„Was meinst du damit?", fragte er und sie sah ihn traurig an.
„Du passt nicht in meine Blase. Was besser ist. Denn ich hatte eine Freundin in meinem Leben und die hab ich nicht retten können. Ich hab's so sehr versucht. Aber es hat nicht geklappt. Also solltest du die Beine in die Hand nehmen und verschwinden."
„Das werde ich nicht tun", stellte er fest und bemerkte, wie ihre Augen groß wurden.
„Aber es ist kein Platz für dich. Verstehst du? Ich schaffe es doch nicht mal, mich um mich zu kümmern. Um jemand anderen kann ich mich nicht sorgen."
„Du hast Glück: Um mich muss man sich nicht kümmern, Leonie. Und ich lass mich nicht wegstoßen, kapiert? Deinen Bekannten - oder wem auch immer - bist du womöglich nicht wichtig genug. Die begreifen vielleicht nicht, dass du lieber allein bist, statt nochmal verletzt zu werden und jemanden zu verlieren, der es durch den Panzer um dein Herz geschafft hat. Aber ich kapiere es, ok?", fuhr er sie an und biss sich auf die Lippe, um sich zum Schweigen zu bringen.
Doch das Erstaunen in ihrem Blick tat sein Übriges, sodass er flüstere: „Die wissen vielleicht nicht, dass es hinter diesem Scheiß-Panzer oft scheiß-einsam ist und es verdammt nochmal scheiße-schwer ist, da jemanden durchzulassen."
„Das war jetzt aber viel Scheiße", erwiderte Leonie und er sah sie verdutzt an.
Dann brach er in Gelächter aus. Er lachte so herzhaft, dass ihm die Tränen übers Gesicht liefen und sich die Anspannung in ihm verflüchtigte. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal so gelacht hatte, dass er sich die Seiten halten und nach Luft japsen musste. Doch jetzt ging es ihm so und als er Leonie anschaute, bemerkte er, dass sich ihre Mundwinkel hochgezogen hatten. Nur ein bisschen, aber es konnte als Lächeln durchgehen.
„Du bist witzig."
„Ja, das hat Jessi auch immer gesagt... Hat sie trotzdem nicht gerettet. 'Tschuldigung."
„Entschuldige dich nicht, ok? Sie war deine Freundin und du hast sie verloren, obwohl du offenbar hart dafür gekämpft hast, es nicht zu tun. Es ist in Ordnung, wenn du von ihr sprichst."
„So siehst du das?"
Er nickte bestätigend, weil ihre wunderschönen Mokka-Karamell-Augen ihn skeptisch ansahen, und erwiderte: „Ja, so sehe ich das. Und jetzt sollten wir deine Wunde verbinden, sie ist nicht sonderlich tief und mittlerweile gerinnt das Blut bereits. Der Heilungsprozess hat also schon angefangen."
Er hörte, wie sie murmelte, sie wisse jetzt nicht, ob das auf alles in ihrem Leben zutreffen würde, und hielt den Mund dazu. Lieber konzentrierte er sich darauf, ihr einen Verband anzulegen. Leonie schwieg unterdessen und er fragte sich, warum es ihm so leicht gefallen war, ihr das zu sagen, was ihn im Geheimen umtrieb. Normalerweise trug er sein Herz nicht auf der Zunge.
„Wenn ich in meiner Blase für dich Platz machen soll, musst du mir eine Frage beantworten."
„Hm? Was? Platz in deiner ... Ach so. Welche?"
„Wie bist du gerade in die Wohnung gekommen?"
Er nickte und hob den Kopf. Warum faszinierten ihn ihre Augen so? Er war im Grunde nicht der Augen-Mensch. Eigentlich sprachen ihn zuerst andere Dinge an. Aber bei ihr war es dieses Karamell mit Mokkaeinschuss, von dem er hoffte, dass es irgendwann wieder genauso strahlte, wie auf dem Bild mit dem zerbrochenen Rahmenglas. Sie bedachte ihn mit einem fragenden Blick und er schluckte, ehe er betont locker mit den Schultern zuckte.
„Ich hatte vergessen, den Wohnungsschlüssel zurück ans Brett zu hängen."
„In der Blase ist es nicht so toll, weißt du? Sie ist dunkel und die Luft ist ganz dick da drin. Sodass man kaum Luft holen kann. Ich versuch, mich daraus zu befreien, aber das geht irgendwie nicht. Ich glaube, Jessi hat sie undurchdringbar gemacht oder ich bin nicht stark genug. Sicher, dass du das willst?"
‚Ich glaube eher, es sind deine Selbstvorwürfe, die diese Blase undurchdringbar machen', dachte er und meinte: „Vielleicht sind wir ja zusammen stark genug, dass irgendwann wieder Licht in die Blase fällt oder die Luft nicht mehr so dick ist?"
„Das ist irre. Ich kenn dich nicht mal. Ich weiß, dass du Til heißt und Sportwissenschaften studierst und offenbar auf gestörte Personen stehst..."
„Ich sehe hier keine gestörte Person, nur eine, die trauert. Das mal als erstes. Und dann... Was willst du denn wissen?"
„Keine Ahnung. Was du sagen kannst, ohne umzukippen."
Er wusste, was sie damit meinte: Ohne das Gefühl zu haben, zu viel von dem Herzen preiszugeben, das er sonst so verborgen hielt. Offenbar verstand sie das nur zu gut. Aber sie hatte ja angedeutet, dass sie ihr Seelenleben ebenso lieber für sich behielt. Dass sie ihn zu nichts drängen würde, hatte ja schon ihre Frage gezeigt, wie er in die Wohnung gekommen war. Sie hätte sich nach allem erkundigen können und hatte nur danach gefragt.
„Ich bin noch nicht lange in der Stadt. Ich fühl mich auch nicht sonderlich wohl hier, was vielleicht an der Wohnsituation liegt. Ich teile mir die Wohnung mit drei Typen, mit denen ich nicht wirklich viel anfangen kann. Sie studieren, glaub ich, um ihr Leben zu chillen, und ich... na ja, ich bin eben anders. Ich will das durchziehen, aber bei uns ist irgendwie immer Party und wenn du nicht aufpasst, fällst du am nächsten Morgen über die leicht oder unbekleideten Partybekanntschaften. Ich gönne ihnen ihren Spaß, doch im Grunde nervt es nur. Darum war ich gestern auch noch unterwegs, weil schon wieder Bierfässer angeschleppt wurden und ich darauf keinen Bock habe. Ich bin kein Spießer, aber na ja, ich bin wahrscheinlich das asoziale Arschloch, das sie mich nennen."
Wieder erschrak er vor sich selbst, weil er doch mehr erzählt hatte, als geplant und suchte in ihrem Blick nach der Antwort darauf, wie sie das fand. Auch neu für ihn. Bisher war es ihm scheißegal gewesen, wie er auf andere wirkte. Er machte sein Ding. So hielt er das. Aber bei ihr war es ihm plötzlich wichtig, was sie dachte.
„Ich glaube nicht, dass du ein asoziales Arschloch bist", wisperte sie, anschließend seufzte sie und starrte ihm fast bis auf den Grund seiner Seele, ehe sie murmelte: „Dann herzlich willkommen, in meinem abgefuckten, verdrehten Leben."
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Nachbeben
RomanceLeonie kommt im Moment überhaupt nicht klar. Seit dem Suizid ihrer besten Freundin hat sie sich völlig in der Trauer verfangen, die ihr Leben nun bestimmt. Doch gerade, als sie denkt, sie kann nicht so weiterleben, begegnet sie dem Schicksal... Folg...