Kapitel 20: Neue Gefühle

30 1 0
                                    

Dunkle, definierte Locken in einem kurzen Bob. Grüne, faszinierende Augen, die jeden im Raum fixierten. Dunkel gekleidet, inklusive einer glänzenden Lederjacke und schweren Springerstiefeln. Vermutlich Doc Martens. Ihr Gesicht war sanft, aber gleichzeitig stark geschminkt, harte Wangenknochen, perfekt geschwungene Augenbrauen und dunkelrote Lippen. Sie war sehr jung, Ende zwanzig, Anfang dreißig. Die neue Lehrkraft für Verteidigung gegen die dunklen Künste war eine Wucht.

Ich stand zwischen Tonks und Ava und starrte sie hypnotisiert an. Der Moment schien in Zeitlupe zu laufen, bis sie schließlich das Klassenzimmer mit einem besonderen Spruch aufsperrte und uns schweigend die Tür öffnete. Ich stand noch eine Weile ausdruckslos da, bis Tonks mich schließlich leicht schüttelte und sagte:
„Komm jetzt, Ellen.Harper wird es gut gehen."

Auf einmal fühlte ich mich schlecht, weil ich Harper so schnell vergessen hatte. Eilig schlüpfte ich durch die Tür, wobei mich die neue Lehrerin kurz musterte, vermutlich, weil ich die letzte war. Abigail hatte sich anscheinend sofort aus dem Staub gemacht, als sie die Lehrerin erblickt hatte, was niemanden überraschte.
Ava hatte uns eine der letzten Reihen mit vier Plätzen ergattert, woraufhin ich mich zwischen sie und Tonks setzte. Ich vergaß, mein Zeug rauszuholen, da ich nun wieder dabei war, jemanden zu beobachten.

Die Lehrkraft kritzelte in unordentlichen Lettern ihren Namen an die Tafel.

Prof. Carmen Benítez

Himmel, sogar ihr Name schlägt wie eine Bombe ein. Professor Carmen Benítez trat vor uns betrachtete jeden von uns ausgiebig. Dann begann sie mit rauer und tiefer Stimme zu sprechen.

„Ich bin-", sie zeigte mit ihrem Zauberstab zur Tafel,"Professor Carmen Benítez und werde für dieses Jahr als Lehrerin für Verteidigung gegen die dunklen Künste fungieren.Ursprünglich bin ich jedoch als Aurorin tätig.In meinem Unterricht erwarte ich Ehrgeiz, Ehrlichkeit, Geduld, Hilfsbereitschaft und Vertrauen.Wir arbeiten hier zusammen, nicht gegeneinander und ich werde alles tun, um euch perfekt auf eure ZAG's vorzubereiten.Um zusammen zu arbeiten, muss ich aber wissen, was ihr euch von diesem Fach und meinem Unterricht erhofft."
Professor Benítez schwieg und mit ihr der Rest der Klasse. Sie hatte diese Aura, die jeden zur Ehrfurcht zwang. Als sie unsere Verwirrung erkannte, machte sie eine antreibende Geste mit der Hand und ein paar Hände schossen nach oben.

„Sagt mir eure Namen und dann euren Vorschlag.Wir gehen der Reihe nach durch.Jeder muss etwas sagen."

Sie fing in der ersten Reihe an, wo ein Typ irgendwas von vielen offensiven Lektionen laberte, wobei er eigentlich Sprüche meinte, mit denen er andere nerven konnte. Die meisten Leute in meinem Alter strebten sowas in die Richtung an. Professor Benítez zeigte bei keinem Vorschlag eine Reaktion und beäugte jeden nur auf intensivste Weise. Die ganze Zeit über hatte ich keine Ahnung was ich sagen sollte und ihre tiefe Stimme brachte mich immer wieder aus dem Konzept. Warum, war mir selbst nicht klar, vermutlich, weil es der erste Tag nach den Ferien war und mir langsam so richtig dämmerte, dass dieses Jahr die ZAG's anstanden, was mich nun mal sehr nervös machte. Auf einmal fiel mir auf, dass wir mittlerweile schon bei Ava waren, welche diese Stunde überraschend wenig gesprochen hatte.

„Ich heiße Ava Walsh und hoffe auf viel Abwechslung und ein friedliches Klima im Klassenzimmer."
Eine typische Ava-Antwort eben, sie wünschte sich einfach nur Frieden und ein konfliktfreies Miteinander. Ihr Optimismus war durchaus etwas, wovon ich mir mal eine Scheibe abschneiden konnte. Dann war ich schließlich an der Reihe.

„Ich heiße Ellen Bennett und erhoffe mir einen Unterricht, der sich wirklich wie eine Vorbereitung aufs echte Leben anfühlt."
Professor Benítez musterte mich und ich meinte, bei der Erwähnung meines Namens ein Zucken  in ihrem Gesicht zu sehen. Bevor ich es weiter deuten konnte, wandte sie sich Tonks zu.

„Ich heiße einfach Tonks und wünsche mir ganz viel Praxis."

☀︎︎☀︎︎☀︎︎

Den Rest der Stunde übten wir die unterschiedlichen Haltungen des Zauberstabs bei defensiven und offensiven Angriffen sowohl seitens des Gegners, als auch bei einem selbst. Es war ein interessanter Einblick darin, wie ein Duell wirklich ablief, denn davor hatte ich nie so richtig ein Bild dazu gehabt. Wir sollten in Dreiergruppen arbeiten, was sich bei unserer Gruppe wahnsinnig gut anbot. Die ganze Stunde über, erwähnte Tonks immer wieder, wie „krass" drauf unsere neue Lehrerin war, und beteuerte, dass sie Snape mit einem Spruch „zerstören könnte". Es war die beste Stunde Verteidigung gegen die dunklen Künste, die wir je hatten.

Als es klingelte, verließ ich rasch das Klassenzimmer und wartete vor der Tür auf Tonks und Ava. Wir beschlossen, in der kurzen Pause, die wir zum Stundenwechsel hatten, den Krankenflügel aufzusuchen. Sobald ich an Harper dachte, verschwand Professor Benítez glücklicherweise langsam wieder aus meinem Kopf. Auf dem Weg übte Tonks weiter die neuen Haltungen, die wir gelernt hatten und feuerte hin und wieder aus Versehen ein Spruch auf die Rüstungen und Gemälde im Korridor ab. Ava kritzelte irgendwas in ihr zitronengelbes Notizbuch, wollte mir jedoch nicht verraten was. An ihren Ohren baumelten heute Sonnenblumen.

„Mein Fanclub!", rief Harper begeistert, als wir schließlich den Krankenflügel betraten. Sie saß aufrecht in ihrem Bett und hatte ein Buch im Schoß. Sobald ich sie sah, erkannte ich wieder die gewöhnliche Harper. Selbstbewusst, sarkastisch und nervtötend. Von dem aufgelösten Elend mit der blutenden Lippe war nichts mehr zu sehen. Madam Pomfrey funkelte uns skeptisch an und murmelte irgendwas von höchstens fünf Minuten.

„Hey, ist alles okay?", fragte ich und setzte mich auf einen Stuhl neben ihrem Bett. Warren saß am Kopfende und beäugte Harper stumm. Er schien immer noch besorgt zu sein. Tonks und Ava ließen sich mit betroffenen Blicken am Rand des Bettes nieder.

„Klar.Pomfrey hat meine Lippe behandelt und will mir nur noch irgendwelche Beruhigungstechniken beibringen.Heute Nachmittag lässt sie mich frei, also alles okay.Alles in Ordnung.Aber wie war jetzt eigentlich der Unterricht?"

Tonks erzählte auf lebhafte und gestenreiche Weise, was alles passiert war und Harper war danach überzeugt, dass Professor Benítez von nun an zu den wenigen Lehrern gehörte, die sie leiden konnte. Nach einer Weile fiel uns auf, dass wir schon seit zehn Minuten beim Unterricht sein sollten.

„Wir müssen heute unbedingt noch Quidditch trainieren!", rief Tonks Harper zu, während wir unser Zeug einsammelten.

„Und wir kommen auch und feuern euch an!", ergänzte Ava und legte einen Arm um meine Schulter. Ich seufzte, denn eigentlich war mein Plan für heute Lernen gewesen, aber Ava konnte ich nichts abschlagen. Und ich wollte natürlich Harper unterstützen.

Warren insistierte darauf, bei Harper zu bleiben, sodass wir schließlich zu dritt los sprinteten, wohl wissend, dass wir spät dran waren.

These Are the Days of Our LivesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt