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- ANA -

„Guten Morgen." Mit einem Grinsen stützt Darío sich auf der Theke vor mir ab.

Ich werfe einen Blick über die Schulter. „Was willst du denn schon wieder hier?"

„Unsere Hochzeit planen", erwidert der Mann gegenüber von mir und spielt damit wohl auf seine gestrigen Worte bei ihm Zuhause an. Sein Gesichtsausdruck ist dabei so ernst, dass ich mir für einen kurzen Moment lang nicht sicher bin, ob er Spaß macht oder ob er es wirklich ernst meint. Als er allerdings den Kopf in den Nacken wirft und ein raues Lachen ausstößt, ärgere ich mich über mich selber. Nicht nur, weil ich ihm die Worte für einen kurzen Augenblick eventuell sogar abgekauft habe, sondern auch, da sich ein Teil in mir bei den Worten "Unsere Hochzeit planen" sogar gefreut hat, was mich so langsam wirklich an meiner psychischen Stabilität zweifeln lässt.

„Ich habe was für dich", sagt Darío, während er eine schwarze Tüte auf den Tresen stellt.

„Du hast was für mich?", wiederhole ich und versuche meine Stimme dabei neutral zu halten und mir die Freude nicht anmerken zulassen. Enrique und ich bekommen selten Geschenke. Einfach, weil uns das Geld dazu fehlt. Ich freue mich jedes Mal, wie ein kleines Kind, wenn wir etwas bekommen, weil es für uns eben nichts Verständliches ist, etwas geschenkt zu bekommen. Auch nicht zum Geburtstag oder zu Weihnachten.

Natürlich versuchen unsere Eltern uns immer ein Geschenk zu ermöglichen, aber es ist einfach nicht immer möglich und das verstehe ich, auch, wenn es mich traurig macht und mich Daríos Familie verfluchen lässt, weil ich weiß, dass es nicht nur unsere Familie so geht, sondern eben so gut wie allen Familien in Caracas.

Bei dem Gedanken brodelt die Wut, die ich in letzter Zeit leider häufiger als mir lieb ist einfach beiseiteschiebe, auf Darío und seine Familie wieder in mir auf.

Meine Augen verengen sich, während mein Gegenüber nickt. „Es ist nur eine Kleinigkeit, aber ich dachte, für morgen würde es sich eignen."

„Für morgen?" Mein Blick huscht zwischen der Tüte und Darío hin und her. Es kribbelt mir in den Fingern, einen Blick in die Tüte zu werfen, aber ich reiße mich zusammen und versuche mich auf den Mann vor mir zu konzentrieren.

„Japp." Er lässt das "P" ploppen. „Ich hole dich um 18:00 Uhr am Eingang des Santiagos ab."

„Nein." Ich schüttle den Kopf. Das geht nicht. Ich kann nicht schon wieder weggehen. Meine Eltern werden misstrauisch werden, wenn sie es nicht jetzt schon sind. Enrique ist es auf jeden Fall schon.

„Ich dachte, das hätten wir mittlerweile geklärt, cariño", seufzt Darío, ehe er sich von der Theke abstößt und ein paar Schritte rückwärts läuft. „Wenn du nicht kommst, bestatte ich meinen zukünftigen Schwiegereltern einfach einen Besuch ab."

Ich runzle die Stirn.

„Ja, cariño, ich rede von deinen Eltern." Seine Mundwinkel zucken. „Aber keine Sorge, es wird ein familiärer Besuch. Vielleicht fange ja doch schon mit der Hochzeitsplanung an und beziehe sie einfach mit ein."

Cabrón", rufe ich ihm hinterher, während er das Café verlässt. {Scheißkerl, Arschloch}

Als Antwort erhalte ich ein raues Lachen, woraufhin ich die Augen verdrehe. Anschließend beobachte ich ungeduldig, wie Darío die Straße überquert und in sein Auto steigt. Erst als er das Auto gestartet hat und es aus meinem Blickfeld verschwunden ist, greife ich nach der Tüte und werfe einen neugierigen Blick hinein. Ich erblicke einen Stofffetzen, der sich beim Herausnehmen als dunkelblaues Kleid, verziert mit weißen Blumen, entpuppt. Der Stoff fühlt sich weich zwischen meinen Fingern an und auch wenn ich es versuche, kann ich mir kein Zucken meiner Mundwinkel verkneifen.

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Leise ziehe ich das kleine Fenster in meinem Zimmer hoch und lehne mich ein Stück heraus, um den Abstand zwischen dem Boden und mir noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Der Abstand ist nicht groß, vielleicht eineinhalb Meter. Das sollte ich schaffen, ohne mir etwas zu brechen oder?

Ich werfe einen nervösen Blick über die Schulter und wäge noch einmal ab, ob ich mich wirklich heimlich wegschleichen sollte, klettere aber schließlich nach ein paar Sekunden vorsichtig aus dem Fenster. Meinen Eltern habe ich gesagt, dass ich total kaputt bin und mich deswegen hinlege, was, wie mir deutlich bewusst ist, natürlich ziemlich unglaubwürdig für diese Zeit ist, aber das Glück scheint heute wenigstens halbwegs auf meiner Seite zu sein, da sie es mir trotzdem irgendwie abgekauft haben. Ebenso Enrique. Nun hoffe ich, dass keiner in mein Zimmer kommen und bemerken wird, dass ich nicht da bin.

Mit einem Keuchen komme ich mit beiden Beinen auf dem Boden auf. Ich streiche die blaue, ausgewaschene Latzhose glatt und werfe einen Blick auf das Fenster, durch das ich gerade geklettert bin, hinter mir, ehe ich mit zögerlichen, leisen Schritten um das Haus herumlaufe.

Zeitgleich mit meinem Verlassen des Hinterhofes ertönt ein Motorengeräusch und nur wenige Sekunden später kommt ein schwarzer Mercedes Benz mit heruntergelassenem Fenster neben mir zum Stehen. „Wo ist das Kleid?"

„Welches Kleid?", frage ich in gespieltem Unwissen. Natürlich weiß ich, welches Kleid er meint. Das dunkelblaue, das er mir gestern geschenkt hat, und das Kleid, das ich heute aus Trotz nicht angezogen habe. Ich kann nicht leugnen, dass mir das Kleid gefällt, allerdings ändert das nichts daran, dass ich es heute und auch sonst wann nicht für Darío tragen werde.

Mit einem letzten nervösen Blick auf das Haus hinter mir umrunde ich das Auto des schwarzhaarigen Mafiosen und steige wie nun schon ein paar Mal auf der Beifahrerseite ein. Sobald ich sitze und mich angeschnallt habe, startet Darío den Wagen wieder und fährt die Straße hinunter.

„Wohin fahren wir?", möchte ich wissen, während ich mich im Sitz zurücklehne und den Mann neben mir mustere. Er trägt wie eigentlich immer eine schwarze Jeans und dazu ein schwarzes T-Shirt. Ob er die Kleidungsstücke wohl mehrmals gekauft hat, damit er sie immer tragen kann?

Meine Mundwinkel zucken bei dem Gedanken.

„Eigentlich ist es eine Überraschung." Darío wirft mir einen kurzen Blick zu. „Aber da ich schließlich aus sicherer Quelle weiß, dass du Überraschungen hasst, sage ich dir, dass wir nach La Guaira fahren."

Nach La Guaira? Ich weiß, dass La Guaira die Hauptstadt von Vargas, einem Bundesstaat in Venezuela, ist und etwa eine halbe Stunde von Caracas entfernt ist. Was ich allerdings nicht weiß ist, was wir da wollen.

„Das wirst du dann sehen, cariño", erwidert Darío, als ich ihm diese Frage stelle. Als Antwort erhält er ein unzufriedenes Brummen meinerseits.

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A/N:

Guten Morgen!

Wie geht's euch? Ich hoffe, es geht euch allen gut.

Sind Anas Gedanken nachvollziehbar oder eher nicht?

Ich wünsche euch einen schönen Tag und eine hoffentlich nicht so anstrengende Woche ;)

Du wirst mein seinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt