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Er sah, wie sie knallrot wurde und sich die Hand vor den Mund schlug. Wie kam sie denn jetzt darauf? Heiraten? Hä? Er dachte über seine Worte nach und plötzlich musste er grinsen, während sie völlig verunsichert einen Punkt im Raum suchte, an den sie ihren Blick heften konnte. Dann merkte er, wie es in seinem Bauch zu gurgeln anfing, alles wurlte durcheinander und ehe er es sich versah, lachte er lauthals los.

Auch Leonies Erstaunen half ihm nicht weiter, sich zu beruhigen. Er konnte nicht mehr. Er hatte echt geklungen, als würde er jeden Moment vor ihr auf die Knie sinken und ihr herrlich trockener Humor hatte seine negative Stimmung im Nichts verpuffen lassen. Er streckte den Arm aus und zog sie zu sich, während er merkte, wie ihm Tränen übers Gesicht liefen und sein ganzer Körper weiter bebte. Kein Mitleid von ihr. Wie gut das tat. Er wollte nicht bemitleidet werden. Nur verstanden.

Zwischendrin waren ihre Augen feucht geworden und dann hatte sie geschluckt und sie waren wieder trocken gewesen. Darum hatte er ihr alles erzählt. Das Wesentliche. Er hatte ihr nicht gesagt, dass er erst vor Kurzem recherchiert hatte, was der Unterschied zwischen der Trauer und der Krankheit war. Weil er sich einfach sicher sein musste, bevor er die Gefühle zuließ, die er für sie entwickelt hatte. Es gab natürlich Schnittpunkte. Klar.

Er spürte, wie Leonie sich in seine Arme schmiegte und streichelte ihr erst durchs Haar, ehe er sich über die Wangen strich, um die Reste seiner Lachtränen abzuwischen. Ihn beschlich die Ahnung, dass er noch oft über ihre trockene Feststellungen lachen würde. Seit sie in sein Leben getreten war, lachte er überhaupt viel öfter. Erst leise und jetzt immer lauter.

„Du bist echt der Knaller. So viel wie mit dir hab ich noch nie gelacht."

„Schön, wenn meine dummen Kommentare dich zum Lachen bringen."

„Sie sind nicht dumm. Nur so trocken, dass ich abbrechen möchte. Ich kann dir versichern, dass du nicht nachfragen musst, wenn ich dich irgendwann bitten sollte, mich zu heiraten."

„Hm."

Er ließ sie los, als er ihren Widerstand bemerkte und schaute sie verdutzt an, als sie sich ihren Tee nahm, der in der Zwischenzeit gezogen hatte. Sie wich seinem Blick jetzt konsequent aus und das hieß, dass sie...

„Bist du beleidigt, weil ich gelacht habe?"

„Nein."

Er warf ihr einen skeptischen Blick zu, nachdem er seine Tasse Kaffee mit an den Tisch genommen hatte. Sie starrte stur auf ihren Teller und er fragte sich, was in ihrem Kopf vorging.

„Ich wollte dich nicht auslachen. Es kam nur so aus der Pistole geschossen und so trocken. Das war witzig."

„Weiß ich."

„Aha. Aber?"

„Nichts aber. Ich will eh nie heiraten. Also kannst du dir das ganze Gedöns eh sparen."

„Ja, ok. Danke für die Info, dann weiß ich Bescheid. Mich würde trotzdem interessieren, was jetzt plötzlich los ist."

„Ich hab Hunger. Können wir endlich essen?"

Er sah ihr an, dass das komplett gelogen war. Sie wirkte nicht hungrig. Gar nicht. Eher beäugte sie die mittlerweile getoastete Brotscheibe, als wäre sie ihr persönlicher Feind. Aber er schwieg dazu. Ihre Körpersprache verriet ihm, dass sie ihm nichts verraten würde, demnach brauchte er auch nicht weiter zu bohren. Also nickte er und vertiefte sich auf seinen Teller.

„Ich wollte dich wirklich nicht auslachen, Leonie."

„Das hast du schon gesagt."

„Aber offenbar glaubst du mir nicht."

„Doch. Schon ok. Wie gesagt, ich möchte nicht heiraten."

„Gut. Ok. Ich denke, davon sind wir sowieso noch ein ganzes Stück weg und vielleicht irgendwann..."

„Ich will nicht heiraten! Können wir das Thema jetzt lassen?"

„Ok, ok. Kein Grund, laut zu werden, Leonie."

„Dann lass es doch jetzt einfach gut sein, verdammt!"

Als ihr Teller durch die Küche flog, starrte er sie verwirrt an und war nicht wenig überrascht, dass seine Freundin aufsprang und aus dem Raum lief. Was zum Teufel passierte hier gerade? Sie hatte lange keinen Wutanfall mehr gehabt, aber sein Lachen hatte einen ausgelöst. Nein. Stopp. Nicht sein Lachen. Das Thema Ehe. Er schüttelte den Kopf und ging ihr verdutzt nach. Sie stand auf dem kleinen Balkon und starrte auf das Viertel unter ihnen.

Ihre Arme hatte sie vor der Brust verschränkt und an ihren hektischen Atemzügen bemerkte er, dass sie sich mühte, ihre Gefühle zu kontrollieren. Also stellte er sich schweigend daneben und versuchte sich einen Reim aus ihrem Verhalten zu machen. Er folgte ihrem Blick und registrierte, dass sie im Prinzip ins Leere starrte. Sofort überlief ihn Gänsehaut. Seit er sich näher mit seiner Vergangenheit befasst hatte, fielen ihm viele Dinge wieder ein, die er zuvor verdrängt hatte.

So Sachen wie die Tatsache, dass seine Mutter ebenfalls oft aus dem Nichts heraus explodiert war. Doch Leonie war nicht depressiv, erinnerte er sich. Sie lachte auch mit den Augen. Das hatte seine Mutter nie getan. Nicht so weit er sich daran erinnern konnte. Aber die Karamell-Augen mit Mokka-Einschuss seiner Freundin blitzten oft amüsiert. Die seiner Ma waren meist matt gewesen und wenn sie gelächelt hatte, war kaum ein Funkeln in ihnen aufgeleuchtet.

„Ich will jetzt nicht reden."

„Musst du auch nicht."

„Dann lass mich allein."

„Leonie, ich..."

„Ich möchte jetzt verdammt nochmal allein sein!"

„Schiebst du mich jetzt weg? Wirfst mich aus der Blase?"

„Das hab ich nicht gesagt!"

„Ok. Ich lass dich gerade besser wirklich in Ruhe. Ich hab keinen Bock auf Streit."

Kopfschüttelnd ließ er sie stehen und wollte nach drinnen verschwinden. Er verstand gar nichts mehr. Der Himmel sollte voller Geigen hängen und sie sollten die Finger nicht voneinander lassen können. Stattdessen schickte sie ihn weg. Er hätte auch gewartet, bis sie so weit war, sich zu öffnen. Wenn er eins gut konnte, dann war es schweigen. Das hatte er praktisch perfektioniert. Er hatte noch nie so offen über seine Gefühle gesprochen wie heute. Denn die behielt er sonst für sich.

Er war schon fast aus dem Wohnzimmer, als er hörte, wie sie zu schluchzen anfing. Er wusste, dass sie allein sein wollte, und kehrte trotzdem um. Verdammt, er sollte eigentlich ihren Wunsch akzeptieren und sie in Ruhe lassen. Aber wie immer konnte er nicht. Weil jeder dieser Töne tief in sein Herz schnitt. In solchen Momenten wünschte er sich echt den Panzer zurück. Er war gerade überfordert, weil er nicht verstand, wie die Stimmung so kippen konnte.

Als sie seine Gegenwart wahrnahm, sah sie ihn gequält an und hauchte: „Ich kann doch nicht ohne Jessi heiraten. Auch nicht irgendwann. Wenn wir uns in der Jugend vorgestellt haben, dass eines Tages der Partner kommt, mit dem man den Schritt gehen möchte, dann waren wir immer zu zweit. Ich kann nicht ohne Jessi heiraten. Das geht doch nicht."

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NachbebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt