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Ich dachte zurück an das überwältigende, mich völlig überfordernde Gefühl nach meiner Wandlung. „Ich habe in dem Moment so viel gefühlt", wisperte ich leise. „Es war ... keine Ahnung ... irgendwie überwältigend."

„Nicht nur für dich." Ethan lächelte anerkennend.

„Aber ich dachte, Halbblüter wandeln nur, wenn sie wirklich wahnsinnig werden?" Fragend blickte ich Ethan an. „Aber das Einzige, was ich davor gefühlt habe ... war reine Angst." Um dich, fügte ich in Gedanken an.

Ethan legte die Stirn in Falten. „Das ist ja das merkwürdige. Ich weiß es nicht."

Ich zupfte nervös an einem Faden der alten Wolldecke herum. „Warum glaubst du, verfalle ich nicht dem Wahnsinn, so wie alle anderen Halbblüter vor mir?"

„Das weiß ich auch noch nicht. Aber wir werden es rausfinden."

„Wir?"

„Das Rudel und ich."

Irritiert hielt ich inne und legte den Kopf schief. Ich wollte gerade meine Bedenken äußern, da legte Ethan mir seinen Finger zum Schweigen auf die Lippen.

„Hör mir erst zu, Ivy. Ich habe Chris nach langem hin und her überzeugen können, dass wir zusammen arbeiten müssen. Chris hat alle zurück gepfiffen, als er gemerkt hat, dass kein Angriff von dir ausging. Es war klar, dass du aus reiner Angst fliehst, nicht, weil du blutrünstig irgendwelche Menschen abschlachten wolltest. Das Zögern, dich zu melden, hat ihn in eine Patt-Situation gebracht. Die Primus würden ihn dafür bestrafen und das weiß er ganz genau."

Sprachlos starrte ich Ethan an.

„Wir werden dem ganzen auf den Grund gehen, okay?"

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Ich ... ich weiß nicht, was ich sagen soll."

Ethan lächelte. „Mach dir keine Gedanken um das Rudel, Ivy. Es wird sich alles klären. Da bin ich mir sicher. Du hattest dich beim Wandeln im Griff, das ist erstmal dich wichtigste Erkenntnis für alle."

„Im Griff", wiederholte ich zischend und verdrehte die Augen.

„Gut ... in einem etwas panischem Griff vielleicht." Ethan schmunzelte. „Aber immerhin in keinem tollwütigen."

„Und nun? Wie geht es jetzt weiter?"

„Wir versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen. Es muss einen Grund dafür geben, dass du deine Wolfsgen so gut kontrollieren kannst und du so schnell mit deinem Wolf im Einklang warst... jedenfalls was das Wegrennen anging."

Ethan schnaubte belustigt. „Mein Gott, du warst schnell, Baby. Jake und die Zwillinge hatten echt Mühe dran zu bleiben. Ich schmiere es ihnen jeden Tag aufs Brot ... abgehängt vom Halbblut, tz."

Er verzog seinen Mund zu einem wunderschönen Lächeln. „Diese Loser ... ich hätte dich sicher nicht so einfach entkommen lassen."

Ich musterte gründlich sein hübsches, gerade so unbeschwert lächelndes Gesicht und sofort wachten die Schmetterlinge aus ihrem dreitägigen Winterschlaf auf. Sie hatten das Tango tanzen nicht verlernt.

Ich beobachtete Ethans volle, vom Lächeln gespannten Lippen, musterte seinen dunklen Bart, seine markanten Wangenknochen, dann seine Augen. Die endlose Weite seiner blauen Augen war einfach quälend und beflügelnd zugleich. Jedes Mal verlor ich mich in diesem tiefblauen Abgrund und doch würde ich immer und immer wieder hinein springen. Wie konnte man nur so schön sein?

„Gefällt dir, was du siehst?", fragte Ethan plötzlich und riss mich aus meinen Gedanken.

Verlegen ließ ich den Blick sinken, während meine Wangen rot wurden. Ich räusperte mich leise, als mir die nächste Frage einfiel. „Ich ... ich habe euch übrigens gehört. Eure Stimmen... sie waren in meinem Kopf."

Ethan nickte. „So verständigen sich Wolfswandler in ihrer Wolfsgestalt."

„Aber ... aber ich habe euch schon gehört, da war ich noch gar kein Wolf."

Ethan legte seinen Kopf schief. „Wie meinst du das?"

„So wie ich es sage. Als du vor dem Fenster standest, und ich nichts mehr sehen konnte, habe ich mich ganz stark auf mein Gehör konzentriert ... und dann habe ich euch gehört."

Ethans Augenbrauen sanken ungläubig hinab. „Du verarschst mich."

„Nein", antworte ich. „W-Wieso ... ist das komisch?"

Ethan mustert mich, als wäre ich wirklich ein Alien, ehe er sich räuspert. „Nun ja, komisch ist das schon. Denn es ist eine Fähigkeit, die eigentlich nur Alphas beherrschen."

Perplex sah ich zu Ethan hinauf. „Tatsächlich?", quiekte ich fast.

Ethan atmetet tief ein und schüttelt ungläubig seinen schönen Kopf. „Wow. Also, das ... das ist mal eine Neuigkeit. Das muss ich unbedingt mit Chris besprechen." Ethan strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Du steckst wirklich voller Überraschungen, Kitz."

Verlegen ließ ich meinen Blick sinken, als mir mein T-Shirt auffiel. „Wieso ... wieso trage ich eigentlich dein T-Shirt?"

Ethan grinste. „Gute Frage. Als ich dich im Wald gefunden hatte, warst du ja nackt. Aber all deine Anziehsachen sind scheiße eng. Keine Ahnung, wie ich dir ne Skinny-Jeans anziehen sollte, während du halb bewusstlos warst, also mein Shirt."

Sofort stieg mir die Hitze ins Gesicht und ich wurde knall rot. „Du hast mich nackt gesehen?", frage ich schockiert.

„Ich hab dich sogar nackt getragen." Ethan grinste schäbig. „Wärst du nur nicht ohnmächtig gewesen ... oh man."

Peinlich berührt schlug ich die Hände vors Gesicht und quiekte laut los. „Lass das!"

Ethan lachte tief und laut. „Wär es dir lieber, ich hätte dich nicht gefunden?" Er griff nach meinen Händen und zog sie von meinem Gesicht herunter. „Ich meine, dich so zu tragen war schon ziemlich heiß, keine Frage, aber als kleine Wölfin warst du fast noch ein bisschen schärfer. Mein Wolf ist fast durchgedreht, als ich dich das erste Mal so gesehen hab."

„Ethan Sawyer!" Sofort schlug ich ihm auf den gespannten Oberarm, ehe er mich lachend an sich heran zog und ich meine Scham an seiner Brust vergaben konnte.

Ethan lachte und küsste mich auf den Scheitel. 

Ich lächelte heimlich in sein Shirt hinein, wie das kleine verliebte Mädchen von damals.

„Aber ich meins ernst, Ivy ... Mir ist ziemlich die Spucke weggeblieben, als du als Wolf vor mir standest."

„Ich hab mit meiner Wandlung wohl alle ziemlich überrascht", sagte ich verlegen und biss mir auf die Unterlippe, doch Ethan antwortete nicht.

Dafür spürte ich, wie er mich noch fester an seine Brust drückte. Nach ein paar Sekunden hörte ich seine Stimme dann doch, „Du hast ja keine Ahnung, Kleines", sagte er plötzlich leise. Auf einmal wirkte er seltsam ernst, doch seinen Blick konnte ich nicht so recht deuten.

„So, und nun komm." Ethan presste mit einen Kuss auf die Stirn, ehe er aufstand und mein komisches Bauchgefühl, dass er mir etwas verheimlichte, vom Tisch. „Du musst was essen."

Etwas unsicher griff ich nach seiner Hand, die er mir hinhielt, doch er zog mich unbeirrt auf die Füße, während er seinen Blick über meinen Körper fliegen ließ.

„Scheiße ... du sieht echt heiß aus in meinem Shir", murmelte er.

Ich lächelte, doch die bevorstehende Begegnung mit dem Rudel machte mich nervös. Ethan schien das zu spüren.

„Mach dir keine Gedanken. Sie werden alle nett sein. Und ich bin ja auch noch da."

Ich nickte.

„Zieh dich um. Ich warte draußen." Und damit verschwand Ethan die Treppe hinab.

Das Flüstern des Alphas | ✔︎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt