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- ANA -

„Hallo, herzlich willkommen im Santiago! Wisst ihr schon, was ich euch bringen kann?" Freundlich lächle ich die zwei Mädchen am Tisch vor mir an und mustere sie kurz. Sie sind beide sehr hübsch. Ebenso ihre Klamotten. Sie sehen nicht so aus, als kämen sie aus dieser Gegend, jedoch kommen sie mir trotzdem irgendwie bekannt vor. Zumindest eine der beiden.

„Ich hätte gerne eine Cola", erwidert das Mädchen zu meiner rechten, ehe sie sich an ihre Freundin wendet und beginnt, für mich leider unverständlich, mit ihr zu reden.

Geduldig warte ich einen Moment lang bis sich das Mädchen wieder zu mir dreht und erneut zu sprechen beginnt. „Wir hätten gerne zwei Cola."

„Kommt sofort", lächle ich und notiere mir ihre Bestellung auf dem kleinen Notizblock in meiner Hand. Anschließend entferne ich mich von ihrem Tisch, durchquere das Café meiner Eltern und laufe hinter den Tresen.

„Zwei Cola für Tisch vier", teile ich Mamá mit.

Sie nickt, nimmt sich zwei Gläser und befüllt sie mit Cola.

Währenddessen lehne ich mich an die Theke und lasse meinen Blick durch das Café schweifen. Abgesehen von den zwei Mädchen, die ich gerade bedient habe, befindet sich nur das ältere Ehepaar Rodriguez im Café.

„Heute ist es ziemlich leer", stelle ich fest und sehe zu Mamá. Wie eigentlich immer.

Sie nickt zustimmend, während sie die befüllten Gläser auf ein Tablet stellt. „Es kommen wieder bessere Tage." Mamá lächelt mich zuversichtlich an und reicht mir das Tablett.

„Hoffentlich", murmle ich und trete mit dem Tablett in der Hand hinter dem Tresen hervor. Rasch durchquere ich das Café und komme vor dem Tisch der Mädchen zum Stehen, wodurch ich ihr Gespräch unterbreche.

Entschuldigend lächle ich sie an und stelle beiden jeweils ein Glas hin.

„Danke", kommt es von dem Mädchen zu meiner rechten, während mich das andere bloß freundlich anlächelt.

Ich wende mich von den beiden ab und bin gerade dabei, das Café erneut zu durchqueren, als die Tür laut aufgerissen wird. Erschrocken gleitet mein Blick zur Tür und nimmt zwei Männer war. Darío und Lorenzo García. Was wollen die beiden hier? Wir haben diesen Monat schon gezahlt.

Hastig laufe ich hinter den Tresen und komme neben meinem Bruder zum Stehen, der mit zusammengezogen Augenbrauen beobachtet, wie die beiden Männer sich zu den Mädchen, die ich soeben bedient habe, setzen.

In dem Moment macht es bei mir Klick. Das Mädchen, das mit mir gesprochen hat, kommt mir so bekannt vor, weil sie Lucrecia García ist. Die Schwester von Darío García. Das andere Mädchen scheint aber keine García zu sein. Zumindest habe ich sie vorher noch nie gesehen.

„Was wollen die hier?", knurrt Enrique neben mir.

Ahnungslos zucke ich mit den Schultern, während ich den Blick von den Garcías abwende. „Es sieht nicht so aus, als wollten sie weiteres Geld von uns haben."

Mein Bruder nickt. „Kassierst du die Rodriguez ab? Ich sage Papá Bescheid."

Mein Blick schweift zu dem älteren Ehepaar, bei dem der Mann die Hand hebt und uns so zu verstehen gibt, dass sie zahlen wollen. „Ja."

Ich lege das Tablett, das noch in meiner Hand ist, ab und trete um den Tresen herum, ehe ich mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen auf das ältere Pärchen zu gehe. „Sie wollen zahlen?"

Señor Rodriguez nickt und zückt seinen Geldbeutel. {Herr}

Ich werfe einen Blick auf meinen Notizzettel, um mir einen Überblick über ihre Bestellung und die Preise zu machen, bevor ich ebenfalls meinen Geldbeutel zücke. „Das macht dann 96000000 VEF." {Venezuela Bolívar Fuerte = Geld in Venezuela}

„Hier, niña." Señor Rodriguez überreicht mir das Geld mit ein bisschen Trinkgeld. {Kindchen)

Dankend lächle ich das Ehepaar an. „Vielen Dank. Einen schönen Tag noch!"

„Danke, niña", lächelt Señora Rodriguez. „Den wünschen wir dir auch!" {Frau}

„Danke!" Lächelnd entferne ich mich von dem Tisch und gehe stattdessen mit langsamen Schritten auf den Tisch der Garcías zu. Dort angekommen hoffe ich, dass mein Lächeln nicht allzu gezwungen wirkt, als ich in die Runde blicke. „Herzlich willkommen im Santiago! Kann ich Ihnen etwas bringen?"

„Ich hätte gerne dein Herz." Darío García schenkt mir ein jungenhaftes Grinsen.

Ich räuspere mich, während ich spüre, wie ungewollte Hitze meine Wangen überzieht. „Das haben wir heute leider nicht. Darf es etwas anderes sein?"

„Deine Handynummer würde für den Anfang auch reichen."

Nervös fahre ich die Spitze des Kugelschreibers in meiner Hand immer wieder ein und aus und erzeuge damit ein Klicken. „Ich kann die Cachapa sehr empfehlen." {dicker Pfannkuchen aus geriebenem Mais, leicht süß}

Darío García will gerade etwas erwidern, weiterhin mit dem jungenhaften Grinsen auf den Lippen, als Lorenzo García ihm die Chance nimmt, in dem er selbst zu sprechen beginnt: „Wir würden gerne zahlen."

„Natürlich. Getrennt oder zusammen?"

„Zusammen."

„Okay. Das macht 54000000 VEF."

Lorenzo García kramt seinen Geldbeutel aus seiner Hosentasche und drückt mir das Geld wortlos in die Hand.

„Ana!", hallt die Stimme meines Bruders zeitgleich durch das Café.

Ich drehe mich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen ist, und hebe die Hand, um ihm zu signalisieren, dass ich gleich komme.

„Danke. Einen schönen Tag wünsche ich noch." Mit einem weiterhin aufgesetztem Lächeln wende ich mich vom Tisch ab und durchquere den Raum mit großen Schritten, um nur wenige Sekunden später vor meinem Bruder zum Stehen so kommen.

„Was hast du so lange bei ihnen gemacht?"

„Nichts." Ich quetsche mich an ihm vorbei, schnappe mir ein Glas und fülle es mit Wasser, um es mir kurze Zeit später meinen plötzlich ziemlich trockenen Hals hinunterzukippen.

„Was sagt Papá?", möchte ich wissen, während ich das leere Glas in die Spüle stelle. Gleichzeitig beobachte ich, wie der Tisch der Garcías sich leert und die vier nacheinander das Café verlassen. Dabei entgeht mir der Blick nicht, den Darío García mir zu wirft, bevor er das Café verlässt.

Dieser scheint auch meinem Bruder nicht entgangen zu sein, denn anstatt zu mir meine Frage zu beantworten brummt er bloß, dass ich mich von Darío fernhalten soll, ehe er in der Küche verschwindet.

Seufzend lasse ich meinen Blick durch das leere Café schweifen, ehe ich mir ein leeres Tablett vom Tresen schnappe und mich damit auf dem Weg zu dem Tisch machen, an dem wenige Minuten zu vor noch das ältere Ehepaar gesessen hat.

Früher war unserer Café besser besucht, aber seit sich die Geschäfte der Mafia hier in der Stadt in den letzten Jahren immer mehr verstärkt haben, bleiben die meisten Einwohner von Caracas lieber Zuhause, anstatt das Santiago oder andere der leider nur noch wenigen Cafés und Restaurants zu besuchen. Auch haben die meisten Bewohner Caracas kaum Geld, um über die Runden zu kommen, was noch ein Grund weniger ist, um hier her zu kommen.

Ich bewundere meine Eltern dafür, dass sie das Santiago trotz der wenigen Besucher und der hohen monatlichen Schutzgeldzahlungen an die Garcías nicht aufgeben. Auch wir kommen nur schwer über die Runden und für meine Eltern wäre es einfacher, das Café an die Garcías zu verkaufen, aber das machen sie nicht. „Nur über meine Leiche", hat Mamá einmal dazu gesagt und ich weiß, dass sie es ernst meint.

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A/N:

Guten Morgen (:

Wie geht's euch? Wie war eure Woche?

Euer erster Eindruck der Geschichte?

Wie findet ihr Ana bisher?

Ich wünsche euch einen schönen dritten Advent <3

Du wirst mein seinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt