- ANA -
Mit einem mulmigen Gefühl im Magen mustere ich mein Fenster einen Augenblick lang, ehe ich auf die Fensterbank klettere und dort noch einmal einen Moment lang verharre, bevor ich mir einen Ruck gebe und mich zum zweiten Mal in drei Tagen heimlich rausschleiche. Diesmal treffe ich mich allerdings nicht mit Darío, so wie letztes Mal. Jenes wäre wohl gerade meine eher gewählte Variante, aber das Leben ist kein Wunschkonzert.
Mit schweifendem Blick laufe ich den Hinterhof entlang, umrunde das Haus und mache mich auf den Weg. Ich weiß zwar nicht genau, wo sich die Prostituierten von Caracas aufhalten, aber ich kenne Straßen, in denen sich eine junge Frau wahrscheinlich nicht allein aufhalten sollte, und bei denen ich vermute, dort am ehesten erfolgreich zu werden.
Mit nervösen Blicken über die Schulter und weiterhin mulmigen Gefühl im Magen schleiche ich durch die verlassenen Straßen von Caracas. Es ist recht warm und ein sonst eigentlich angenehmer Wind, der mich normalerweise zufrieden seufzen lässt, fliegt mir um die Ohren. Diesmal allerdings fröstle ich und vergrabe meine Gestalt mehr in der viel zu großen Jacke, die zuvor Enrique gehört hat, aber nicht wirklich in Gebrauch gekommen ist, da die Temperaturen selbst im Winter zu hoch für eine Jacke sind.
Unter der Jacke trage ich das Kleid, das Darío mir geschenkt hat. Mir ist deutlich bewusst, dass dies wahrscheinlich der unpassendste Zeitpunkt ist, um ein Kleidungsstück zu tragen, das von ihm kommt, aber es ist das schönste, das ich besitze und jenes, bei dem ich am meisten Hoffnung habe, jemanden zu finden.
Ich betrete eine Seitengasse und schrecke lautlos zusammen, als ich ein paar Meter von mir entfernt einen Mann entdecke. Er muss um die 50 sein und leckt sich gierig über die Lippen, als er mir entgegenblickt. Eine unangenehme Gänsehaut, die nicht mit der Gänsehaut zu vergleichen ist, die ich bei Daríos Berührungen bekomme, überkommt meinen Körper und automatisch versuche ich meine Gestalt kleiner zu machen. Die Kleidung des Mannes ist dreckig und zerrissen und verdeutlicht mir, dass er nicht die Zielgruppe ist, die ich für heute vorgesehen habe.
„Hey Kleines!", ruft er plötzlich. „Was treibt sich ein junges Ding wie du um diese Uhrzeit allein hier herum?"
Ohne eine Antwort trete ich vorsichtig einen Schritt zurück. Dabei lasse ich den Mann, der mir immer näherkommt, nicht aus den Augen. Es wird immer enger, aber ich weiß, dass eine ruckartige Bewegung meinerseits mein Todesurteil in diesem Augenblick sein wird. Er ist größer und stärker und ich werde keine Chance haben, mich gegen ihn zu wehren.
Ich schlucke und wünsche mir nichts sehnlicher, als dass ich einfach Zuhause geblieben wäre.
„Bist du taub?", knurrt der Mann, während er den Abstand zwischen uns schon fast überbrückt hat. „Ich habe dich etwas gefragt."
Wieder gebe ich keine Antwort, sondern trete einen Schritt zurück und knalle unerwartet gegen eine Brust. Der Geruch von Schweiß, Rauch und Alkohol umhüllt mich und das ist der Moment, in dem ich weiß, dass ich geliefert bin. Meine Beine sind weich und ich kann nichts gegen das Zittern tun, das meinen Körper ungewollt überkommt.
„Du dachtest doch wohl nicht, dass ..." Er unterbricht sich selbst, als ein lauter Knall ertönt.
Ein erschrockener Laut, der verdächtig nach einem Schrei klingt, entkommt meinem Mund, während ich spüre, wie der Körper hinter mir an mir herunter gleitet und ich wenige Sekunden später höre, wie er zu Boden fällt. Mein Gegenüber blickt starr auf die Person hinter mich, wahrscheinlich die Person, die geschossen hat, und taumelt ein paar Schritte zurück. Dabei hebt er beide Hände vor seiner Brust und fleht um Gnade. Dies allerdings zu spät, denn ein weiterer Knall ertönt und mein Gegenüber sackt in sich zusammen. Der Schuss hat ihn direkt in die Stirn getroffen.
Ein Schluchzen entkommt meinem Mund, während ich die Augen zusammenkneife und mir unweigerlich Bilder meiner Familie durch den Kopf gehen. Tränen kullern meine Wangen hinunter. Ich denke an Mamá, an Papá, an Enrique und ungewollt auch an Darío. Ich bin noch nicht bereit zu sterben. Mein Körper zittert am ganzen Leib, während ein leises "Bitte nicht" meinen Mund verlässt und ich, wie der Mann zu vor, meine Hände hebe und sie ein Stück von meinem Körper hebe, damit die Person hinter mir sie sehen kann.
Schluchzend atme ich einmal tief ein, kneife die Augen ein wenig fester zusammen und warte auf den Schuss. Der Schuss, der nicht kommt. Anstelle des Knallen greifen zwei Hände an meine Taille und heben mich hoch. Dabei entkommt meinem Mund ein erschrockener Laut und ich beginne zu zappeln. Was passiert hier? Ich möchte nicht sterben.
„Cariño", dringt auf einmal eine Stimme zu mir durch und sorgt dafür, dass ich aufhöre zu zappeln. Ein Gefühl von Sicherheit durchströmt meinen Körper beim Klang der Stimme. „Ich bin es. Du bist in Sicherheit. Hörst du? Du bist in Sicherheit."
Ich werde auf dem Boden abgelassen und nur wenige Sekunden später erscheint Daríos Oberkörper in meinem verschwommen Sichtfeld. Er legt seine Hände an meine Wangen und zwingt mich so dazu, ihm ins Gesicht zu sehen. „Bist du verletzt?"
Der Mann vor mir lässt seinen erstaunlich weichen Blick über mich schweifen, während ich den Kopf schüttle und ebenfalls an mir herunterblicke. Ein Blutfleck auf meiner Jacke lässt mich dabei innehalten und erschrocken taumle ich zurück. Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich begreife, dass es sich bei dem Blut nicht um meins handelt, sondern um das Blut des Mannes, den Darío wenige Augenblicke zuvor umgebracht hat.
Die Erkenntnis trifft mich blitzartig und sorgt dafür, dass ich weitere Schritte zurücktaumle, um Abstand zwischen den Schwarzhaarigen und mich zu bringen. Mein Rücken berührt nun eine Hauswand und verleiht mir so den nötigen Halt, den ich brauche, um nicht auf den Boden zu sinken.
„Du hast jemanden umgebracht", schluchze ich, während ich mich frage, wie ich gerade Sicherheit in seinen Armen finden konnte, obwohl er wenige Augenblicke zuvor zwei Menschen das Leben genommen hat.
Zwei Menschen, die ansonsten wahrscheinlich mir das Leben genommen hätten.
„Und dir somit wahrscheinlich das Leben gerettet." Die Weichheit, die ich gerade noch in seinem Blick erkennen konnte, ist verschwunden. „Du weißt genauso gut wie ich, dass du dort nicht lebend rausgekommen wärst und die Kerle es verdient hatten, zu sterben."
„Niemand hat es verdient, zu sterben."
Darío macht einen Schritt auf mich zu, woraufhin ich den Kopf schüttle. „Komm mir nicht zu nahe!"
„Ana-"
„Nein", schluchze ich. „Du hast gerade jemanden umgebracht."
„Die Kerle hätten dich sonst vergewaltigt und sich das genommen, was allein mir gehört", brüllt er mir entgegen und bevor ich reagieren kann, kommt der Mafiose mit großen Schritten auf mich zu und bleibt erst stehen, als wir so weit voneinander entfernt stehen, dass nur noch ein dünnes Blatt Papier zwischen unsere Gesichter passen würde.
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A/N:
Hallöchen!
Wie geht's euch? Wie verläuft euer Tag?
Meinung zu Annas Reaktion?
Vielen lieben Dank für die 30k Reads bei "Du wirst mein sein". Das bedeutet mir so unglaublich viel. Fühlt euch alle einmal ganz fest gedrückt hahah.
Wünsche euch noch einen schönen Tag und eine angenehme Woche!
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Du wirst mein sein
Romance„Herzlich willkommen im Santiago! Kann ich euch etwas bringen?" „Ich hätte gerne dein Herz." Darío García schenkt mir ein jungenhaftes Grinsen. Ich räuspere mich, während ich spüre wie ungewollte Hitze meine Wangen überzieht. „Das haben wir heute le...