmal... manchmal könnte ich sie schütteln. Sie ist manchmal einfach nur dämlich. Sie glaubt, dass das Leben ihr schuldet, was sie will. Das ihr Traum wahr werden wird, ohne dass sie Arbeit hineinsteckt. Ihr Traum würde auch mit Arbeit wohl nicht wahr werden, aber trotz allem. Sie glaubt, dass der Mann ihrer Träume sie zu heiraten hat, ohne dass er sich eine andere Meinung bilden kann.
Dumm nur für sie, dass der sie wohl für zu klammernd hielt. Oder dass sie ihn zu sehr eingeschränkt hat. Oder sich zu sehr in sein Leben eingemischt hat. Weil natürlich muss sein Leben sein wie sie es sich erträumt hat. Er hat sie verlassen, aber das wollte sie nicht wahrhaben und hat ihn verfolgt. Gestalkt, wenn man es ganz genau nimmt. Und irgendwann ist er dann einfach verschwunden. Und sie heult ihm noch immer hinterher, tut nichts anderes. Arbeitet nicht. Datet nicht. Nichts. Als würde er einfach wieder zurückkommen.
Ich könnte ihr vielleicht sogar Mitleid zeigen. Okay, vielleicht auch nicht. Aber jedes Mal, wenn ich in Kontakt mit meiner Familie bin, muss ich mir all das wieder anhören. Ich scheinen das einzige Familienmitglied zu sein, den sie dazu bringen können ihnen überhaupt noch zuzuhören. Ihr Drama und ihre Wahnvorstellungen scheinen der einzige Grund zu sein, um überhaupt in Kontakt mit mir zu treten. Als hätte ich keinen Platz in der Familie außer um mir die dämlichen Geschichten meiner kleinen Schwester anzuhören."
Fawn legte ihre Hand auf seine Schulter sagte aber nichts weiter. „Ich will einfach mal für mich selbst von ihnen angerufen werden. Einfach mal, um zu sehen, wie es mir geht. Verdammt, meine Freunde im Reservat wissen mehr über mich als meine eigene Familie. Verdammt. Du weißt vermutlich jetzt mehr über mich." Charlie raufte sich die Haare.
Fawn schmunzelte. „Das würde ich nicht unterschreiben. Ich kenne nicht mal deine Lieblingsfarbe oder dein Lieblingsessen."
„Ich denke nicht, dass das wichtig ist. Aber um zu antworten, himmelblau für die Freiheit und Feuerkartoffeln. Aber was bringt es, dass zu wissen, wenn man die Seele darunter nicht kennt?"
„Die meisten Leute sind allerdings nicht bereit sich so sehr zu offenbaren. Es ist, als würde man seine Seele offenlegen. Und dazu sind viele Menschen nicht bereit."
„Ich meine ja nicht zu Fremden. Tut mir leid. Aber meine Familie sollte meine Seele kennen. Meine Familie sollte mich kennen. Sollte wissen, was ich mit meiner freien Zeit anstelle. Sollte wissen, dass mir Geschlechter egal sind. Sollte wissen, dass mir Ruhm und Reichtum unwichtig sind. Meine Güte." Charlie raufte sich die Haare. „Sie sollten keine Fremde sein."
„Weißt du denn all das über deine Familie? Sonst bist du ziemlich hyperkritisch."
„Ich habe Kontakt mit meiner Familie. Ich weiß, dass meine älteste Nichte eine Katze haben will, die sie nicht bekommen wird, weil ihre Mutter eine Katzenallergie hat. Ich weiß, dass einer meiner Brüder endlich aus seiner Depression gekommen ist und seine Verlobte eine große Rolle darin spielte. Ich weiß, dass die Beziehung eines anderen Bruders sich in Luft auflöst, weil sich die beiden die ganze Zeit streiten. Ich kenne sie nicht perfekt, aber ich kenne die wichtigsten Informationen. Ich bezweifle das meine Mutter von meiner Beförderung weiß, oder dass ich für eine Weile eben nicht in Rumänien bin."
Fawn kicherte. „Hast du irgendjemand aus deiner Familie davon erzählt?"
„Meinem älteren Bruder und einem meiner jüngeren. Mein Boss weiß es, meine Freunde wissen es. Sollte sie versuchen etwas über mein Leben zu wissen, dann wüsste sie es."
„Und deine kleine Schwester? Ist sie auch so?"
Charlie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es würde mich wundern, wenn meine Schwester überhaupt wüsste, wie alt ich bin. Sie hat meinen Geburtstag seit Jahren vergessen. Und es wundert mich nicht mal mehr, dass mir von ihr nicht gratuliert wurde. Sie denkt nur an ihren Typen. An nichts anderes."
„Den..." Fawn schluckte. „Denkst du sie ist mental... nicht ganz richtig? Das sie wirklich krank ist?" Ihre Stimme wurde mit jedem Wort leiser, bis sie nur noch flüsterte.
„Nein. Sie hat Wahnvorstellungen, wenn irgendwas. Aber ich denke sie will nur Aufmerksamkeit und sonst nichts. Als hätte niemand besseres zu tun als ihren Wünschen und Träumen zu folgen. Aber so scheint sie die Welt zu sehen. Und unsere Mutter will ihre Träume nicht brechen und ihr sagen, dass sie ihr Leben auf die Reihe zu bekommen hat."
„Hat man dir das gesagt? Das du dein Leben auf die Reihe bekommen musst?" Fawns Stimme drang zu Charlie durch und er sah zu ihr. Sie zuckte mit den Schultern. „Es klang so... emotional. Noch persönlicher als der Rest. Als wärst du enttäuscht, weil es dir so ergangen war."
„Ja." Charlie seufzte. „Mir wurde gesagt, dass ich mein Leben zusammenzubekommen habe. Dabei hatte ich da schon einen stabilen Job, Einkommen und Leben, ohne auf meine Eltern vertrauen zu müssen. Sie lebt Zuhause, hockt in ihrem Zimmer wie eine Prinzessin in ihrem Turm und seufzt und wartet auf einem Helden, dem ich zurufen würde, bleib weg. Aber ihr wird es nicht gesagt. Aber dann mir.
Warum kann sie uns nicht alle gleichbehandeln? Wir sind alle ihre Kinder, aber ihre Tochter ist eine fehlerlose Prinzessin und der Rest von uns wird ständig kritisiert. Wann immer wir nicht in einem langweiligen Büroberuf und von Zuhause aus und am besten ein ganzes Quidditchteam von Kindern haben, dann haben wir unser Leben nicht im Griff.
Wie kann man nur versuchen, dass die eigenen Kinder nach der eigenen Vorstellung leben? Ich könnte niemals mein Kind zu etwas drängen, dass es nicht will. Niemals."
„Oh, du hast Kinder? Ich will dich wirklich nicht von ihnen fernhalten." Fawn schien in sich zusammen zu sinken.
„Nein! Nein. Ich habe keine Kinder, ich habe ja auch keinen Partner. Ich will es aber nicht tun, wenn ich mal Kinder habe. Und ich kann es mir nicht vorstellen, dass ich es je wollen würde. Nein. Es gibt für sowas keinen Grund. Besonders nicht, wenn das Kind das ganz klar für sich selbst tun kann."
Fawn kichert leise bei Charlies druckvoller Erklärung. „Ich kenne dich zwar nicht gut, aber ich glaube nicht, dass du das jemals tun würdest. Dazu bist du einfach die falsche Person."
DU LIEST GERADE
Drachen tanzen nicht nur am Himmel
FanfictionDer Krieg ist vorbei und Charlie Weasley ist zurück im Drachenreservat. Das Leben geht seinen gewohnten Gang, zwischen der Arbeit mit den Drachen und den Anrufen seiner Familie, die nun nicht mehr so sehr von dem Tod eines der Zwillinge und mehr mit...