Kapitel 6

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Ein Schmerz zuckte durch meinen Unterbauch. Erschrocken krampfte ich mich zusammen. „Lass mich in Ruhe!", fauchte ich Grey an, ohne hochzublicken. Was hatte er nun schon wieder? Ein weiterer Tritt folgte und traf mich heftig an der Hüfte. Kerzengerade fuhr ich in die Höhe. Es war nicht Grey der vor mir stand, sondern drei Jungs mit schweren Stöcken. Ich lag auch nicht in meinem Bett, sondern dicht an einer Hauswand unter dem Sternenhimmel.
„Ah! Ist der gnädige Herr auch mal aufgewacht!", knurrte der Junge, der mich anscheinend getreten hatte. Er und seine drei Kumpels traten näher an mich heran und blickten drohend auf mich herab. Sie trugen abgewetzte Kleidung, abgetretene Schuhe und ihre dreckigen Gesichter, Arme und Beine waren mit Schrammen, blauen Flecken und Narben übersäht. Der eine klopfte auf seinen schweren Stock. „Du schläfst in unserem Revier, ist dir das entgangen?" Er lächelte ein gefährliches Lächeln. Viele Zähne, keine Seele. „Du siehst aus wie n Neuling, vielleicht haben wir dir noch gar nicht klargemacht, dass man sich mit uns besser nicht anlegt!" Mit einem Schrei schleuderte er seinen Stock gegen die Wand und verfehlte meinen Kopf nur um Haaresbreite. Blitzschnell stand ich auf, die Hände hielt ich schützend vor meine Brust. „Lasst mich in Frieden!", zischte ich. Ich versuchte, furchtlos zu klingen. Es waren nur Jungs, kein großer, starker Mann.
„Ah! Der Heini will kämpfen!" , verkündete ein Junge, über dessen Stirn sich eine auffällig lange Narbe erstreckte.
Ich würde nicht einfach drauflos kämpfen. Ich würde mich nur verteidigen. Da kam mir ein Gedanke: Ich könnte meine Gabe anwenden. Den Jungs tief in die Augen blicken und sie vergessen lassen, dass ich da war. Blitzschnell blickte ich mich um und scannte die Umgebung. Vor der Imbissbude hatte sich eine Menschenmenge versammelt, die zu uns hinüberblickte. Ich würde gesehen werden.
Ehe ich mich versah, hob der Junge den Stock und dieser raste auf mich hinab. Ich hob den Arm und wehrte den Schlag ab. Die anderen Jungen blickten verdutzt drein und gingen drohend in die Knie, während der Größte nach meinem Arm packte. Ich schnellte herum und trat ihm gegen das Schienbein. Doch dieser schien genauso von Schlägen abgehärtet zu sein wie ich und boxte mir wuchtig in die Magengrube. Nun griffen mich auch die restlichen drei an, doch ich wehrte ihre Schläge ab und verpasste ihnen selbst den einen oder anderen. Einer sprang mich von hinten an und hing sich mit seinem gesamten Gewicht an meinen Hals. Gleichzeitig verpasste mir der große Junge vor mir einen Faustschlag auf die Nase. Ich taumelte rückwärts und knallte zu Boden. Ehe ich mich wieder aufrichten konnte, stürzte sich einer der Jungs auf mich und hielt meine Hände fest. Ein anderer drückte mir einen dicken Stock an den Hals. Ich spürte, wie mir Blut aus der Nase tropfte. Der Junge mit der Narbe hielt seinen Kopf über mein Gesicht, sodass seine viel zu langen, schwarzen Haare meine Backen kitzelten. Triumphierend lächelte er mich an. „Wir können es auch einfach beenden, indem du uns dein Gepäck aushändigst und nie wieder unser Revier betrittst.", bot er großzügig an.
Niemals würde ich ihnen etwas von mir schenken. Erst recht nicht meine Gitarre. Mit all meiner Muskelkraft drückte ich die Arme auseinander und trat dem Jungen, der sie festhielt in den Bauch. Gleichzeitig spürte ich einen heftigen Schlag an meinem Kopf. Ein Junge hatte mir seinen Stock gegen den Kopf geschleudert. Doch ich konnte aufstehen und sobald ich fest auf den Beinen stand, kämpfte ich solange mit den vieren, bis diese nicht mehr angriffen und die geballten Fäuste sinken ließen. Knurrend schwing der Größte seinen Stock und tigerte mit seiner Gang davon.
Schnell atmend wischte ich mir mit dem Handrücken über die blutende Nase. Selbst auf der Straße konnte man der Gewalt nicht entkommen.
Ich schulterte meine Gitarre, griff nach der Plastiktüte und lief davon, auf der Suche nach einem anderen Schlafplatz.
Erschöpft saß ich auf einer grauen Metallbank und wagte nicht, einzuschlafen. Wahrscheinlich befand ich mich schon wieder in irgendeinem Revier von irgendeiner aggressiven Gang. Lange saß ich still da, lauschte der Nacht, stützte den schmerzenden Kopf in die Hände und wartete auf den Sonnenaufgang. Als ich schon sicher war, die Nacht würde nie mehr enden, wurde der Himmel im Osten rot und röter, bis die Sonne den ganzen Himmel erhellte. Immer mehr Menschen kamen aus ihren Häusern, gingen zur Arbeit oder in die Schule. Und ich saß da auf der Bank, hatte nichts zu tun. Tag wie nachts.

Lennox Scorpio - unter den SternenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt