Kapitel 9

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Wie Tausend glühend Dolche durchschnitt der Schmerz meinen Körper.
Ich würde sterben. Sicher.

Stöhnend wand ich mich und hielt mir die schweißnasse Stirn, auf der meine schwarzen Haare klebten. Wenn das hier mein Ende war, dann war es ein besonders schmerzhaftes Ende.
Wie in einem fernen Traum nahm ich wahr, wie jemand meinen Kopf hob und etwas Weiches darunter legte. Gequält schlug ich die Augen auf und sah schattenhaft eine Person, vollkommen in Schwarz gekleidet. Sie hielt etwas an meine Lippen. Ich wollte schon rufen: „Nein! Ich darf nichts Kaltes trinken!", da schwappte eine heiße Welle in meinen Mund. In diesem Moment durchfuhr erneut ein heftiger Krampf meinen Körper und mein Rücken bog sich nach hinten. Eindringlich hielt mir die Person die Flüssigkeit an die Lippen und ich trank. Ich wusste nicht, was das war, aber es fühlte sich gut an auf meinem lehren Magen.* Augenblicklich spürte ich gar nichts mehr und verschwand in einer wabernden Wolke aus dumpfen Schmerzen. Doch die kalte Stimme meines Vaters durchschnitt die schmerzende Stille und suchte mich im Traum heim. Doch es war kein Traum. Nein, es war eine Erinnerung.

„Wo warst du?!" Stampfend näherte er sich, bis er vor mir stehen blieb.
Wie zum Schutz zog ich die Schultern hoch. „Nirgends.", brummte ich, doch das war Unsinn. Mein Vater brauchte nicht anfangen die Vaterrolle zu spielen, um mich jetzt einmalig dafür zu bestrafen, dass ich spät abends noch draußen war. Sonst war er so betrunken, dass er es eh nie merkte.
„So so. Du warst also nirgends. Und kannst du mir dann erklären, warum dein nirgends außerhalb dieses Hauses liegt?"
„Ich darf doch wohl hingehen, wo ich will.", gab ich flapsig von mir und wandte mich ab, um als Übersprunghandlung einige Hefte aus meinem Schulranzen zu ziehen.
Ich spürte, wie er meine schwarzen Haare packe und mich hochzog, sodass ich mich gerade aufrichten und in sein grässliches Gesicht blicken musste. Wütend funkelte ich ihn an: Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt unter denen, so wusste ich, das Blau hervorblitzte. Eine Strähne meines Haares kitzelte meine Stirn, als ich ihn eindringlich fixierte. „Wag es nicht!", sprachen meine Augen. Grey blickte nicht weg, sondern nahm den Augenkampf an. Seine Augen sprachen Bände, die von Hass und Abneigung erzählten. Hätte man dazwischen nach auch nur dem kleinsten Anzeichen von Liebe suchen wollen, würde man jämmerlich scheitern. Ich umfasste seine Hand, die meine Haare festhielt, jedoch nicht, ohne meinem feurigen Blick standzuhalten, und drückte seine Hände von mir weg. Er wehrte sich nicht. Stattdessen stampfte er besiegt davon, die Fäuste tief in den Hosentaschen vergraben.

Langsam öffnete ich die Augen und hob den schweren Kopf, der auf einem weichen Sitzkissen geruht hatte. Etwas benommen richtete ich mich sitzend auf und blickte mich um. Die Schmerzen waren verschwunden, aber ich spürte noch, dass sie mal da waren. Sofort kam eine Frage in meinem Kopf auf: Wer war die geheimnisvolle Person, die mir, während ich krank war, diese Flüssigkeit eingeflößt hatte? Vielleicht nur ein mitfühlender Passant, aber wenn nicht: Wer hatte Interesse daran, einem kranken Straßenjungen zu helfen? Die Antwort darauf war eindeutig: niemand. Und doch schien es jemanden gegeben zu haben, der wollte, dass ich überlebte. Hatte diese Person mir auch dieses Kissen gegeben? Mit einer Hand strich ich über den fleckigen Stoff. War mein geheimnisvoller Retter öfters bei mir gewesen? Doch ehe ich diese Fragen klären konnte, tauchte schon die nächste in meinem Kopf auf, nämlich, wie lange ich überhaupt krank gewesen war. Waren es drei Tage ... oder auch vier? Vielleicht sogar eine ganze Woche? Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, dafür aber so großen Hunger wie schon lange nicht mehr. Etwas gequält kam ich auf die Beine, schulterte mein Gepäck und machte mich auf die suche nach einem Supermarkt. Ich fühlte mich kraftlos, irgendwie tattrig und außerdem hatte ich bei jedem schritt das Gefühl, gleich vor Schwäche umzukippen. Als ich einen Supermarkt gefunden hatte, und vor der Schiebetür stand, sah ich meine Spiegelung in der Scheibe. Ich schien während der Krankheit geschrumpft und zusammengefallen zu sein. Meine Wangenknochen stachen noch mehr hervor als zuvor und auch sonst war mein Gesicht blass und ausdruckslos. Meine Glieder hingen schlaff an meinem Körper und ich wirkte knochig und zerbrechlich. Wie ein Fähnchen im Wind, das bei der nächsten Böe davonwehte.
Mit einer Wasserflasche, einem Sandwich und einer Packung Tee eilte ich zurück zu der Brücke. Dort fand ich eine geeignete Feuerstelle, versteckt hinter einigen Büschen. Geschickt entfachtete ich ein Feuer, über dem ich in einem gefundenen Kessel das geklaute Wasser erhitzte. Nachdenklich bohrte ich mit einem Stock in der Erde. Ich hatte dem Tod ins Auge geblickt und doch saß ich quietschlebendig hier und wusste, dass ich das jemandem zu verdanken hatte. Doch wem?




* das mit der Person ( Lennox'"Retter")habe ich unabhängig von den Büchern erfunden, also nicht wundern liebe Beta Cru🙃

Lennox Scorpio - unter den SternenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt