Anstatt sofort loszurennen, fand ich mich zunächst in einer Schockstarre wieder. Ich konnte mich nicht bewegen und hörte die grausamen Schreie. Ich starrte in den Spiegel und versuchte irgendwie meinem Körper begreiflich zu machen, dass er reagieren sollte. Erst mit Verzögerung lief ich los. Die Schreie kamen aus den Herrentoiletten. Ich wollte die Tür aufdrücken, doch erst als ich gegen die Tür knallte, merkte ich, dass sie jemand von innen verschlossen hatte.
„ROSIE!", brüllte ich und hämmerte verzweifelt gegen die Tür.
Es kam keine Antwort. Nur Schreie.
„ROSIE!"
Ich war eine zierliche Person und hatte nicht die Kraft, um eine Tür einzutreten, doch das hinderte mich nicht daran es trotzdem zu versuchen. Ich rannte mit der Schulter voraus gegen diese verdammte Tür, doch nichts tat sich. Stattdessen fiel ich zu Boden. Ich musste doch irgendetwas tun. Ich musste irgendwie da rein gekommen.
Diese Schreie! Ich würde sie nie vergessen können. Es waren definitiv Rosies Schreie und sie litt Höllenqualen.
„SUNNY!"
Erleichterung breitete sich in mir aus, als ich diese Stimme hörte. Er konnte mir helfen. Das wusste ich. Er wusste immer einen Ausweg. Er war schlauer und stärker als ich.
„Drew! Wir müssen da rein!"
Auch er hörte die Schreie und auch er war aschfahl, wie ich. Wir mussten da rein! Egal wie. Sie brauchte uns. Ich wusste nicht genau, was darin vor sich ging, aber ich hatte eine Ahnung und die Ahnung, ließ das Blut in meinen Adern gefrieren.
„Geh weg!", wies er mich an.
Ich trat von der Tür weg. Dann rannte er dagegen. Er war groß und hatte Kraft. Er schaffte es erst beim dritten Anlauf. Wir beide stürzten in die Waschräume der Männer. Es roch nach chemischer Zitrone. Rosie lag am Boden. Da war Blut. Sie war nackt. Und dann sah ich Parker.
Drew reagierte sofort. Er stürmte auf Parker zu und riss ihn von Rosie weg. Sie schrie. Drew drückte Parker brutal zu Boden. Dann schlug er auf ihn an. Parker versuchte sich zu wehren, doch Drew war völlig außer sich. Sein Faust traf jedes Mal treffsicher ihr Ziel. Parker hatte keine Chance.
Ich ließ mich zu Rosie auf die Knie fallen. Sie weinte bitterlich. Sie schluchzte und schniefte. Sie war völlig aufgelöst. Ihre Haare hingen in ihr Gesicht, in dem die Schminke verschmiert war. Das Kleid, das sie vorhin getragen hatte, lag in Fetzen um sie herum verteilt. Sie hatte Würgemale am Hals. Einige Äderchen in ihren Augen waren geplatzt, weshalb das Augenweiß rötlich war. Ich brauchte sie nicht fragen, was passiert war. Es war offensichtlich. Ich griff nach ihrer Hand.
„Es ist vorbei", versuchte ich sie irgendwie zu beruhigen. „Es ist vorbei."
Ich zog mein Kleid aus und versuchte Rosies Körper damit ein wenig zu bedecken.
„Er hat mich vergewaltig", war das erste, was sie sagte. Ihre Stimme war zittrig und es kostete sie viel Kraft zu sprechen. Die Tränen kullerten über ihr Gesicht. „Ich wollte das nicht. Er hat mich gezwungen."
Ich streichelte über ihre Wange.
„Es tut mir so leid."
Ich sah alle die Blessuren an ihrem zarten Körper. Sie musste unglaublich Schmerzen gehabt haben. Was hatte dieses Monster nur mit ihr getan? Sie sah aus, als wäre ein wildes Tier über sie hergefallen. Sie krümmte sich vor Schmerzen.
Drew schlug noch immer auf Parker ein. Ich sah wie Blut aus Parkers Mund und der Nase lief.
„Du bringst ihn um!", hörte Rosie plötzlich keuchend rufen.
Und sie hatte recht. Drew kannte kein Maß mehr. Parker wehrte sich nicht einmal mehr. Er lag nur da und kassierte all die Schläge. Ich war mir nicht sicher, ob er überhaupt noch bei Bewusstsein war. Seine Augenlider flackerten.
„Drew, hör auf!", sagte ich nun und begriff nur langsam die Dramatik dieser Situation.
Seine Faust traf immer wieder Parkers Körper.
Ich stand auf und ging zu ihm, denn ich bekam nun wirklich Angst. Parker hatte jeden Schlag verdient, aber ich wollte nicht Zeugin eines Mordes werden. Ich wollte nicht, dass Drew zum Mörder wurde.
„Drew!", schrie selbst Rosie.
Drew schien wie in Ekstase. Ich packte ihn am Oberarm und wollte ihn von Parker wegziehen.
„Er hat dich vergewaltigt!", brüllte Drew in Rosies Richtung. „Er hat das verdient!"
Rosie krabbelte unter Schmerzen und Stöhnen zu Drew. Auch sie wusste, dass Drew kur davor war Parker umzubringen.
„Hör auf!", sagte eindringlich.
„Er hat es verdient!", entgegnete er wieder.
„Drew!", rief Rosie verzweifelt. „Ja, er hat es verdient! Aber ich will nicht, dass mein bester Freund zum Mörder wird und die nächsten Jahrzehnte im Knast verbringt! Das ist es nicht wert!"
Auch sie nahm nun seinen Oberarm.
„Er ist es nicht wert!", sagte sie unter Tränen. „Hör auf!", flehte sie herzzerreißend. „Hör bitte auf! Bring mich einfach ins Krankenhaus!"
Der letzte Satz zeigte Wirkung. Seine Fauste schwebte für einen Moment über Parkers Körper. Dann ließ er sie langsam sinken und sah zu Rosie. Sie weinte. Ich hatte sie noch nie so sehr weinen gesehen. Nicht einmal als ihre Mutter gestorben war. Drew zog sich sein Shirt aus und zog es Rosie über.
„Es ist vorbei", sagte nun auch er. Etwas anderes konnte man in dieser Situation nicht sagen.
Parker blieb regungslos am Boden liegen. Sein Brustkorb hob und senkte sich noch.
„Kannst du laufen?", erkundigte sich Drew mit zittriger Stimme bei Rosie.
Er war genauso schockiert wie ich. An seiner Hand klebt Parkers Blut. Mit dieser Hand nahm er Rosie Unterarm und versuchte sie aufzurichten.
„Es tut weh", wimmerte Rosie, was Nein bedeutete. Drew ließ sie los. Rosie krümmte sich. Sie wirkte beschämt, dass sie in so eine Situation geraten war.
„Oh mein Gott, ROSIE!"
Es war Bobby. Ich hatte ihn nicht kommen hören. Als er seine Schwester sah, stürzte er zu ihr und begann zu weinen. Wir alle weinten.
„Was ist mit dir passiert?"
Wir alle schwiegen. Ich brachte es nicht über die Lippen. Ich konnte nicht aussprechen, was man ihr angetan hatte. Was Parker ihr angetan hatte. Er hatte ihr Leben zerstört. Dieser Abend würde sie bis zum Tod verfolgen.
„Hat einer schon einen Krankenwagen gerufen?", fragte Bobby in die Runde.
Schuldbewusst schüttelten Drew und ich den Kopf. Wir hatten zu sehr unter Schock gestanden. Ich wusste nicht einmal, wo mein Handy gerade war. Vermutlich lag es noch in meiner Handtasche, die ich vor Schreck in den Waschräumen der Frauen hatte fallen lassen. Schnell zog Drew sein Handy aus der Hosentasche. Bobby kümmerte sich derweil um seine Schwester. Er versuchte sie irgendwie zu beruhigen und sie von den Schmerzen abzulenken. Er redete auf sie ein, doch Rosie sah nicht so aus, als würde sie viel davon mitbekommen. Die Blutlache auf dem Boden wurde immer größer. Sie musste unglaubliche Schmerzen haben. Ich sah ihr an, wie sie dagegen ankämpfte. Sie wollte nicht, dass wir sahen, wie sehr sie litt. Sie wollte wie immer die Starke sein.
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Wir waren 5
RomanceAm Anfang des Urlaubs waren wir 5 Freunde. Am Ende blieb einer zurück...