꧁ 24 ꧂

9.1K 681 31
                                    

„Mein Gott, Ethan", murmelte ich entrüstet. „Das ist einfach ... ich ... wow." 

Ich drehte mich von ihm weg und ging ein paar Schritte, atmete tief durch, ehe ich mich wieder umdrehte. „Weißt du was, Ethan? Ich dachte wirklich, ich würde dich gut kennen. Ich meine, ich habe keine Ahnung, was in den letzten sechs Jahre bei dir schief läuft, ob du einer Sekte angehörst oder sowas, aber du solltest dir wirklich dringend Hilfe suchen!"

Ethan schaute ganz ruhig zu mir hinab und verzog nicht eine Miene. Er meinte es also wirklich ernst?

Ich musterte ein letztes Mal seine hübsche Fassade, fragte mich, wie er all diesen Unsinn die erste Woche so gut vor mir verstecken konnte, drehte mich erneut von ihm weg und ging. „Und wage es nicht, mich wieder einfach über die Schulter zu legen! Du würdest es bereuen, klar?", rief ich abschließend über meine Schulter.

Ich musste hier weg. Und vor allem weg von Ethan. Das hier war mir wirklich eine Spur zu abgedreht.

„Du kannst jetzt viel besser hören als noch vor dem Fieber, hab ich Recht, Ivy?", rief Ethan hinter mir her.

Sofort hielt ich in der Bewegung inne und blieb wie angewurzelt stehen.

„Deine Ausdauer dürfte sich ebenfalls verbessert haben. Und dein Geruchssinn auch. Das ist eh das Beste", fuhr er fort. „Wusstest du, dass du nach einer Mischung aus feuchten Kirschblüten im Mogentau und schmelzendem Erdbeereis duftest? Echt süchtig machend. Ich könnte jedes Mal durchdrehen, wenn ich dich rieche."

Langsam drehte ich mich wieder zu Ethan herum. Ich verengte meine Augen zu Schlitzen. Was er da sagte brachte mich vollends aus dem Konzept. Woher konnte Ethan von meinen tatsächlich etwas verbesserten Sinnen wissen?

„Dein Sehsinn wird sich auch verbessern, er braucht aber am längsten. Dann kann man im Dunkeln sehen, ist ganz nützlich", erklärt er ungeachtet. „Wie erklärst du dir das, hm, Ivy? Meinst du, dass kann jeder einfach so irgendwann im Leben? Nein ... es sind deine Wolfsgene, die nun durchkommen."

Wolfsgene? Wovon redete er da, verdammt? Langsam reichte es mir. Aufgebracht stapfte ich zu Ethan zurück und blieb erst ganz kurz vor ihm stehen. „Was für ein Schwachsinn du von dir gibst!", zischte ich.

Ethan zog eine Braue in die Höhe und verschränkte seine Arme vor seiner Brust. „Ach ja?"

„Dann ... dann beweise es doch!", forderte ich, wissend, dass er es eh nicht könne.

Ethan sah irritiert zu mir herunter. „Bitte?"

„Wenn das stimmt, dann mach es doch ... mach diese Wandelsache", forderte ich weiter und fuchtelte mit den Händen vor seinem Körper herum.

„Hier? Bist du bescheuert? Was, wenn uns jemand sieht?"

„Na ... das war ja klar" Ich verdrehte die Augen. „Dann beweis es halt anders."

Ethan schnaubte, schüttelte seinen dunkelbraunen Schopf, ehe er plötzlich selbstgefällig schmunzelte und mich von oben herab rechthaberisch anschaute. „Ich wusste, dass Hope kommen würde, noch bevor sie durch die Tür kam. Ich hab sie schon von Weitem gehört. Sie tritt mit dem rechten Fuß fester auf, als mit dem Linken. Außerdem trägt sie so viel Parfüme, ihre Duftwolke habe ich oben gerochen, da ist sie unten erst ins Gebäude getreten." 

Ich hielt inne. Ich erinnerte mich ganz genau an diesen Moment, den ich damals schon unerklärlich fand.

„Bei deinem Alleingang im Wald wurde dein Duft in meine Nase geweht ... dich dann zu finden war spielend leicht. Zum Glück. Du hättest nie alleine zurück gefunden. Außerdem habe ich deine Freundinnen nach dir rufen hören, da hast du nichts als Vogelgezwitscher gehört. Und nachdem du aus dem Pub geflohen bist, musste ich auch nur deinem Duft folgen", fuhr Ethan ungeachtet fort. „Das ist mittlerweile ein Klacks für mich. Ich könnte dich auf tausend Meilen finden. Vielleicht sogar weiter."

Perplex blieb mein Blick an seinen vollen Lippen kleben. Deswegen hatte er mich immer so schnell gefunden? Seine Worte ergaben irgendwie Sinn, doch kämpfte mein Verstand mit Leibeskräften dagegen an. Das konnte doch einfach nicht sein.

„Außerdem ist mir prinzipiell recht warm, wie du vielleicht gemerkt hast. Wolfsblut! Du solltest seitdem auch deutlich weniger frieren, nicht wahr?"

Fassungslos starrte ich in Ethans blaue Augen. Ich nickte zaghaft. Er hatte Recht. Gefroren hatte ich schon eine Weile nicht mehr und mir war schon immer aufgefallen, dass seine Haut prinzipiell immer sehr warm ist.

„Und ich habe gespürt, dass du das Fieber hattest. Das hat mich völlig von den Socken gehauen. Ich hätte nie im Leben gedacht, naja, dass du das Gen hast. Ich war echt platt, Kitz, das kannst du mir glauben."

Ich erinnerte mich an Ethans vollkommen schockierten Gesichtsausdrucks während des Fiebers, der sich so fest in mich eingebrannt hatte.

Wie in Trance schaute ich in seine Augen, doch eigentlich war ich ganz wo anders. Wie um alles in der Welt konnte er mit all dem Recht haben? Das machte einfach keinen Sinn. In einen Wolf verwandeln? Es konnte nicht sein. Es entbehrte jeglicher auf diesem Planeten geltender Regel...

„Ich weiß, das ist alles sehr viel, vielleicht sollten wir jetzt besser..."

„Du ... du kannst dich wirklich ... in einen Wolf verwandeln?", unterbrach ich ihn und musterte prüfend seine Mimik.

Ethan hielt inne, blickte mir tief in die Augen, ehe er beinahe entschuldigend mit den Schultern zuckte und gleichzeitig nickte. Ich spürte sofort, dass er nicht log. Doch deswegen musste es ja nicht automatisch die Wahrheit sein.

„Aber das kann doch nicht ...", flüsterte ich und schlug überfordert meine Hände an die Stirn. „Wie um alles in der Welt kann denn das sein?"

Ethan lächelte. „Es ist in unseren Genen. Man wird damit geboren, es wird vererbt. Wenn der Körper und der Geist dazu bereit sind, das Wolfsgen zu kontrollieren, bricht das Fieber aus... manchmal auch in einer Notsituation, so wie bei mir ... und dann wird man über kurz oder lang zu einem Wandler."

„Einem Wandler?", wiederhole ich unsicher.

Ethan nickte sanft. „Einem Wolfswandler."

Das Flüstern des Alphas | ✔︎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt