Kapitel 4

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Leise spielte ich auf meiner schwarze Gitarre. Ich spielte eine langsame Melodie, die ich irgendwo mal gehört hatte. Ich war froh, wenigstens meine Gitarre wieder zu haben. Sie war wie ein Freund für mich und hatte sogar einen Namen. Das würde ich aber niemals jemandem verraten.
Es war bereits Mittag und ich hatte noch nichts gegessen oder getrunken. Aber mir schien das gar nicht aufzufallen. Ich wollte auch nicht nach Essen suchen, denn das gab mir noch mehr das Gefühl nun völlig verloren und meinem Leben auf der Straße ausgeliefert zu sein. Also blieb ich auf dem Stuhl an der Bushaltestelle sitzen, auf dem ich schon gestern gesessen hatte. Inzwischen hatte ich mich mit dem Gefühl des kalten Metalles unter meinem Po angefreundet. Es wehte ein kalter Wind, der die Blätter einen Tanz aufführen lies. Ich sah dabei zu, wobei mich das Ganze ziemlich langweilte. Ich kam mir unendlich nutzlos vor. Mich brauchte niemand. Ich war überflüssig auf der Welt.
Mein weißes, löchriges T-Shirt schütze mich nicht vor dem eiskalten Wind, also suchte ich in meiner Tüte nach meiner schwarzen Lederjacke. Ich zog sie an und knöpfte sie bis oben hin zu. Fröstelnd schlang ich die Arme um die Beine und wartete - auf was, wusste ich selber nicht.
Nach einer Weile kam ein Bus angefahren. Als sich die Türen öffneten, strömte Wärme hinaus,  die so verlockend war, dass ich gar nicht lange überlegte und in den Bus stieg. Eine Frau, die gerade ausstieg rempelte mich an und stammelte danach etwas davon, dass sie mich gar nicht gesehen hätte. Ich setzte mich auf einen freien Sitzplatz gegenüber von einem alten Mann, der mich extrem an Professor Bienlein aus „Tim und Struppi" erinnerte. Als ich mich an ihm vorbeiquetschte stieß ich aus Versehen mit einer meiner Tüten an ihn und wurde so für ihn sichtbar.
Ich hatte gar nicht nachgesehen, wo der Bus überhaupt hinfuhr, aber es war ja sowieso egal auf welchem Fleck der Erde ich mich befand. Ich lehnte meinen Kopf ans Fenster und blickte hinaus. Das tat ich so lange, bis Professor Bienlein in seiner Tasche wühlte und ein Sandwich herausholte. Unwillentlich blickte ich hin. Es war ein Schnitzel-Sandwich mit ein paar Salatblättern und Tomate dazwischen. Mein Magen knurrte so laut, dass ich meinte, er müsste es hören. Er biss hinein. Der Geruch des Sandwiches war so verführerisch, dass ich kurz davor war, auch einfach hineinzubeißen. Der Hunger, den ich bis jetzt noch so gut weggesteckt hatte, überrollte mich mit einem Mal wie eine gigantische Welle. Ich musste wohl sehr auffällig auf den Sandwich geglotzt haben, denn nach einer Weile neigte Professor Bienlein den Kopf  und sah mich an. Schnell sah ich wieder aus dem Fenster und konzentrierte mich auf das nicht-Hunger-haben. Doch da tippte Bienlein mich an und hielt mir ein weißes Bündel aus Butterbrotpapier vor die Nase. Mit großen Augen startete ich ihn an. „Für mich?", fragte ich ungläubig.
Er nickte und nuschelte kauend: „Ich hab noch nen Sandwicht übrig."
Unschlüssig starrte ich auf das Bündel in seinen Händen. Mir war es peinlich, von anderen Essen geschenkt zu bekommen, vor allem deshalb weil man mir anscheinend den Hunger von der Nase ablesen konnte. Andererseits konnte ich nicht widerstehen und nahm vorsichtig das Bündel an mich. „Danke."
„Gerne. Man hilft, wo man kann.", meinte er und widmete sich wieder seinem Sandwich. Ich überlegte nicht lange und tat ihm gleich. In wenigen Minuten hatte ich meinen Sandwich hinuntergewürgt und augenblicklich keinen Hunger mehr.
Der Bus fuhr zweieinhalb Stunden, bis er die Endstation erreicht hatte. Ich stieg mit den anderen Passagieren aus und sah mich erst einmal in der neuen Gegend um. Ich war hier noch nie gewesen. Bevor ich mir die neue Gegend genauer ansehen konnte kam ein weiterer Bus. Ich überlegte nicht lange und stieg in ihn ein. Überall fühlte ich mich wohler als auf der Straße.

Lennox Scorpio - unter den SternenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt