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Ihre Karamell-Augen mit Mokkaeinschuss sahen ihn erschrocken an und sie flüsterte: „Ich will nicht, dass du in ein Hostel gehst. Ich bekomm das hin. Es ist nur ... dieser Teddy. Ich habe ihn Jessi irgendwann geschenkt und sie dann dazu gedrängt, ihn einzulagern, verstehst du? Ich hab sie aufgezogen, wie kindisch sie ist, weil sie den Teddybären weiter in der Wohnung haben wollte, obwohl ich gewusst habe, wie viel er ihr bedeutet. Darum hab ich die Fassung verloren. Das hat nichts mit dir zu tun."

„Verstehe. Ich hab trotzdem kein gutes Gefühl dabei. Es ist offensichtlich, dass es dich belastet, Jessis Zimmer betreten zu müssen, also..."

„Ich hab gesagt, ich schaff das, Til. Außerdem wird sie es ja nicht mehr brauchen, oder? Du brauchst es aber. Lass uns die Diskussion jetzt beenden und an die Arbeit gehen."

Mit diesen Worten nahm sich Leonie ein paar leere Kartons und drängte sich an ihm vorbei. Er seufzte und sah ihr nach, ehe sein Blick auf die Dinge fiel, die hier eingelagert waren. Wie magisch angezogen blieben seine Augen an dem Teddy hängen, von dem Leonie wohl gesprochen hatte. Er hatte ein schlechtes Gewissen. Andererseits hatte er im Grunde nicht mal die finanziellen Möglichkeiten in ein Hostel zu gehen und er genoss das Zusammensein mit Leonie mehr als jemals die Gegenwart eines anderen. Sie forderte nicht. Nicht wirklich.

Klar waren manche Situationen fordernd, wenn sie einen extrem miesen Tag hatte, aber da war er nur zu bereit, ihr durchzuhelfen. Diese Augenblicke waren ohnehin rarer geworden, denn Leonie hatte sich Schritt für Schritt aus diesem Loch gezogen. Er hatte praktisch nur danebengestanden und ihr dabei zugesehen, während er ab und an ihre Tränen getrocknet hatte. Den Rest hatte sie allein geschafft. Vermutlich hatte sie nur das Gefühl gebraucht, nicht einsam zu sein. Er wusste es nicht. Was er aber ahnte, war, dass die Sache mit dem Zimmer wahrscheinlich zu schnell ging. Ihre ganze Körpersprache hatte ihm das verraten.

Er seufzte nochmal und verließ das Kellerabteil, ehe er es abschloss, da Leonie dem Schlüssel und dem Schloss keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Er stieg die Stufen zur Wohnung wieder hinauf und suchte fieberhaft nach einer Lösung. Er wollte nicht, dass sie sich quälte. Dazu hatte er zu viele Gefühle entwickelt. Die waren ihm nicht so willkommen, denn er wusste ebenfalls nicht, wie Leonie das sah. Seit diesem Kuss hatte sie nie wieder Anstalten gemacht, sich ihm auf nicht freundschaftliche Art zu nähern. Auch, wenn er sich das gewünscht hätte.

Er verfluchte sich dafür, dass er sie abgewiesen hatte. Offenbar hatte er ihr suggeriert, da wären keine Gefühle von seiner Seite. Das hatte bereits damals nicht gestimmt, doch er war der Meinung gewesen, dass sie nicht noch eine Beziehungskiste brauchen konnte. Schon gar nicht zu jemandem wie ihm, der eigentlich auch in einer Partnerschaft nicht die absolute Nähe brauchte. Zumindest hatte er das gedacht. Jetzt war er sich dessen nicht mehr so sicher.

Denn bei Leonie machte es ihm nichts aus, wenn sie sich bei einem Film an ihn kuschelte und gedankenverloren an ihrer Unterlippe zog oder sich verwirrt Strähnen ihres Haares um den Finger wickelte. Überhaupt, wenn ihre Karamell-Mokka-Augen seinen Blick suchten, spürte er sehr deutlich, wie sein Herz stolperte und sich anschließend sein Puls erhöhte. Vor allem, wenn die dann auch noch amüsiert funkelten. In dieser traurigen jungen Frau steckte nämlich ein unbezwingbarer Humor, der immer öfter hervorblitzte. Und er hatte begonnen, danach zu lechzen. Nach Leonie.

‚Weshalb es wahrscheinlich gar keine gute Idee ist, wirklich zu ihr zu ziehen', sagte er sich heute nicht zum ersten Mal und betrat die Wohnung.

Wider Erwarten stand Leonie nicht am Türrahmen zu Jessis Zimmer, sondern befand sich tatsächlich darin. Er sah, wie es in ihr arbeitete und er war erneut versucht, die Sache abzublasen. Doch der Blick, den sie ihm zuwarf und ihr trotzig vorgeschobenes Kinn sagten ihm, dass er sie nur wütend machen würde, wenn er jetzt zurückruderte. Also trat er nur neben sie und nahm ihr den Pullover ab, den sie in den Händen hielt. Ihre wunderschönen Augen sahen wie immer tief in ihn hinein, ehe sie sich abwandte und nach dem nächsten Kleidungsstück griff.

„Willst du nichts davon behalten? Jessi scheint die gleiche Größe gehabt zu haben. Zumindest wart ihr euch von der Statur sehr ähnlich. Sagen die Fotos."

„Nein, ich werde die Sachen spenden. Ich kann sie nicht anziehen", flüsterte Leonie und er nickte, während er sich fragte, wieso er den Vorschlag überhaupt gemacht hatte.

„Soll ich dir mit den Klamotten helfen, oder etwas anderes tun?"

„Da in der Kommode ist Bettwäsche. Du könntest das Bett umziehen. Wobei ... das müsste erst gewaschen werden. Vielleicht stopfst du es in die Waschmaschine. Du kannst auch deine eigene Bettwäsche aufziehen, natürlich. Ist jetzt dein Zimmer und Blümchen werden nicht so deins sein."

Er nickte und murmelte, dass er sich dann ums Bett kümmerte. Seine Brust war ganz eng. Er sah, wie Leonie zitterte, und sie hatte auch deutlich Mühe gehabt, ihre Stimme so forsch zu halten, wie sie geklungen hatte. Sie quälte sich wegen ihm und das machte ihm die Geschichte wirklich nicht leichter. Aber jetzt hatte er den Stein ins Rollen gebracht und er ahnte, dass Leonie nicht einlenken würde.

Also tat er, worum sie ihn gebeten hatte: Er ging zum Bett und raffte die Decke zusammen, griff nach dem Kissen und als er sich aufrichtete, flog irgendwas davon, kam auf dem Boden auf und rollte vor Leonies Fuß. Er wollte sagen, er räume das sofort auf, als er erkannte, dass es eine Pillendose war. Er ließ das Bettzeug wieder fallen und wollte sie aufheben und verbergen, doch Leonie hatte sich auch schon danach gebückt.

„Scheiße, Jessi. Warum? Ich hab es doch versucht. Wieso konnte ich dir nicht helfen? War ich es nicht wert, dass du weiter versucht hättest, gegen die Dämonen zu kämpfen?", hörte er Leonie sagen und schon brach sie in bittere Tränen aus.

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NachbebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt