Gerrit - Teil 4

3 2 0
                                    

Als es dann so weit war und sich die Tür zur großen Halle öffnete, drehten sich die Schüler zu uns um. Die Halle war rappelvoll aber unglaublich still. Es mussten hier an die eintausend Stühle stehen, von denen jeder einzelne besetzt war. Und jeder einzelne von den Schülern schien mich anzustarren. Wir gingen in einer Reihe auf die Tribüne zu, die sich am Ende der Halle befand und setzten uns nacheinander auf unsere Plätze. Anders als die Schüler, hatten wir einen langen Tisch vor uns stehen. Ich hatte zwar nichts dabei, was Ich darauflegen könnte, aber es war trotzdem angenehm meine Arme darauf abzustützen. Direktor Schmidt stellte sich an den vorderen Rand der Tribüne. Mittlerweile hatte das Flüstern im Raum angefangen und Ich bemerkte, wie einige Finger auf mich zeigten. Als würde Ich es nicht bemerken, ließ Ich meinen Blick langsam durch die Schülermenge wandern. Der Direktor begann mit seiner Rede. „Herzlich Willkommen zurück liebe Schüler! Ich hoffe Sie haben Ihre Ferien genossen und sind jetzt bereit für das neue Halbjahr an unserer wunderschönen Schule." Dafür, dass er kein Mikrofon hatte, war seine Stimme laut und kräftig. Wahrscheinlich war die Halle extra so konzipiert worden, dass der Schall gut an den Wänden reflektiert werden konnte. Nach der Begrüßung an die Schüler, hieß er auch uns Lehrer herzlich willkommen. Daraufhin erläuterte er alle wichtigen Termine, die dieses Halbjahr anstehen würden. Dann informierte er die Schüler, und auch mich, über die Essenszeiten und die Nachtruhe für die Schüler. Nachdem das organisatorische alles abgeklärt war, sollten wir Lehrer uns jetzt vorstellen. Eine Frau Mitte dreißig machte den Anfang. „Ich freue mich so viele neue Gesichter zu sehen. Aber auch die bekannten bereiten mir Freude. Ich bin Miss Maddock, komme aus Amerika, aus dem Bundesstaat Ohio und unterrichte hier das Fach Englisch in den Jahrgängen 8 bis 12. Also werden Sie mich wohl oder übel irgendwann kennenlernen müssen." Sie hörte sich sympathisch an. Sehen konnte Ich sie nicht, da wir alle in einer Reihe saßen. Ich konzentrierte mich auf die Reden der anderen Lehrer und ließ meinen Blick noch immer ziellos durch den Raum schweifen. Ich stellte fest, dass die Aufmerksamkeit der Schüler tatsächlich mehr auf mir lag als auf dem, was die Lehrer von sich preisgaben. Das würde mir hoffentlich im Unterricht zugutekommen. Als der Lehrer neben mir dran war und aufstand, um sich den Schülern vorzustellen, wurde Ich doch etwas nervös. Ich hatte zwar vorher schon Referendariate gemacht und hatte mich dort auch vorstellen müssen, aber noch nie vor so vielen Schülern, die mich alle anstarren, wenn Ich rede. Zum Glück hatte Ich ja nicht viel Text. Mein Sitznachbar beendete seine Vorstellung und jetzt war Ich an der Reihe.

Ich stand auf uns stützte meine Arme locker auf der Tischplatte auf. „Mein Name ist Gerrit Parker. Ich bin dieses Halbjahr neu an der Schule und unterrichte Deutsch und Sport in den Jahrgängen 10 bis 12. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit." Hallte meine Stimme durch den Raum und Ich lächelt kurz in die Menge. Dann setzte Ich mich wieder auf meinen Stuhl. Die Blicke der Schüler schweiften jedoch nicht zu dem nächsten Lehrer, wie es bei all den anderen der Fall gewesen war. Stattdessen klebten sie weiterhin auf mir. Langsam wurde es mir unangenehm. Das Flüstern nahm jetzt ebenfalls noch weiter zu. Zum Glück waren nicht mehr viele Lehrer übrig. Es dürften um die drei sein. Ich versuchte die Schüler davon abzuhalten mich anzustarren, indem Ich einigen von ihnen direkt in die Augen sehen würde. Viele Menschen können direktem Augenkontakt nicht standhalten und schauen weg. Einen Schüler nach dem anderen schaute Ich sie an. Und mein gehoffter Effekt trat ein. Die, die Ich angeschaut hatte, sahen nicht wieder zu mir hoch. Doch ein Mädchen hielt meinem Blick stand. Die beiden Mädchen, die rechts und links neben ihr saßen, hatten sich zueinander vorgebeugt und tuschelten vor ihr über irgendetwas. Wahrscheinlich über mich. Die Schülerin schaute mir noch immer in meine Augen, wurde aber langsam unruhig. Dann wendete sie ihren Blick ab, um ihre Hände zwischen ihre Freundinnen zu schieben und sie zur Seite drückte. Sie flüsterte etwas. Ich schaute jetzt jedoch wieder zu dem nächsten Schüler. Lange dauerte es nicht mehr, da entließ uns der Direktor.

Entspannen konnte Ich mich erst wieder, als Ich in meinem Zimmer war. Ich schmiss mich aufs Bett. Ich lag seit meiner Ankunft noch kein einziges Mal auf meinem neuen Bett und zu meiner Überraschung war es sehr gemütlich. Doch als es gerade richtig gemütlich wurde, klopfte es an meiner Tür. Ich stemmte mich unfreiwillig von meinem Bett hoch und öffnete die Tür. „Hey, it's me, Silvie Maddock. Ich bin die Englischlehrerin hier." Sie streckte mir ihre Hand entgegen und Ich schüttelte sie. Silvie Maddock hatte lockige, hellbraune Haare und war ein ganzes Stück kleiner als Ich. „Oh, Ich bin der Neue, Gerrit Parker. Schön Sie kennenzulernen." Lächelte Ich aufrichtig. „Wir duzen uns hier. Du kannst mich ruhig Silvie nennen, wenn Ich dich Gerrit nennen darf." Sie sprach meinen Namen mit ihrem Akzent so aus, dass sie das R rollte. Normalerweise wurde er ziemlich Deutsch ausgesprochen, aber das gefiel mir ebenfalls. „Stimmt ja, hatte Ich schon wieder vergessen. Ich muss mir so vieles hier merken." Ich wusste nicht was Ich sagen sollte, da mein Kopf ziemlich leer war. Ich war mittlerweile müde geworden, die Autofahrt und das ganze Rumgerenne hatte mich echt geschlaucht. „Keine Sorge. Das dauert nicht lange und du kennst dich hier super mit den Regeln aus. Wir Lehrer haben die Tradition, dass wir uns alle nach der Begrüßungsrede im Lehrerzimmer auf einen Kaffee treffen und uns ein wenig unterhalten. Wenn du möchtest, kannst du uns gerne joinen." Bot sie mir an. Verlegen kratzte Ich mich am Kopf. „Danke für das Angebot Silvie, aber Ich glaube Ich packe jetzt erstmal weiter aus und dann werde Ich mich ein wenig hinlegen. Später wollte Ich auch noch in die Stadt fahren." Silvie winkte ab. „No worries. Kann Ich vollkommen verstehen. Mein Zimmer ist die Nummer 10, falls du mal Fragen hast oder einen Kaffee trinken gehen möchtest, kannst du ruhig anklopfen." Ich stützte mich im Türrahmen ab. „Danke, Ich werde auf jeden Fall auf das Angebot zurückkommen." Ich hoffte, ihr Angebot war rein freundschaftlich gemeint. „Na dann lasse Ich dich jetzt mal weitermachen. Ach ja, Frank sagte Ich solle dir deinen Lehrplan geben, weil er sich schon gedacht hatte, dass du dich lieber ausruhen würdest." Witzig, wie sie alle Namen amerikanisch aussprach. Sie drückte mir einen ganzen Ordner in die Hand, der eben noch an die Wand angelehnt auf dem Boden stand. „Die Bibliothek hatte Frank dir gezeigt, oder? Die Lehrerbibliothek befindet sich direkt neben dem Lehrerzimmer, dort wirst du alle Lehrbücher und andere Lehrmaterialien, sowie Lektüren finden. Die Schüler haben ihre Bibliothek im Aufenthaltsraum." Tatsächlich hatte Frank mir das nicht gezeigt. Wohl doch kein so guter Museumsführer wie Ich gedacht hatte. Ich nahm Silvie den Ordner aus der Hand. „Vielen Dank. Auf einen entspannten ersten Arbeitstag morgen." Silvie lächelte mich an. „Goodbye Gerrit."

Ich legte den Ordner auf den Schreibtisch im Bürobereich ab. Jetzt, wo Ich ihn mir genauer anschauen konnte, war mir klar, dass es heute eine lange Nacht werden würde. Ich müsste mir die Bücher später noch besorgen und den Unterricht für die erste Woche planen. Dass man mich so damit überrumpeln würde, hätte Ich nicht erwartet. Darum würde Ich mich aber später kümmern. Jetzt nahm Ich mir vor erstmal meine Sachen weiter auszupacken, zumindest das Nötigste. Das bedeutete Zahnbürste, Duschsachen und diverse Aufladekabel für meine elektronischen Geräte. Danach bezog Ich mein Bett mit meiner eigenen Bettwäsche und schmiss mich dann darauf. Ich breitete meine Arme und Beine aus und lag nun wie ein Seestern auf der Matratze. Mein Rücken machte sich langsam bemerkbar. Ich werde ihn heute Abend vor dem Zubettgehen mit einigen Dehnübungen entlasten. Jetzt machte Ich aber erstmal gar nichts.

Nachdem Ich eine Stunde lang gar nichts gemacht hatte, hievte Ich mich wieder von meinem Bett hoch. Mein Magen knurrte. Ich wusste nicht, ob es heute für mich Mittagessen geben würde. Das Frühstück begann um sechs Uhr und ging bis halb acht. Das Mittagessen fand in der Mittagspause von ein Uhr bis zwei Uhr statt. Abendessen gab es ab fünf Uhr für zwei Stunden. Es war nun halb eins, also würde Ich das Mittagessen wohl oder übel sowieso verpassen, weil Ich jetzt in die Stadt fahren wollte. Vielleicht konnte Ich mir dort beim Bäcker irgendetwas kaufen. Während meines Nichtsmachens hatte Ich mir ein Fitnessstudio ausgesucht, in dem Ich mich anmelden wollte. Es lag direkt in der Fußgängerzone der Innenstadt. Da würde Ich bestimmt auch einen Bäcker oder einen Imbiss finden. Ich ging also aus meinem Apartment raus, verließ das Schulgebäude, stieg in meinen Mercedes und fuhr los.

Fire & IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt