Das Piepen der Maschinen weckte mich.
Ich verstand nicht sofort, wo ich war. Und schon gar nicht, was geschehen war.
Dann sah ich meinen Vater und er weinte. Ich hatte meinen Vater noch nie in meinem gesamten Leben weinen sehen. Selbst nicht, als meine Mutter gestorben war. Als er meine offenen Augen bemerkte, die ihn fragend ansahen, wischte er sich schnell die Tränen weg und kam zu mir.
„Rosie", sagte er und nahm meine Hand, in der ein Katheter steckte. „Ich bin so froh, dass du lebst."
Er machte mir Angst. Warum war ich hier? Was war geschehen?
„Dad, was ist passiert? Wo ist Bobby?"
Wieder stiegen Tränen auf und er sah weg.
„Dad, was ist passiert?", fragte ich wieder.
Mir war kalt. Es war eine innere Kälte, dich in dieser Form noch nie zuvor gespürt hatte.
„Rosie, versuch einfach noch ein bisschen zu schlafen", wich er meiner Frage aus.
„DAD! Was ist los?"
Ich hatte Angst. Ich versuchte nun krampfhaft mich daran zu erinnern, was passiert war. Ich war zum Pier 17 gefahren. Ich war so unglaublich enttäuscht gewesen. Dann waren die anderen aufgetaucht. Ich hatte das mit Hazel erfahren. Ich war aufs Eis gelaufen. Sunny war mir gefolgt. Wir hatten gestritten. Da hörte meine Erinnerung auf. Ich schloss meine Augen und konzentriert mich. Was war danach geschehen? Ich konnte mich an ein Gefühl der Panik erinnern, aber ich wusste nicht mehr warum. Ich biss mir auf die Unterlippe. Ich hatte es erlebt, also musste ich mich auch daran erinnern können!
Das Eis!
Wir waren eingebrochen.
Jetzt kamen die Bilder wieder.
Wir waren alle ins Eis eingebrochen.
„Dad, was ist mit den anderen? Geht es ihnen gut?", fragte ich ihn nun mit weitaufgerissenen Augen. „DAD!", schrie ich, auch wenn es im Hals wehtat. Ich brauchte Informationen.
„Sie haben es nicht geschafft, Schatz", sagte er mit zitternde Stimme.
Erstarrt sah ich ihn an.
„Wer? Wer hat es nicht geschafft? Was meinst du mit nicht geschafft?"
Er drückte meine Hand fester.
„Ihr seid ins Eis eingebrochen. Menschen vom Ufer haben es gesehen. Sie haben sofort die Feuerwehr gerufen." Er schluckte schwer. "Du warst die einzige, die sie noch lebend daraus holen konnten."
Nein.
Nein.
NEIN!
Das konnte nicht wahr sein.
Es konnte nicht wahr sein, dass all meine Freunde gestorben waren.
Nein.
Nein.
NEIN!
Ich schlug mir die Hand vor den Mund, um meinen Schrei abzudämpfen. Sofort schossen die Tränen aus meinen Augen.
Ich hatte meine Freunde umgebracht. Wegen mir waren sie aufs Eis gelaufen. Ich hatte sie getötet!
Ich schrie all meinen Schmerz heraus.
Wieso hatten sie mich nicht mitgenommen? Wieso musste ich in diesem verdammten Krankenhaus liegen? Alleine.... Ich war alleine auf dieser Welt. Sie hatten mich zurückgelassen.
Der Schmerz wuchs in unermessliche.
Was hatte ich getan?
Ich wollte tot sein. Ich wollte bei ihnen sein. Ohne sie war ich nichts. Sie waren mein Leben.
Ich schlug mit meinen Händen auf die Matratze.
Bobby. Ich hatte meinen eigenen Bruder umgebracht. Und nicht nur das. Ich hatte einem kleinen Baby den Vater genommen. Dieses Baby würde nie Vaterliebe erfahren. Und es war nicht irgendein Baby. Es war meine Nichte oder mein Neffe. Ich hatte ihm oder ihr den Papa genommen. Ich war ein Monster!
Drew. Er war unser Beschützer. Er hätte sein Leben für mich gegeben, doch stattdessen hatte ich ihm seins genommen. Er wollte Medizin studieren. Er hätte Menschenleben gerettet. Drew wollte die Welt bereisen. Er wollte in armen Ländern helfen. Menschen, die sich keine medizinische Versorgung leisten können. Ihnen wollte er helfen. Doch diese Menschen werden vergeblich auf Hilfe warten, denn ich hatte Drew getötet.
Kent. Er war immer der Vernünftige gewesen. Er wollte Lehrer werden. Sportlehrer. Ich war mir sicher, dass er der beste Lehrer der Welt geworden wäre. Die Schüler hätten ihn geliebt. Doch dank mir, würden sie jetzt wohl von einem Tyrann unterrichtet werden, denn ich hatte Kent umgebracht.
Sunny. Meine beste Freundin Sunny. Sie war immer für mich da gewesen. Sie war so verdammt hübsch und hatte so viele Pläne für ihr Leben. Sie wollte Architektin werden und ihr eigenes Haus entwerfen. Sie wollte heiraten und eine Familie haben. Wer weiß? Vielleicht sogar mit Kent. Sie hätten viele kleine Kinder gehabt, doch es würde keines dieser Kinder geben. Ich hatte diese Familie ausgelöscht.
Ich hatte sie alle auf dem Gewissen. Sie alle hatten eine aufregende Zukunft vor sich, doch ich hatte sie ihnen genommen. Was hatten sie wohl bei ihrem Tod gedacht? Haben sie mich gehasst? Hatten sie Angst? Mussten sie sehr leiden? Hatten sie großes Schmerzen? Wie lange hat ihr Todeskampf gedauert? Warum konnte ich gerettet werden, aber sie nicht? Ich hatte keine Ahnung, was ich mit einer Zukunft anfangen sollte.
Wieso war ich auf das verdammte Eis gerannt? Warum hätte ich nicht einfach an Land bleiben können? Warum hatte ich überlebt? Ich war nutzlos für diese Welt. Die anderen hätte diesen Planeten ein Stück besser gemacht, aber nicht ich. Ich war eine Person, die ihre Freunde umgebracht hatte.
Und dann schossen plötzlich wieder die letzten Worte in meinen Kopf, die ich zu Sunny gesagt hatte.
„Du bist so ein dummes Miststück!"
Das waren die letzten Worte, die sie aus meinem Mund gehört hatte. Das gab mir den Rest.
„WARUM?", brüllte ich und schaute nach oben an die Decke.
Vermutlich hoffte ich, dass es einen Himmel gab und sie mich hören konnten.
„Warum habt ihr mich nicht mitgenommen? Warum habt ihr mich allein gelassen? WARUM? Ich gehöre doch zu euch. Wir fünf! Wir gehören zusammen! Warum habt ihr mich nicht mitgenommen?"
Dad griff nach meiner Hand, doch ich schlug sie grob weg.
„Es tut mir leid", wimmerte ich noch immer in Richtung Zimmerdecke. „Ich wollte euch nicht umbringen! Ich wollte keine Mörderin werden!"
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Wir waren 5
RomanceAm Anfang des Urlaubs waren wir 5 Freunde. Am Ende blieb einer zurück...