Ich starrte auf Ethans kleinen Funkwecker, dessen digitalen Zahlen die letzten Minuten meines alten Lebensjahres anzeigten. Noch zwei Minuten und ich würde zwanzig Jahre alt werden.
Ethan lag eng hinter mir. Als wären unsere Körper füreinander geschaffen, kuschelten wir aneinander gepresst und ineinander verschlungen. Er war der perfekte große Löffel. Haltgebend und doch anschmiegsam.
Leise atmete er mit der Sekundenanzeige seines Weckers in einem fast rhythmischen Takt. Noch eine Minute.
Schlaf hatte ich noch keinen gefunden, denn in meiner Magengrube hatte sich ein ziemlich zermürbendes Gefühl eingenistet ... das Gefühl von furchtbar schlechtem Gewissen.
Seit dem Gespräch mit Chris fühlte es sich an, als wäre ich einen Pakt mit dem Teufel eingegangen. Natürlich wollte ich Ethan nicht in den Rücken fallen, oder ihn gar hintergehen. Und doch reizte mich die Vorstellung, wieder ein Leben ohne ständige Wolfbodyguards und ständigem Rechenschaft-Ablegen zu führen, unheimlich. Alleine der Gedanke daran, ließ mich ganz kribbelig werden.
Ich wusste, dass Chris mit allem was er mir gesagt hatte, richtig lag. So konnte es nicht weiter gehen. Keine Ahnung welche Zukunft Ethan sich für uns ausmalte, aber was wäre das für ein Leben?
Gerade der heutige Abend hatte es wieder unter Beweis gestellt. Wir waren gerade zwei Stunden auf dieser Party gewesen, da wurde Ethan von Sekunde zu Sekunde angespannter. Zu gefährlich hatte er gesagt und gefordert, dass wir wieder gehen. Zu viel Alkohol traf es wohl eher. Denn in Wahrheit hatte es Ethan nämlich einfach nicht gefallen, dass ich so viel getrunken hatte, aus Sorge, ich könnte die menschliche Kontrolle verlieren und meiner inneren Wölfin zu viel Platz lassen. Mittlerweile hatte ich das Gefühl, Ethan hatte mehr Angst vor meinem wölfischen Ich als vor den Primus-Anwärtern selbst.
Seufzend fokussierte ich wieder den Wecker. Noch fünf Sekunden.
Vier.
Drei.
Zwei.
Eins.
Und wieder ein Jahr älter ... Wohoo.
Seufzend kuschelte ich mich noch enger an meinen Adonis heran, der leise schnaubend seine starken Arme noch fester um mich schlang, sein Gesicht weiter in meinen Nacken eingrub und nach wenigen Sekunden wieder tief und fest schlief.
Für sich betrachtet war das hier nur einer von so vielen, viel zu perfekten Momenten zwischen uns. In Wahrheit aber war es vielleicht doch nur Ablenkung vom wirklichen Problem. Wir konnten so nicht weitermachen. Ich musste Ethan reinen Wein einschenken. Ich musste ihm von meinen Plänen erzählen.
*
„Guten Morgen." Ziemlich erledigt betrat ich die Küche.
„Bist spät heute." Chris saß bereits wie üblich am Tisch und frühstückte. Er musterte kurz Ethans schwarzes Shirt, welches ich überworfen hatte. Für gewöhnlich war ich sonst schon angezogen. „Kurze Nacht gehabt?", hakte er nach.
Ich nickte, nahm mir eine Tasse und füllte mir Kaffee auf. „Aber nicht aus den Gründen, aus den du jetzt vielleicht denkst."
„Was denke ich denn?" Chris zog eine Braue in die Höhe.
„Das weißt du ganz genau." Ich verdrehte die Augen und schlurfte mit der Tasse bewaffnet zum Tisch.
Der Alpha verzog sein Gesicht zu einem seichten Schmunzeln. „Ich kann ja nur sagen, was ich die ganze Nacht getan hätte, wenn ich an Ethans Stelle wäre."
„Sehr witzig", antwortete ich ironisch und verdrehte die Augen. „Ich habe einfach viel nachgedacht, okay?"
Chris räusperte sich und fand sofort seine üblich ernste Rolle wieder. „Okay ... über?"
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Das Flüstern des Alphas | ✔︎
Fantasía( WATTYS 2023 Shortlist ) Wolfsfieber oder Prägung sind für Ivy Adams Fremdwörter, mit denen sie rein gar nichts verbinden kann. Sie und ihre beste Freundin Hope sind vielmehr damit beschäftigt, endlich ins Campusleben einzutauchen und so genießen s...