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Mit bereits vor Müdigkeit und Anstrengung brennenden Augen gab ich es auf und ließ enttäuscht meinen Blick von kleinen, runden Fenster des Dachgiebels gleiten. Von Ethan war keine Spur. Ich wartete den ganzen Tag und die halbe Nacht auf ihn, doch er kam einfach nicht wieder.

Mittlerweile war es tiefste Nacht. Regen prasselte unaufhörlich aufs Dach. Ich wusste gar nicht genau, wie spät es überhaupt war. Mein Handy hatte ich in der Eile des Aufbruchs im Studentenwohnheim liegen lassen.

Ich dachte an Hope. Meine Hope. Ich vermisste sie. Sie machte sich sicherlich schon große Sorgen. Oder hatte das Rudel ihr vielleicht sogar Flausen ins Ohr gesetzt? Dass ich mit Ethan durchgebrannt sei? Damit Hope nicht nach mir suchen würde? Würde sie sowas überhaupt glauben?

Völlig erschlagen zog ich mich aus, faltete meine Anziehsachen und krabbelte auf die Matratze und unter die Decke. Von unten hörte ich immer mal wieder Caitlyns leises Schnaufen, sie schlief schon eine ganze Weile. Ich jedoch hatte die letzten Stunden am Dachfenster verbracht und hoffte jede Sekunde darauf, dass Ethan endlich zurück käme. Doch diesen Gefallen tat er mir nicht.

Ich machte mir große Sorgen. Er sollte sich nicht in Gefahr bringen. Nicht wegen mir. Tatsächlich spürte ich weniger Angst um mich selber, um die es hier eigentlich ging, als vielmehr um Ethan. Die Vorstellung, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte, nur weil er mich beschützen wollte, ließ meinen Kopf keine Ruhe finden, doch mein Körper wurde bald von einer Müdigkeit übermannt, der auch mein Kopf nicht weiter entsagen konnte. So schlief ich ein.

*

Als ich spürte, wie sich die Matratze unter dem Gewicht eines großen Körpers, der sich neben mir ablegte, senkte, schrak ich auf, nur um Sekunden später erleichtert aufzuatmen.

„Shhht. Schlaf weiter", wisperte Ethan, doch an Schlafen war gar nicht mehr zu denken. Ich fuhr zu ihm herum und warf mich kurzerhand erleichtert an seinen starken Oberkörper. Ich umklammerte ihn so fest ich konnte, mein Gesicht schmiegte sich an seine nackte Brust.

„Da bist du ja endlich", wisperte ich überschwänglich. Mein Herz machte einen Hüpfer nach dem anderen.

„Auch schön, dich zu sehen, Kleines", murmelte Ethan an meinem Scheitel.

Mein Herz raste. Ich war tatsächlich noch nie so glücklich gewesen, ihn wieder zu sehen. Zugegeben, das Wiedersehen nach den sechs Jahren war schon gut, aber das hier war besser.

„Ich habe mir solche Sorgen gemacht." Vor Aufregung und Erleichterung schlug mein Herz fest gegen meine Brust.

„Du brauchst dir doch um mich keine Sorgen machen", raunte Ethan lächelnd. „Hast du denn meinen Wolfs nicht gesehen? Wer sollte sich mit mir schon anlegen?"

Ich hob den Kopf und haute ihm entrüstet auf den gespannten Oberarm. „Ich meins ernst. Ich hab mir furchtbare Sorgen gemacht! Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für Späße, Ethan!"

„Nein?", fragte er und blickte durch seine langen, dunkeln Wimpern zu mir hinab, auf eine Art, dass die Schmetterlinge in meinem Bauch am liebsten Tango tanzen wollten und mein Unterleib sich zusammen zog. „Wofür ist dann Zeit?"

Die verliebte Ivy hätte sofort eine gute Antwort auf seine Frage parat. Doch die rationale Ivy auch. Ich räusperte mich. „Mir zu erzählen, was das für eine Duftspur war, natürlich."

Ethan atmete scharf aus. Sein Atem wehte über mein Gesicht und bescherte mir eine Gänsehaut. „Es war ein mir unbekannter, fremder Duft. Er war nur ganz dünn und doch zu nah. Ich bin der Spur gefolgt, viele Meilen weit. Aber der Wolfswandler schien nur zufällig vorbei gestriffen zu sein. Zur Sicherheit bin ich noch einen großen Radius ums Haus abgelaufen, aber die Duftspur war da schon längst verflogen."

„Das ist ... das ist gut, nehme ich an?", fragte ich unsicher.

Erst jetzt sah ich, dass seine Haare komplett nass waren. Dann fiel mir ein, dass es den ganzen Tag geregnet hatte, was mein schlechtes Gewissen nur noch mehr anpeitschte.

Ethan nickte und lächelte sanft. „Ja ... das ist gut, Kleines", antwortete er und die Sicherheit in seiner Stimme beruhigte mich schlagartig.

„Okay." Ich nickte und ließ meinen Kopf wieder sinken.

Ohne darüber nachzudenken vergrub ich mich an Ethans Hals. Ich spürte seine weiche, warme Haut, hörte seinen rhythmischen Pulsschlag, roch seinen sinnesraubenden Duft. 

Unbedacht grub ich mich noch weiter ein, doch sofort bereute ich es. Ich dachte an heute Morgen. Eine erneute Abfuhr würde ich nicht ertragen. Die Erleichterung über seine Wiederkehrt hatte mich impulsiv werden lassen. Aber das hatte ja heute morgen schon so schlecht funktioniert.

„Sorry", wisperte ich betreten, ließ von ihm ab und rollte mich wieder zur Seite. Die Matratze fühlte sich kalt an. Und meine Hautstellen, die eben noch Ethan berührten, ebenfalls.

Ich hörte ihn seufzen.

Unsicher knabberte ich an meiner Unterlippe herum. Die Luft war plötzlich zum Schneiden. Keiner sagte auch nur ein Wort.

Vielleicht wurde unsere Distanz zueinander deshalb immer größer, weil ich seine Nähe so sehr wollte. Er konnte sie mir einfach nicht mehr geben.

Caitlyns Worte von heute Morgen kamen mir in den Sinn. Ich denke, ihr solltet einfach mal miteinander sprechen, Kindchen. Sie hatte Recht ... wie sollte das hier sonst weiter gehen?

Ich schluckte, nahm all meinen Mut zusammen. Die Schmetterlinge in meinem Bauch flatterten nervös, aus Sorge, endgültig vom Tisch gefeget zu werden. Doch ich hielt es einfach nicht mehr länger aus. 

„Willst du ... willst du mich nicht mehr, da du jetzt weißt, dass ich ein Halbblut bin?"

Das Flüstern des Alphas | ✔︎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt