Kapitel 13

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Tief holte ich Luft und straffte die Schultern. Gleich würde ich mit dem Mann sprechen. Es fehlte nur noch der Mut, die schwere Holztüre aufzuziehen. Die Tatsache, dass ich die Situation nicht richtig einschätzen konnte, machte mir Angst. Ich wusste nicht, warum der Mann mich gesehen hatte, und die Unwissenheit machte mich verrückt. Entschlossen zog ich die blaue Tür auf und blickte zur Theke. Derselbe Mann, den ich auch schon gestern gesehen hatte, stand da und trocknete ein paar Gläser ab. Da hob er den Kopf und blickte in meine Richtung. Unsere Blicke trafen sich. Der Mann verharrte in der Gläser-Abtrock-Bewegung und weitete die Augen. Da sah ich etwas, dass ich gestern nicht gesehen hatte. Die Augen des Mannes waren Arzurblau. Aber nicht irgendein Azurblau. Es war MEIN Azurblau. Klirrend ließ der Mann die Gläser in das Waschbecken fallen und kam hinter der Theke hervor, lief geradewegs auf mich zu. Vor mir blieb er stehen, kniete sich auf meine Höhe und schlang seine knochigen Arme um mich. Sein Oberkörper zuckte und ich spürte sein Herz schnell an meiner Brust schlagen. War das eine Umarmung? Oder wollte er mich festhalten? Er hob mich hoch und legte seinen Kopf auf meine Schulter. Was ging hier vor sich? War der Mann ein Psychopath? Kannte er mich oder warum umarmte er mich, als wäre das hier ein Wiedersehen nach langer Zeit? Er hob den Kopf wieder von meiner Schulter und als er mich ansah, sah ich, dass einige Tränen in seinen Augen schimmern.

„Seit Jahren habe ich keinen mehr von uns gesehen!", brachte er aufgelöst hervor. Warum konnte ich ihn verstehen? Sprach er Deutsch? Die Sprache hatte sich in meinen Ohren nicht deutsch angehört. War es dann etwa italienisch oder warum verstand ich ihn? Er stellte mich wieder auf dem Boden ab und nahm mein Gesicht in die Hände. Mit tränenden Augen schüttelte er fassungslos den Kopf, schien sich dann jedoch besinnen zu wollen und fragte mich. „Sag, mir: Wo kommst du her Oblivionjunge?"
„Ob... Oblivionjunge?", brachte ich stockend hervor. Warum weinte der Mann? In so einer seltsamen Situation hattee ich noch nie gesteckt. Mein Herz pochte so laut, dass ich mir einbildete, er müsste es hören.
„Ja!" Der Mann lächelte mich tränenüberströmt an. „Oblivion!" Er deutete erst auf seine eigenen, dann auf meine Augen. „Wie ich!"
„Was sprichst du für eine Sprache?", stellte ich die erste Frage, die mir einfiel.
„Du weißt das nicht? Hast du noch nie etwas von uns gehört?"
„Warum von uns?", fragte ich energisch und wich einen Schritt von dem Mann ab. Das war alles einfach nur gruselig.
„Von uns!" Der Mann zog sich einen Fahrradfahrhandschuh von der Hand und spreizte seine Finger. Doch ehe ich genauer hinsehen konnte, wurde die Tür aufgerissen. Mein Blick schnellte zur Seite und ich sah, wie zwei vom Scheitel bis zu den Zehen bewaffneten Polizisten in den Kiosk eintraten.
„Sicher, dass der Dieb hier reingelaufen ist?", fragte der eine Polizist auf englisch. Ich sehe hier nämlich niemanden.
Niemanden? Sahen sie auch nicht den Kioskbesitzer, der wie eingefroren vor mir auf dem Boden saß?
„Lass uns gehen.", krächzte die zweite Polizistin. Wegen ein paar Teebeuteln und Wasserflaschen so einen Aufstand zu machen, ist lächerlich.
Ich erschrak. Teebeutel und Wasserflaschen? Es handelte sich um mich. Ich hatte Tee und Wasserflaschen geklaut. Wie eingefroren stand ich da und gab mir alle erdenkliche Mühen, ja keinen Mucks von mir zu geben. Dann würden sie mich auch nicht sehen. Der Kioskbesitzer sah mich fragend an, zeigte auf mich und zog die Brauen in die Höhe. Ich nickte. Ja ich war der Dieb, über den sie sprachen.
Ich musste hier weg. Geduckt und so leise wie möglich, schlich ich mich an den Polizisten vorbei.
„Es geht nicht nur um Teebeutel und Wasserflaschen. In den letzten Wochen hatte der Dieb auch schon viel mehr geklaut.", hörte ich den Polizisten knurren.
Ich hörte, wie der Kioskbesitzer hustete und sich so für die Polizisten sichtbar machte. Er sagte etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand woraufhin die Polizisten beide gleichzeitig drauflosplapperten. Er wollte sie für mich ablenken.
Mit zusammengepressten Lippen öffnete ich die Tür und verschwand nach draußen. Sobald ich die Tür langsam wieder geschossen hatte, nahm ich meine Beine in die Hand und rannte.

Lennox Scorpio - unter den SternenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt