„Ethan?", entfuhr es mir laut.
Die hübschen, blauen Augen weiteten sich und das dazugehörige Gesicht legte sich irritiert in Falten. „Ja?"
Ich starrte den Kerl ungläubig an. Ein wirklich groß gewachsener, breiter Typ starrte zurück. Blitzartig flog mein Blick über ihn. Volles, dunkelbraunes Haar, dunkler Drei-Tage-Bart, stattlich trainiert. Weißes Shirt, Bluejeans. Auffälliges Armtattoo, nämlich vier tätowierte Streifen, die einmal um den linken Unterarm herum gingen.
Das Tattoo ... es war eindeutig der Typ, der eben den ganz Durchgang versperrt hatte, um seine Freundin zu vernaschen. Und er war auch ganz eindeutig nicht mein Ethan. Mein Ethan war schlaksig, gar schmächtig. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht mehr am Leben – oder?
Aber diese Augen ...
Erneut ließ ich meinen prüfenden Blick über ihn fliegen, als ich am untätowierten Arm hängen blieb. Und tatsächlich fand ich genau das, wonach ich suchte. Drei kreisrunde Narben, Überbleibsel von den Zigarettenstummeln seines Pflegevaters, an genau der Stelle des rechten Unterarms, an der sie auch in meiner Erinnerung immer waren. Das konnte nur eins bedeuten ...
Oh mein Gott!
Ich riss meine Augen auf und das Adrenalin schoß mir augenblicklich durch den ganzen Körper. „Das ... das kann doch nicht..." Der rote, noch halb volle Plastikbecher fiel mir aus der Hand. „Ethan!" Ohne darüber nachzudenken sprang ich ihm in die Arme.
„Immer langsam, Baby", hörte ich seine verwunderte, tiefe Stimme an meinem Ohr raunen. „Nicht, dass es mich stören würde, aber für gewöhnlich stellt man sich wenigstens mal vor, bevor man miteinander..."
„Oh mein Gott!", unterbrach ich ihn überglücklich und drückte mich erneut von ihm weg. „Scheiße, du ... du ... du lebst?", quiekte ich völlig verdattert und schaute fassungslos zu ihm hinauf. Er war wirklich ein Riese geworden.
Irritiert legte Ethan seinen Kopf schief und musterte mich kritisch, ganz so, als hätte ich einen Knall. Doch nur Sekunden später fiel ihm jegliche Mimik aus dem Gesicht, ganz so, als hätte ihn der Blitz getroffen und als würde er endlich realisieren, wer da eigentlich vor ihm stand. „Ivy?"
Ich nickte aufgeregt. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich hätte schwören können, dass es mir jeden Moment aus dem Mund springen würde, doch stattdessen purzelten nur unkontrolliert irgendwelche Worte hervor. „Ich ... du ... wir ... wir dachten, du ... du wärst ... ich meine ... und jetzt stehst du hier einfach!" Fassungslos legte ich meine Hände an meine Lippen.
„Was machst du denn hier, Ivy?", fragte er sichtlich geplättet und legte die Stirn in Falten.
„Was? Ich meine ... oh man ... du ... d-du bist es w-wirklich", stotterte ich. Ungläubig fasste ich seine Brust an, seine Oberarme, sein Gesicht. Ich konnte es einfach nicht glauben. Es sah so anders aus. Gar nicht wie mein Ethan, und trotzdem war er es. „Wo warst du denn nur?", wisperte ich, aber die laute Musik verschluckte meine Worte.
Doch ganz plötzlich verfinsterte sich Ethans Mine und er kam einen Schritt auf mich zu. „Lass das, Ivy." Unsanft zog er meine Hand von seiner Wange herunter und blickte sich um, doch niemand schien sich weiter für uns zu interessieren.
Ich stand völlig unter Schock, doch zugleich auch so sehr unter Strom, wie noch nie in meinem Leben. Ethan Sawyer war gar nicht tot? Er stand hier einfach so vor mir? Auf einer Party? Auf einer verdammten Party?! Als diese Erkenntnis wirklich zu mir durchdrang, traf sie mich wie ein Faustschlag in die Magengrube.
Unter den Schock und die Freude mischte sich augenblicklich eine nie zuvor gefühlte Wut. Ohne weiter darüber nachzudenken, holte ich aus und schlug Ethan so fest ich konnte mit der flachen Hand ins Gesicht. „Weißt du eigentlich, was du uns angetan hast?", schrie ich ihm danach unter vollem Adrenalin entgegen. „Weißt du, was du Ryan und Mum angetan hast?"
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Das Flüstern des Alphas | ✔︎
Fantasy( WATTYS 2023 Shortlist ) Wolfsfieber oder Prägung sind für Ivy Adams Fremdwörter, mit denen sie rein gar nichts verbinden kann. Sie und ihre beste Freundin Hope sind vielmehr damit beschäftigt, endlich ins Campusleben einzutauchen und so genießen s...