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Ich ließ meinen Blick sinken und starrte auf die alte Holzplatte des Tisches. Die Primus töteten Halbblüter?

„Aber..." Ich hob irritiert den Kopf. „Warum? Ich meine, was für einen Schaden richten Halbblüter denn an, dass sie dafür den Tod verdienen?", fragte ich unsicher, war mir aber zeitgleich gar nicht sicher, ob ich das wirklich erfahren wollte. Immerhin wurde hier gerade in gewisser Weise meine Zukunft ausgemalt.

„Hast du noch nie eine Geschichte über tollwütige Wölfe gehört?", murmelte Ethan leise. „Halbblüter töten Menschen und riskieren mit ihrem Verhalten die Offenbarung unserer Welt. Die Primus beschützen die Menschen vor ihnen ... und schützen damit uns alle vor der Entdeckung durch die Menschen."

Ich erinnerte mich an Ethans Worte. Das Geheimnis zu wahren hat oberste Priorität und es wird mit harter Hand durchgesetzt. Es gibt eine Gemeinschaft, die sich nur darum kümmert. Ich nickte langsam. Das leuchtetet ein. 

Was allerdings nicht einleuchtet war, dass ich mich ziemlich normal fühlte. Weder am Rande eines Nervenzusammenbruchs, noch kurz davor, einem gewissen Wahnsinn zu verfallen oder gar einen Menschen zu töten. Die Vorstellung, dass ich in naher Zukunft zu all dem werden sollte, klang absurd und lächerlich zugleich.

Dann, ganz plötzlich, fiel ein weiterer Groschen. Ethan war förmlich durchgedreht, als er von meinem durchwühlten Zimmer erfahren hatte und sofort wollte er, dass ich meine Sachen packe. „Du denkst, einer der Primus hat mein Zimmer durchwühlt? Hast du mich deshalb hier her gebracht?"

„Jemand hat dein Zimmer durchwühlt?", quiekte Caitlyn und war ganz plötzlich wieder hell auf.

Ich nickte. „Könnte das einer von den Primus gewesen sein?"

„Möglich", antwortete sie, legte ihre Stirn in Falten und tippte mit ihrem knöchernen Finger gegen ihre Lippen. „Sie haben überall ihre Treuen. Es ist die Aufgabe der Primus-Anwärter, Halbblüter aufzuspüren ... und ... und unschädlich zu machen. Und das am Besten noch bevor sie wahnsinnig werden. Je mehr Funde sie ausweisen, desto schneller werden sie bei den Primus aufgenommen."

„Aber woran erkennen sie den Unterschied, ob jemand Halb- oder Reinblut ist?"

„Während des Fiebers sind Halbblüter deutlich zurechnungsfähiger als Reinblüter. Mit dem Fieber wandelt sich auch der Geruch. Reinblüter haben einen sehr starken Welpengeruch. Halbblüter eben nicht", erklärte Ethan. „Als ich spürte, dass du das Fieber hattest, und ich deinen leichten Welpengeruch wahrgenommen hatte, war es mir eigentlich gleich klar, dass du Halbblut bist. Um sicher zu gehen, bin ich trotzdem nach Tampa aufgebrochen, damit ich Gewissheit habe, bevor ... bevor es vielleicht jemand anderes spitz bekommt. Dass dann deine Sachen durchsucht wurden, na ja, es würde schon Nahe liegen, dass ein Anwärter vielleicht einen Verdacht hatte und dir einen Besuch abgestattet hat."

Ein Schauer lief mir über den Rücken. Die Vorstellung machte mir Angst. „Ein anderer Student?"

„Möglich." Ethan zuckte mit den Schultern. „Wenn Wolfswandler erst den Welpengeruch abgelegt haben, riechen sie nur noch nach Wolf, wenn sie auch in der Wolfsform sind. Als Mensch riechen sie nur menschlich. Das macht es schwer, andere Wolfswandler zu entdecken, wenn man es nicht weiß."

Caitlyn nickte. „Halbblüter hingegen haben nur einen leichten Welpengeruch, doch noch bevor sie ihn ablegen könnten, verfallen sie schon dem Wahnsinn und sie werden tollwütig ... spätestens dann werden sie gefunden." Caitlyns Stimme brach zum Ende hin ab. Sie senkte den Blick und wirkte plötzlich ganz traurig.

Ethan lehnte sich über den Tisch und griff nach Caitlyns faltiger Hand. „Ist okay" , murmelte er und tätschelte sie liebevoll.

Ich verstand nicht, worum es hier ging.

Sie atmete sanft aus, ehe sie nickte und ihre Hand zurück zog. „Es geht schon." Caitlyn räusperte sich. „Weiß Chris von Ivy?"

„Ja."

„Was ist seine Meinung dazu?"

„Kannst du dir das nicht denken?", raunte Ethan. „Er hat es eh schon vermutet. Er hat sie ja gerochen. Und als ich ihnen heute Morgen sagte, dass Ivy wirklich Halbblut ist, wollte er sie am liebsten gleich an die Primus ausliefern."

Darum ging es heute Morgen in der Mensa? Chris wollte mich ausliefern?

Caitlyn schnaubte. „Er hat sicher nur Angst, dass seine Eltern rausbekommen, dass ihr ein Halbblut versteckt. Das wäre für ihn verheerend. Er würde die Familienehre beschmutzen."

„Und wenn schon." Er straffte sein breites Kreuz. Ethan wirkte enttäuscht. Und es tat mir schlagartig leid. Er sollte sich nicht schlecht fühlen, schon gar nicht wegen mir.

„Nun ... ihr könnte natürlich hier bleiben." Caitlyn stand langsam auf und kam zu mir rüber. Sie strich mir übers Haar. „Mach dir keine Sorgen, Kleines. Das ... das kriegen wir schon irgendwie hin."

Ich lächelte kurz, aus reiner Höflichkeit. Wie stellte Caitlyn sich das vor? Sich keine Sorgen machen? Schwierig, schaute man sich die geltenden Regeln für Ethans Welt an.

Erstens, die Wolfswandler schützten die Menschen. Zweitens, warst du ein Halbblut, würdest du dem Wahnsinn verfallen. Und Drittens – verfielst du dem Wahnsinn, würden die Wolfswandler dich töten. So weit konnte ich folgen. Doch dass ich eines dieser Halbblute war, verkomplizierte die Lage für mich also ab sofort gewissermaßen.

Das Flüstern des Alphas | ✔︎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt