12. Kapitel

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     Nach dem Frühstück war die Stimmung noch immer eisig. Mittlerweile hatte ich einen Bikini an, den ich aber unter einer kurzen Shorts und einem Shirt trug. Meine Haare waren noch immer etwas feucht, während Dardans Haare schon wieder trocken waren. Sein Blick glitt nach draußen. Die Baumkronen bewegten sich noch immer leicht im Wind, doch es war noch lange nicht mehr so schlimm wie am Abend zuvor. Eher besser und ruhiger. Dardan kratzte sich am Nacken und sah mich unschlüssig an. Auf seiner Zunge schienen Fragen zu brennen, die er aber nicht aussprach. So langsam wusste ich nicht mehr, was ich davon halten sollte. Ich wusste es wirklich nicht mehr.
     »Wollen wir vielleicht etwas rausgehen? Ich würde echt gerne mal etwas mehr vom Campingplatz sehen«, sagte er und sah mich an. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, da das eigentlich der Zeitpunkt war, an dem ich ihn abweisen musste. Der Zeitpunkt, an dem ich sagen sollte: Nein, können wir nicht. Ich habe keine Zeit. Doch das wäre eine Lüge und das wusste er. Ich hatte Zeit. Eine Menge Zeit sogar. Da ich so oder so vorhatte, erst einmal nach meinem Boot zu sehen, konnte er ja auch mitkommen... nicht wahr? Seufzend und hin- und hergerissen stand ich einen Moment lang da und fragte mich, in welche Richtung das alles noch gehen würde...

     Ob ich stark genug sein würde, ihn abzuweisen. Doch er war noch immer sehr... sehr ernst und ließ sich nicht unterkriegen. Die Entschlossenheit in seinem Blick ließ darauf deuten, dass er mir keine Chance lassen würde, selbst wenn ich ihn anlügen würde. So oder so würde er mir wohl folgen. Also sah ich ihn an und nickte kurz, ehe ich mir bereits Schuhe anzog. Aus dem Augenwinkle glaubte ich ihn grinsen zu sehen, war mir aber nicht wirklich sicher.
     Dardan schien sich wie ein kleines Kind zu freuen, dass ich ihn mitnahm und diesmal keinen Streit vom Zaun gebrochen hatte. Allerdings hatte ich nicht vor, ihm das jeden Tag durchgehen zu lassen... wirklich nicht. Nachdem ich meine Schuhe anhatte, zog er auch seine an. Heute trug er zwar eine Jeans mit braunem Gürtel und ein hellblaues Hemd, doch er trug noch immer Hemden. Ich hatte ihn noch nie in lockerer Kleidung gesehen. Automatisch fragte ich mich, ob er diese überhaupt hatte. Vermutlich nicht... Fast hätte ich gerne in seine Tasche gespickt, ob er denn überhaupt ein T-Shirt dabei hatte.
     »Wo gehen wir hin?«, fragte er, als ich die Tür öffnete. Grinsend sah ich in seine Richtung. »Das lass mal meine Sorge sein.« An seinem Kiefer zuckte ein Muskel, der er nickte. Wenn auch wiederwillig. So überzeugt wirkte er von dieser Sache nicht, da ich ihm nicht sagte, wohin es gehen würde. Unsicher sah er mich an, ging dann aber doch mit mir vor die Tür. Immer wieder sah er sich um. Der Wind hatte eindeutig nachgelassen. Die Bäume raschelten zwar noch, doch die Menschen strömten bereits nach unten zum Strand, jetzt, wo langsam wieder die Sonne durchkam.
     Ganz langsam schob sie sich bereits durch die dichte Wolkendecke und beehrte uns mit ihrem Sonnenschein, der sanft über meine Haut tanzte und mich wärmte. Dardans Blick glitt umher und sah das, was ich bereits gewohnt war. Kaputte Luftmatratzen, kaputte Müllbeutel, viel Plastikmüll, einige Blätter von Bäumen und noch andere Dinge. Das Personal am Campingplatz bemühte sich bereits alles aufzusammeln. Schwer schluckte er und sah mich an. Ich zuckte nur mit den Schultern. Es war ganz normal... all diese Leute hatten wohl einfach vergessen ihre Sachen in Sicherheit zu bringen oder es unterschätzt. Leider geschah das viel zu oft.
     Erleichtert war ich aber, als ich sah, dass hier in der Nähe keine Bäume umgefallen waren. Ich wusste nicht, wie es im anderen Teil des Campingplatzes aussah, doch hier schien niemand ein Problem damit zu haben, was eine Erleichterung war. Dardan folgte mir die Hauptstraße nach unten zum Strand. Hier pfiff der Wind noch etwas stärker, jetzt wo wir langsam den Schutz der Bäume und des Hügels verloren. Unten angekommen traf uns der Wind noch etwas heftig, doch das schien ihn nicht so ganz stören, wie ich erwartet hatte. Die Wellen brachen noch immer an den Strand, doch die Kinder hatten Spaß daran. Einer nach dem anderen sprang von der Plattform hinein.

     Viele Boote waren noch nicht unterwegs, was ich ihnen nicht verdenken konnte. Bei dem Wellengang brauchte man ein sehr gutes Boot, um das ein bisschen kompensieren zu können und selbst mit einem guten Boot hätte man vermutlich nach ein paar Stunden Rücken- oder Poschmerzen und konnte den ganzen Tag nicht mehr richtig sitzen. Dieser Meinung war ich zumindest. Lange sah Dardan sich um und schien alles in sich aufzusaugen. Jeden Eindruck. Alles, was er hier sah. Manchmal fragte ich mich, was er hier sah. Ich fragte mich, wie er diesen Campingplatz sah. Doch mein kleiner Schweinehund war zu feige, um zu fragen. Ich war einfach zu feige.
     Was sollte ich auch fragen? Am Ende des Tages sollte es mir doch egal sein, was er hiervon hielt, nicht wahr? Eigentlich schon, trotzdem brannte diese Frage auf meiner Zunge und wartete nur darauf meinen Mund verlassen zu können. Eilig lenkte ich Dardan nach links. Vorbei an der Tauchschule und dem Cafè. Er folgte mir und ging mit mir zum Steg. Mit jedem Schritt schien er etwas bleicher zu werden. »Gehst du bei dem Wellengang etwas Bootfahren?«, fragte er mich mit heiserer Stimme. Lachend schüttelte ich den Kopf. »Nein. Mir macht das dann nicht so wirklich Spaß. Man kann es natürlich machen, aber bei dem Wind kann man meist auch nicht richtig ankern, was vieles erschwert.« Er nickte und sah mich plötzlich mit purem Interesse an.

Das Rätsel der LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt