Als Rosie auch am späten Nachmittag noch nicht wieder da war, begannen wir uns Sorgen zu machen. Sie reagierte auf keine unserer Anrufe oder Nachrichten.
Wir entschieden uns sie zu suchen.
Bobby war nervlich komplett am Ende. Er konnte sich mit dem Gedanken nicht anfreunden, dass Hazel Richards wirklich schwanger war. Gleichzeitig hatte ich aber auch das Gefühl, dass uns die ganze Sache wieder näher als Freunde zusammenbrachte. Wir alle versprachen Bobby ihm zu helfen, sobald das Baby da war. Wir redeten über Dinge wie Babysitten und das Kinderzimmer einrichten. Natürlich war es lächerlich jetzt schon darüber zu sprechen, aber ich hatte das Gefühl, dass es Bobby ein bisschen Zuversicht gab. Er stand nicht alleine da. Er hatte immer noch seine besten Freunde, die für ihn da waren. Und das war, was zählte.
„Wir teilen uns am besten auf", entschied Kent, der in unserer Gruppe öfter mal die Rolle des Leaders übernahm. „Ich geh mit Sunny." Das hätte er gar nicht sagen brauchen, denn das war eh allen klar gewesen.
„Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, wo wir sie überhaupt suchen sollen. Sie kann überall sein!", gab Bobby hoffnungslos von sich.
„Wir suchen all die Orte ab, die wir gemeinsam besucht haben. Ihr übernehmt Uptown und wir Downtown. Ich denke, dass sie nicht irgendwo in den Menschenmassen sein wird. Also Times Square und so fällt raus. Ihr könnte vielleicht im Central Park gucken."
„Kent, der Central Park ist mehrere Kilometer lang. Wie stellst du dir das vor?", gab nun auch Drew zu bedenken, wie hoffnungslos die Suche war. Innerlich stimmte ich ihm zu. Es war eigentlich total dumm durch diese riesige Stadt zu laufen und zu hoffen, dass wir sie finden konnten. Wahrscheinlich saß sie irgendwo in einem Café und wärmte sich auf. Das konnte sonst wo sein.
„Geht an die Orte, wo wir waren. Zur Eislaufbahn, zu der Brücke, zu Strawberry Fields", gab Kent weiter Anweisungen.
Drew schüttelte den Kopf.
„Sie ist mit Sicherheit nicht im Central Park. Niemand hält sich bei den Temperaturen lange draußen auf. Im Central Park gibt es keine Cafés oder so, in die sie flüchten könnte. Es wäre sinnlos dort zu suchen."
Kent sah nachdenklich aus und schien Drew Argumentation nachvollziehen zu können. Langsam begriff auch er, dass das alles viel schwieriger war, als er sich vorstellte.
„Vielleicht ist sie in dem Steak House, in dem wir neulich waren", versuchte er weiter einen Anhaltspunkt zu finden.
„Nein, das glaub ich nicht. Was will sie alleine in einem Restaurant? Was ist mit Pier 17?", schlug Bobby vor. Das war keine so dumme Idee.
„Ja, Pier 17", rief ich euphorisch. „Das ist perfekt. Seit Hurricane Sandy steht es leer. Sie hat dort ihre Ruhe und es ist trotzdem warm. Ich wäre da an ihrer Stelle hingefahren!"
„Dann fahren wir dahin!", entschied Kent ein wenig zu euphorisch.
„Wir alle?", fragte Bobby mit seiner verweinten Stimme.
„Hat sonst noch jemand eine Idee, wo wir suchen können?", fragte Kent in die Runde.
Alle schüttelten den Kopf.
„Dann fahren wir alle und hoffen, dass sie wirklich da ist."
Gesagt, getan.
Wir zogen uns an und riefen uns ein Taxi. Mit der Bahn hätte es zu lange gedauert. Wir alle hofften sie dort anzufinden und mein Bauchgefühl sagte mir, dass wir richtig waren. Rosie und ich dachten in vielen Dingen gleich. Es würde passen, dass sie dort war. Pier 17 war ein nahezu leer stehendes Hafengebäude. Früher waren da viele Shops und Restaurants drin, doch seit Hurricane Sandy war nur noch ein einziger Imbiss darin geöffnet, zu dem sich kaum jemand verirrte. Das Gebäude stand im Prinzip leer, aber man konnte es trotzdem betreten und hatte von dort einen wundervollen Blick auf die Brooklyn Bridge und den East River. Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie sie hinter den Panoramafenstern saß und auf den zugefrorenen Fluss starrte, während sie versuchte zu begreifen, was ihr Bruder getan hatte.
Als wir ankamen, fiel mir sofort die vereiste Fassade auf. Es sah gespenstig aus. Schnellen Schrittes betraten wir das Gebäude. Der Wind pfiff durch die undichten Fenster. Die Rolltreppen funktionierten nicht mehr, weshalb wir sie mit unserer Beinkraft erklimmen mussten. Während Bobby und Drew das Erdgeschoss absuchten, gingen Kent und ich in den ersten Stock.
Es war nicht eine Menschenseele hier und so hatten wir auch keine Hemmungen laut ihren Namen zu rufen.
Als wir sahen, dass selbst der Imbiss heute geschlossen war, klingelte mein Telefon. Es war Drew.
„Wir haben sie", sagte er sofort, eh ich nachfragen konnte. „Kommt runter, wie sind an der Uferseite."
Mit diesen Informationen stürmten Kent und ich wieder die Rollentreppen herunter. Ich war so erleichtert, als ich Rosie von Weitem sah. Ich stürmte auf sie zu und zwang ihr eine innige Umarmung auf.
„Mach das nie wieder!", flüsterte ich ihr ins Ohr.
Überraschenderweise stellte ich fest, dass auch sie weinte.
„Sorry", murmelte sie verlegen.
Dann spürte ich wie sich erst Kent und dann Drew unserer Umarmung anschloss. Als letzter beteiligte sich Bobby. Für einen Moment standen wir Fünf in diesem riesigen Knäuel da und ich hatte das Gefühl, dass wir trotz unserer Probleme wieder die fünf Freunde waren, die wir am Anfang des Urlaubs gewesen waren.
„Keine Geheimnisse mehr, okay?", forderte Rosie und wir begann uns alle wieder zu entknoten.
Ein Geheimnis gab es noch. Drew, Kent und ich sahen alle zu Bobby. Rosie ließ die Schultern sinken, denn unsere Blicke waren ihr nicht entgangen.
„Es gibt noch etwas?", fragte sie sichtlich enttäuscht.
„Er hat es auch erst heute erfahren", versuchte ich Bobby schon mal vorsorglich zu verteidigen.
„Erzähl!", drängte sie ihren Bruder.
„Ich kann es nicht", sagte Bobby gequält. „Ich kann das nicht sagen."
„Bobby!", beschwerte sich Rosie. „Ich will, dass alles wieder so wird wie früher und du bist mein Bruder. Das heißt, dass ich dich immer lieben werde, ganz egal, wie sauer ich auf dich bin. Bedingung dafür ist, dass du ehrlich mit mir sein musst! Also sprich!"
„Das heißt, dass du mir das mit Hazel verzeihst?", fragte Bobby nun zögerlich.
„Hazel?", kam es sofort aus Rosies Mund.
Oho. Das war keine gute Art und Weise es zu erfahren.
„Hazel? Hazel Richards?", fragte Rosie und die Panik schien ihr förmlich ins Gesicht geschrieben zu sein.
Bobby nickte, schaffte es aber nicht ein Wort die Lippen zu bringen.
„Sie ist schwanger!", rief Rosie."Weißt du das?"
Bobby nickte. Mehr tat er nicht. Wir anderen Drei standen daneben und sahen hilflos das Familiendrama mit an.
„Du bist es gewesen. Du bist der Idiot gewesen, der sie geschwängert hat? Die ganze Schule hat darüber gerätselt und ausgerechnet mein eigener Bruder war es? Willst du mich verarschen?"
Sie schien gar nicht zu wissen wohin mit ihrer ganzen Wut.
„Es hat ihn genauso überrascht wie dich", mischte sich Kent vorsichtig ein.
„Es hat ihn überrascht?", gab sie sarkastisch von sich. „Er hat offenbar nicht einmal verhütet! Er ist doch selbst schuld! Von Überraschung kann da kaum die Rede sein. Wer zu dumm ein Kondom zu benutzen, muss sich nicht wundern, wenn das Mädchen am Ende schwanger ist!"
Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und schien zu versuchen sich irgendwie kontrollieren zu wollen. Ihre Augen waren wässrig und jede Sekunde drohten die Tränen zu fallen.
„Ich brauch frische Luft", sagte sie schließlich schweratmend.
Sie entfernte sich von uns und ging durch eine Glastür auf die Terrasse, die direkt am East River lag. Ich folgte ihr. Draußen blies uns sofort ein heftiger Wind entgegen.
„Rosie, warte! Lass uns darüber reden! Ich weiß, dass es schwer ist, aber Bobby braucht dich jetzt mehr denn je."
Sie drehte sich zu mir um und lachte höhnisch. Dann setzte sie ein Fuß auf das Gelände und sprang von dort den Meter nach unten auf den East River.
Was machte sie denn nun schon wieder?
„Rosie, komm runter vom Eis!"
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Wir waren 5
RomanceAm Anfang des Urlaubs waren wir 5 Freunde. Am Ende blieb einer zurück...