16 - Austern und ihre Folgen

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Da Rosie bei sich im Zimmer geblieben war, hatten wir nur zu Viert gefrühstückt. Für gewöhnlich saßen wir Stunden am Tisch, wenn wir gemeinsam aßen. Wir hatten immer etwas zu erzählen. Wir lachten, neckten uns, scherzten und alberten. Doch nicht heute. Jeder aß sein Essen und gesprochen wurde nur das Nötigste. Es herrschte eine seltsame Stimmung. Wortlos räumten wir den Tisch ab, als wir fertig waren und ließen das dreckige Geschirr in der Küche stehen.

„Hat jemand Lust rauszugehen?", fragte ich in die Runde, als sich unsere Teller und Tassen neben dem Waschbecken stapelten.

Ich ertrug die Atmosphäre in dieser Wohnung nicht mehr.

„Es ist arschkalt draußen", sagte Bobby sofort. „Noch kälter als in den letzten Tagen und da war es schon, wie am Nordpol. Ich geh da nicht raus."

„Ich würde mitkommen", hörte ich Kents Stimme und ich war ihm dafür unglaublich dankbar. Mir bewusst, dass er auch keine Lust hatte, die Wohnung zu verlassen und das nur für mich tat.

Drew hatte sich bereits auf der Couch ausgebreitet, womit klar war, dass Kent und ich allein durch das vereiste New York laufen würden. Es war sozusagen unser erstes Date.

Wir zogen uns warm und ließen die anderen dann im Appartement zurück. Als ich mich von Rosie verabschiedete, zwinkerte sie mir zu, doch ihre Augen blieben dabei traurig.

Kent und ich hatten uns ein Taxi nach Chinatown genommen. Hier waren die Häuser niedriger, weshalb es nicht so windgeschützt war wie Uptown. Schon nach wenigen Metern war ich komplett durchgefroren. Es waren kaum Menschen unterwegs. Für die meisten war es wohl einfach zu kalt oder sie schliefen noch ihren Rausch von der Silvesternacht aus. Ich hakte mich bei Kent unter.

„Ganz schön viel passiert in den letzten Tagen", murmelte ich in meinen Schal.

„Ja", stimmte Kent ernst zu. „Besonders das mit Rosie lässt mich nachts kaum schlafen. Ich wünschte, dass wir sie beschützt hätten."

„Kent, es war nicht unsere Schuld. Wir konnte es nicht ahnen."

Er atmete schwer aus, wobei sein Atem sofort zu einer Wolke gefror.

„Hätte ich meinen Geburtstag bloß woanders gefeiert. Dann wäre das nicht geschehen."

Ich schüttelte heftig den Kopf, wobei einige Schneeflocken von mir abfielen.

„Das weißt du nicht. Vielleicht ist Parker uns auch gefolgt. Vielleicht wollte er sich wirklich rächen. Wenn dann ist es meine Schuld."

Er blieb stehen. Wir waren etwa gleich groß, weshalb unsere Augen auf einer Höhe waren. Er beugte sich zu mir und küsste mich liebevoll auf die Stirn.

„Es ist nicht deine Schuld", sagte er ernst. „Okay?"

Ich nickte zögerlich.

Er küsste mir auf die Nasenspitze.

„Du bist eiskalt", stellte er fest. „Lass uns irgendwo hingehen, wo es warm ist."

Nichts lieber als das. Diese Kälte ging durch Mark und Knochen. Überall berichteten sie in die Nachrichten von der Rekordkälte.

Wir fanden schnell ein Restaurant, dass sich Peking Duck House nannte. Ich liebte chinesisches Essen und zum Glück gab es hier auch eine große vegetarische Auswahl für mich. Im PekingDuck House fühlte ich mich wie in einer anderen Welt. Ich konnte wieder lachen. Es war so unbeschwert mit Kent. Für einen Moment vergaßen wir die Probleme unserer Freunde. Gleichzeitig fühlte es sich an, als wären wir wirklich ein Pärchen, auch wenn ich es noch nicht wagen würde ihn als meinen Freund zu bezeichnen. Doch er sah mich genauso an. Als wäre er mein Freund, mein richtiger Freund. Er hatte diesen bestimmten Blick drauf, wenn er mich ansah. Ich liebte es so angesehen zu werden.

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